Wirtschaft neu denken
Dabei existieren viele solidarische Wirtschaftsmodelle, die auch in der Praxis funktionieren. Die Klimakrise könnte einen radikalen Wandel
bringen.
Kann ein Donut die Welt retten? Amsterdam ist auf jeden Fall eine der Städte, die daran glaubt. Denn mitten im ersten Corona-Lockdown verkündete die niederländische Hauptstadt nicht weniger als eine ökonomische Revolution. Die wichtigsten Eckpunkte davon: Bis 2030 will die Stadt ihren Verbrauch an Rohstoffen um die Hälfte verringern, bis 2050 soll Amsterdams Ökonomie komplett auf Kreislaufwirtschaft umgestellt werden. Das bedeutet, es sollen
keine Ressourcen wie Stahl, Glas oder Beton mehr verbraucht, sondern nur noch recycelte Waren genutzt werden. Inspiriert wurde dieser Wandel vom Buch „Donut-Ökonomie“ der britischen Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth. Die Forscherin bricht hier radikal mit der klassischen Ökonomie. Statt die Wirtschaft
allein auf Markt und Wachstum auszurichten, setzt sie auf zwei andere Faktoren: Umwelt und Gesellschaft.
„Diese Wirtschaft tötet“
Warum Amsterdam wirtschaftlich einen völlig neuen Weg einschlägt, hat eine Vielzahl an einleuchtenden Gründen. Viele Experten sehen das derzeitige Wirtschaftssystem, das sich in erster Linie an finanziellem Profit orientiert, am Ende. Klima- und Finanzkrisen bestätigen diesen Ansatz.
Auch Papst Franziskus findet in seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ im Jahr 2013 klare Worte und stellt fest: „Diese Wirtschaft tötet.“ Sein Blick richtete sich dabei auf die Tatsache, dass das globale Wirtschaften, so wie es sich heute darstellt, viele Menschen ausschließt, an den Rand drängt und ausbeutet. Bis heute ist diese Aussage heftig diskutiert.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Welche Verantwortung
hat die Wirtschaft überhaupt für die Gesellschaft? Und ist ein Wirtschaftssystem, das permanent auf Wachstum baut, zum Scheitern verurteilt? Wie kann eine Wirtschaft funktionieren, von der alle profitieren?
Alternative zum BIP
Eine Abkehr vom „Mantra des Wirtschaftswachstums“ fordert Mathias Kirchner, Senior Scientist am Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit der Universität für Bodenkultur Wien. „Jedes materielle Wachstum hat irgendwann ein Ende. Daher ist eine Wirtschaft, die auf permanentes Wachstum ausgerichtet
ist, auch zum Scheitern verurteilt“, erklärt Kirchner. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Bruttoinlandsprodukt, bekannt unter der Abkürzung BIP. Dieses gibt den Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen an, die während eines Jahres als Endprodukte in einer Volkswirtschaft hergestellt wurden. „Wir dürfen uns nicht
nur am Wachstum des BIP orientieren, denn es misst nur die monetären Flüsse. Wir benötigen ein anderes Indikatorenset, das auch gesellschaftliche Werte berücksichtigt“, so der Forscher.
Als Beispiel für ein anderes Indikatorenset nennt Kirchner die Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs). Zu diesen Zielen, die nachhaltigen Frieden und Wohlstand fördern und zum Schutz unseres Planeten beitragen sollen, zählen Gesundheit und Wohlergehen, hochwertige Bildung oder auch Maßnahmen zum Klimaschutz. „Wirtschaftswachstum ist hier nur ein Teilaspekt“, sagt Kirchner.
Die andere Seite des Wachstums
Obwohl: Wachstum per se ist nicht negativ, wie Christian Spieß anmerkt. Er ist Universitätsprofessor am Institut für Christliche Sozialwissenschaften der Katholischen Privat-Universität Linz. „Aus sozialethischer Sicht kommt es immer auf den Inhalt des Wachstums an“, erklärt Spieß. So sei die Umstellung auf erneuerbare Energien beispielsweise ein riesiger Wachstumsmarkt. „Nachhaltiges Wirtschaften bedeutet auch, eine Balance zwischen ökonomischem, ökologischem und sozialem Wachstum zu erreichen. Die große Herausforderung besteht darin, diese drei Bereiche unter einen Hut zu bringen“, so der Wissenschaftler.
Wie diese Balance gelingen kann, zeigt EZA Fairer Handel als Pionierin in Österreich bereits seit 1975 vor und setzt eine alternative Wirtschaftsweise in die Praxis um. Die größte heimische Importorganisation für fair gehandelte Produkte agiert dabei nach eigenen Angaben transparent, solidarisch, weltoffen und fair. Mit ihren Handelspartnerschaften setzt sich die EZA zum Beispiel für menschenwürdige Arbeitsbedingungen und faire Bezahlung ein und fördert auch ökologische Produktionsweisen. „Wir führen keine Preisverhandlungen mit unseren Produzenten. Die Produzenten müssen aber nachweisen, dass die faire Bezahlung in Projekte fließt, die zur Verbesserung der Lebenssituation der mitarbeitenden
Menschen beitragen“, erklärt EZA-Geschäftsführerin Daniela Kern. Derzeit arbeitet das Unternehmen mit 133 Produzenten im globalen Süden zusammen. „Wir sehen uns dabei mehr in einer Partnerschaft als in einem klassischen Einkauf-Verkauf-
Verhältnis“, so Kern. So unterstützt EZA die Produzenten bei Bedarf auch dabei, passende Produkte zu finden und zu entwickeln, die sich am österreichischen Markt auch verkaufen lassen.
Keine Gewinnausschüttungen
Als Rechtsform ist die EZA eine GmbH, aber ohne konkrete Zielvorgaben
in Bezug auf finanziellen Gewinn. „Unsere Eigentümer haben auch noch nie Gewinnausschüttungen entnommen“, sagt Kern. Ob diese Form des Wirtschaftens auch bei anderen Unternehmen möglich wäre? Die EZA-Geschäftsführerin ist davon überzeugt: „Ja, Unternehmen können auch fair geführt werden, es
muss nicht immer nur alles über den Preis gehen.“
Dass Wirtschaftssysteme nicht immer nur grenzenloses Wachstum als Ziel haben müssen, sieht man auch am Beispiel von Oikokredit. Diese internationale Entwicklungsgenossenschaft vergibt im Einklang mit ihrer sozialen Mission Darlehen und Kapitalbeteiligungen an Partnerorganisationen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Das Kapital dafür stellen Privatpersonen und Organisationen. Was dabei besonders ist, präzisiert Vorsitzender Friedhelm Boschert: „Wir hatten immer eine Grenze bei unserer Dividende, die nicht mehr als zwei Prozent beträgt. Denn wir waren schon früh der Meinung, dass sich Investoren nicht nur aufgrund einer finanziellen, sondern auch einer sozialen Rendite engagieren.“ Das bedeutet, dass es bei den Unternehmen und Projekten der Kreditnehmer immer auch um soziale Verbesserungen gehen muss. „Erhält zum Beispiel ein einzelner Bauer einen Kredit, dann muss auch seine Familie davon profitieren – indem seine Kinder eine Ausbildung erhalten“, sagt Boschert. Eine Strategie, die einen echten Wandel bewirken könnte. „Derzeit dominiert die Wirtschaft fast alle Bereiche, von Politik bis Gesellschaft. Entscheidend wäre, dass
die Wirtschaft nicht über der Gesellschaft steht, sondern ein Teil von ihr ist“, meint Boschert.
Die Kirche als Unternehmer
Wie agiert eigentlich die Kirche selbst, wenn sie in der Rolle als Unternehmen auftritt? Die Diözese Graz-Seckau hat nach 2020 auch das Jahr 2021 mit einem negativen wirtschaftlichen Ergebnis abgeschlossen. Wie geht die Kirche mit so einer Situation um? „Nach wie vor ist die Finanzlage stabil. Mittel- bis langfristig
müssen wir aber auch die Kosten und Strukturen anpassen“, erklärt dazu der Wirtschaftsdirektor Andreas Ehart. Im Gegensatz zu privaten oder an einer Börse notierten Unternehmen orientiere sich die Kirche an der christlichen Soziallehre. „Uns geht es um den Erhalt der Gemeinschaft und der Würde der Menschen, um ein nachhaltiges und solidarisches Handeln, bei dem auf keinen Menschen vergessen wird. Diese Vorgabe bringt mit sich, dass wir nicht darauf aus sind, Gewinn zu machen“, so Ehart.
Aufgrund sinkender Einnahmen bei den Kirchenbeiträgen muss aber auch die Kirche Einsparungen vornehmen. So sollen künftig bei Pensionierungen manche Stellen nicht mehr nachbesetzt werden. Nicht mehr benötigte, profane Immobilien werden immer wieder verkauft, bei Kirchen sei das derzeit kein Thema.
Eine moderate Erhöhung der Beiträge wird angesichts der erheblichen
Mehrkosten für Energie oder Personal laut dem Wirtschaftsdirektor
nicht vermeidbar sein. Andere Leistungen der Kirche könnten künftig eingespart werden. „Klar ist: Die Seelsorge vor Ort in den Pfarren wird es weiter geben. Das ist unser Grundauftrag“, betont Ehart.
Klimakrise als Gamechanger
Auch wenn viele Initiativen zeigen, dass solidarischere Formen des Wirtschaftens funktionieren, orientiert sich der Großteil der Wirtschaft immer noch am finanziellen Profit einiger weniger. Die Klimakrise könnte zum Gamechanger in diesem Bereich werden. „Wir müssen unsere Antworten an die Klimakrise anpassen“, ist Johannes Stangl, Mitbegründer von Fridays For Future Wien und
Young Researcher am Complexity Science Hub Vienna überzeugt. Bei steigendem Wirtschaftswachstum gleichzeitig die Emissionen zu senken, sei nur regional und temporär begrenzt möglich. „Emissionen und Wirtschaftswachstum müssen daher voneinander entkoppelt werden. Wir brauchen eine Wirtschaft, die sich nicht am Wachstum, sondern an den Bedürfnissen der Menschen orientiert“, sagt Stangl.
Autor: Markus Mittermüller