Coole Männer - fürsorglich, liebevoll und stark
Thomas Werchota, 51-jähriger Wahl-Burgenländer, ist ein g’standener Mann: kräftig mit einem trainierten, aber nicht übertriebenen Bizeps, große Hände, kleines Wohlstandsbaucherl, schütteres Haar, ausdrucksstarke Augen, offenes und charismatisches Wesen, selbstbewusstes Auftreten. Ein Mann, der Vertrauen und Stärke ausstrahlt. Seit fünf Jahren ist er glücklich verheiratet. In seiner Jugend hat Thomas Baumstämme gefällt, an Autos herumgebastelt, hat … Halt!
Zurückspulen, notwendiger Realitätscheck: „In der Schule habe ich es geliebt, zu häkeln und Luftmaschen zu machen!“, lacht er und blickt einem dabei fest in die Augen. „Handarbeit war eher meins als Handwerken.“ Sein Zimmer hat er stets selbst in Schuss gehalten. Und heute? „Ich bügle, mache die Wäsche, staubsauge,
putze, gartle und was halt sonswt noch so anfällt.“ Auch um das Enkerl kümmert er sich aufopferungsvoll. Kochen kann er zwar nicht, gibt er zu, aber er hilft. Auch am Griller, eigentlich der Platz des Ur-Mannes, steht seine Gattin. Beruflich befindet sich Thomas aktuell in Ausbildung zur Heimhilfe sowie zur Pflegeassistenz.
Caring Masculinity
Thomas Werchota ist ein Paradebeispiel eines neuen Männlichkeitsbildes. „Caring Masculinity“ nennt sich dieses, auf Deutsch: „Sorgende Männlichkeit“. Also Männer, die nicht davor zurückschrecken, Sorgearbeit in all seinen Vielschichtigkeiten zu übernehmen – sei es Kindererziehung, Hausarbeit, Pflege von Angehörigen oder die Ausübung eines „sorgenden“ Berufs wie Pfleger, Heimhilfe oder Kindergartenpädagoge. Sie fordern damit nicht nur das traditionelle Bild von Männlichkeit, sondern auch jenes von Weiblichkeit heraus. Immer mehr Männer würden sich mit der Frage auseinandersetzen, was sie für ihr Umfeld tun können, erklärt Markus Golla, Studienleiter für Pflegeausbildung an der FH in Krems: „Sie möchten etwas Positives zur Gesellschaft beitragen.“ Genau diese Überlegungen waren es auch, weshalb sich Thomas Werchota schlussendlich für einen Pflegeberuf entschied. „Ich war immer schon sozial engagiert, aber der ausschlaggebende Grund war, dass ich der Generation, die Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut hat, aktiv etwas zurückgeben wollte.“
„Männer lernen immer mehr, vom klassischen Männerrollenbild wegzukommen“, zeigt sich Golla positiv. „Der harte, emotionslose Mann ist ein Auslaufmodell. Das hat auch mit der immer sichtbarer werdenden LGBT-Community zu tun. Dadurch beschäftigen wir uns mit Themen, die bisher ein No-Go waren.“ Besonders was die junge Generation betrifft, hat er Hoffnung: „Wir befinden uns gerade in einem Paradigmenwechsel.“ Aktuell befinden sich 120 Studierende in der Pflegeausbildung an der FH Krems, ein Viertel davon sind Männer. „Die Zahl der männlichen Studenten steigt bei uns von Jahr zu Jahr.“ Auch was Kindererziehung betrifft, habe sich in den vergangenen Jahrzehnten so einiges getan, berichtet Soziologin Dr. Sonja Dörfler-Bolt: „Je jünger die Menschen sind, desto eher stimmen sie zu, dass die Väter mehr und aktiv in die Kindererziehung miteinbezogen werden sollten.“
Sorgearbeit ist weiblich
An dieser Stelle könnten wir eigentlich den Artikel beenden, alles ist gesagt, alles Friede, Freude, Eierkuchen – oder? Natürlich nicht, wie immer im Leben und vor allem, wenn es um gesellschaftliche Veränderungen geht. Denn diese gehen in Sachen „Caring Masculinity“ nur langsam voran, wie zuletzt auch die Corona-Pandemie zeigte. Zwar übernahmen mehr Männer während der Lockdown-Zeiten Sorgearbeiten, der absolute Löwenanteil blieb aber nach wie vor an den Frauen hängen, was auch dazu führte, dass es die Frauen waren, die unter der Krise
besonders litten. Man darf also annehmen, dass sich der Gender-Care-Gap seit Corona noch mehr vergrößerte: 2019 betrug dieser laut dem deutschen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 52 Prozent, in Paarhaushalten mit Kindern sogar 83 Prozent. Durchschnittlich erledigen Frauen 1,5 Stunden täglich mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer. EU-weit sieht die Lage nicht anders aus: Laut dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen leisten 92 Prozent der Frauen in der EU regelmäßig unentgeltlich Sorgearbeit, bei den Männern sind es nur 68 Prozent.
Traditionelle Männlichkeit
„Sich sorgende Männer sind ein Gegenentwurf zur berühmten toxischen Männlichkeit“, sagt Männerforscher und Psychotherapeut Dr. Erich Lehner.
Diese wiederum sei eine Ausformung des traditionellen Männlichkeitsbildes, welches nach wie vor in Generationen: „Sehr oft werden Männer schon in der Kindheit zum Konkurrenzdenken, Durchsetzungsvermögen und Starksein sozialisiert, quasi der Kern der Männlichkeit, der sich über die Jahrhunderte hinweg entwickelt hat.“ Der klassische Mann, erklärt und kritisiert Lehner, muss vorangehen, anführen, darf keine Emotionen zeigen. „Auch Hierarchie und Aggression spielen in der klassischen Männlichkeit eine große Rolle.“ Eine Rolle, die nicht zwingend etwas mit Gesellschaftsschichten zu tun hat, aber immer mit Sozialisierung, betont der Experte:
„Traditionelle Männlichkeit ist kein Gen, sondern ausschließlich sozialisiert und befindet sich immer in Wechselwirkung mit dem eigenen Umfeld.“ So treten klassische Männlichkeitsbilder und Wettbewerbsgedanken vor allem in männerdominierten Gruppen auf. Die meisten Männer würden ihre Männlichkeit unhinterfragt leben, so Lehner, zugleich aber legen sie sich vor allem selbst den
Druck auf, dem klassischen Geschlechterbild entsprechen zu müssen.
Der Mann als Familienernährer
Dass Pflegearbeit nach wie vor weiblich konnotiert ist, kritisiert Lehner zwar, aber es überrascht ihn nicht: „Seit jeher wurde es als Aufgabe der Frau angesehen, sich um das Leben zu kümmern – von der Geburt bis zum Tod sozusagen.“ Auch wenn man es nicht gern zugibt, ist die durchschnittliche aktuelle Familienstruktur immer noch klassisch orientiert: Der Mann ist der (Haupt-)Brötchenverdiener, die Frau sorgt sich pflegend um die Familie. Aber: Dass Männer und Care-Arbeit nicht vereinbar sind, stimme allein deshalb nicht, da „es viele Männer als Sorgearbeit ansehen, wenn sie das Geld nach Hause bringen und soeben für ihre Familie sorgen“, gibt Lehner zu bedenken. Die Trennung von emotionaler Bindung und Sorgearbeit galt lange als besonders wichtig für die Männlichkeitskonstruktion und prägte gleichzeitig vorherrschende soziale und ökonomische Strukturen. Lehner: „Frauen können natürlich genauso gut die Familie ernähren, aber sie verdienen leider durchschnittlich immer noch weniger als Männer.“
Job oder Familie
Zudem seien Frauen per se viel mehr dazu bereit, beruflich zurückzustecken, als Männer, die sich immer noch stark über ihren Job definieren. „Der Kernpunkt, ob Männer Sorgearbeit leisten oder nicht, ist immer die Berufstätigkeit“, betont der Psychotherapeut. Eine mehrere Generationen umfassende Untersuchung aus dem Jahr 2002 ergab, dass Männer durchaus offen für unbezahlte Sorgearbeit wären – solange diese nicht ihrem Job in die Quere kommt. „Bei der beruflichen Verfügbarkeit wurde stets die Grenze gezogen. Natürlich hat das erneut mit dem traditionellen Bild des ‚Familienernährers’ zu tun.“ Dies ist auch der Grund, wieso Männer ihre Angehörigen (in den allermeisten Fällen ihre Ehefrauen) erst in der Pension selbst pflegen. Aber wieso gibt es so wenige Männer in bezahlter Sorgearbeit, der Pflege zum Beispiel? Hier spielt das Gehalt eine große Rolle, meint Lehner: „Männer gehen eher dorthin, wo sie mehr verdienen.“ Markus Golla sieht dies ein wenig differenzierter: „Männer achten in der Pflege nicht stärker aufs Gehalt als Frauen. Aber sie sind sich ihres Werts mehr bewusst, treten bei Vorstellungsgesprächen selbstbewusster auf und bewerben sich eher für höhere Positionen als Frauen.“
Reise zu sich selbst
Thomas Werchota kam über den zweiten Bildungsweg zur Pflege, er war vorher unter anderem Abteilungsleiter in einem großen Möbelhaus. Dass er in der Pflege „um einiges weniger“ verdient als zuvor, ist für ihn nebensächlich. „Mir ist wichtiger, mich stets weiterentwickeln zu können.“ Thomas ist in Heimen aufgewachsen und ist sich sicher, die fehlende Fürsorge in seiner Kindheit durch den Pflegejob zu kompensieren. Lächelnder Nachsatz: „Mein jetziger Beruf ist meine Berufung. Ich fühle mich endlich angekommen.“ In der Pflege habe er viel über sich, über das Leben und über Männlichkeitsbilder gelernt. Zum Beispiel, dass „wir Männer nicht den Indianer, der keinen Schmerz kennt, hervorkehren müssen, im Gegenteil: Hier können wir zeigen, dass es verschiedene Facetten des Mann-Seins gibt.“ In der Pflege ist Empathie gefragt und Mut, auch Gefühle und Schwächen zuzulassen – etwas, das in allen Männern steckt und das man erlernen kann, ist Thomas überzeugt. Er selbst wurde bisher sowohl von Kolleginnen als auch Patientinnen und Patienten sowie Angehörigen „immer mit offenen Armen und durchaus neugierig empfangen“. Vorurteile gegenüber Pflegern gibt es heutzutage nur noch selten.
Männer pflegen anders
Auch wenn „pflegende Männer einfühlsamer sind als der Durchschnitts-Mann“, so Golla, findet die Empathie bei ihnen andere Ausdruckswege: „Männer sind pragmatischer und können sich besser abgrenzen.“ Ein gutes Beispiel hierfür ist
neben der positiven Auswirkung auf die Teamfähigkeit (Golla: „In einem gemischten Team ist die Dynamik ausgeglichener!“) die Pflege von Angehörigen: Laut Studien delegiert der Großteil der Männer ungewohnte oder unangenehme Tätigkeiten sowie Haushaltstätigkeiten an Dienstleister und sieht sich selbst eher als Pflegemanager: Aufgrund ihrer Sozialisation sind Männer gut darin, Abläufe zu organisieren und holen rascher Hilfe als Frauen. Bei der Basispflege gibt es keine geschlechtsspezifischen Unterschiede. Was Studien aber ebenso belegen und was wiederum mit gesellschaftlichen Rollenbildern zu tun hat: Männer pflegen ihre Gattin vor allem „aus Liebe“ und weniger aus einem Verpflichtungsgefühl heraus.
Auch was die Kommunikation zu den Patientinnen und Patienten betrifft, gibt es Geschlechterunterschiede. Laut Studien zeigen sich Patientinnen bei Pflegern agiler und helfen mehr mit, Patienten wiederum freuen sich, mit der Pflegeperson auch mal über Politik oder Fußball plaudern zu können. Und die Intimpflege? Ein Thema, aber meist kein Problem, berichten Thomas und Golla. Aufklärung, das Angebot, weibliche Kolleginnen diese Aufgabe übernehmen zu lassen, sowie (niveauvoller!) Humor sind hier extrem wichtig. „Pflegende Männer sind viel vorsichtiger, weil die Hemmschwelle größer ist und sie viele Dinge erst neu lernen müssen, die für Frauen selbstverständlich sind“, betont Thomas. „Wir haben größere Angst, etwas falsch zu machen.“
Der Papa und das Kind
Von den Frauen lernen können Männer das eine oder andere auch noch in Sachen Kindererziehung und Hausarbeit: Elternsprechtag, Mittagessen, Arzttermine, Einkaufslisten – von der Frau wird erwartet, an all das und mehr zu denken, was schnell zu einem „Mental Overload“ führen kann, was übersetzt so viel heißt wie „die Last des Daran-Denkens“. „Dazu kommt es, wenn man das Gefühl hat, für alles verantwortlich zu sein und mein Gegenüber sich darauf verlässt“, erklärt Lehner. „Wichtig ist, sich auszuhandeln, wer für welche Tätigkeiten zuständig ist, und sich verlässlich daran zu halten. Wie die Aufteilung in der Praxis umgesetzt wird, ist höchst individuell.“
Wenn es um die Kindererziehung geht: Beide Geschlechter sind dazu fähig, Bindungen aufzubauen, betont der Experte, „aber die Frau hat mehr Möglichkeiten dazu, da sie in Karenz ist.“ Genau deshalb ist Lehner ein starker Vertreter des Papamonats bzw. der Väterkarenz. „Vor allem in den ersten Wochen nach der
Geburt ist es für die Papa-Kind-Beziehung extrem wichtig, Zeit mit dem Baby zu verbringen.“ Kann das Kind qualitativ gute soziale Bindungen zu zwei Bezugspersonen (egal, um welche Geschlechter es sich dabei handelt) aufbauen, fühlt es sich sicherer und verstandener, so Lehner. Leider fristen das Papamonat bzw. die Väterkarenz nach wie vor ein Schattendasein. Nur rund fünf Prozent aller Kinderbetreuungsgeldbezieher sind Männer, sagt Soziologin Dr. Sonja Dörfler-Bolt. Zudem gehen Männer zumeist nur zwei Monate (also das Minimum) in Karenz. Die Gründe: Das traditionelle Bild des männlichen Familienernährers sowie die Angst vor Kündigung oder Karriereeinbußen. „Hier sind auch die Unternehmen gefragt!“, fordert Dörfler-Bolt.
Vorteile für alle
Das Rollenbild der „Caring Masculinity“ hat die Macht, die Gesellschaft fundamental zu verändern, „eine Verlagerung der Werte würde stattfinden und das traditionelle Männlichkeitsbild aufgebrochen werden, was wiederum mit mehr Freiheit im männlichen Verhalten einhergeht“, so Lehner. Studien belegen: In Familien, die weder frau- noch manndominiert gelebt werden, gibt es weniger Gewalt. Auch die Wirtschaft würde vielfältiger werden. Dafür müssen aber auch die älteren Generationen mit ins Boot geholt werden – mittels Aufklärung, sichtbaren Role Models und strukturellen Reformen. Markus Golla: „Das System ist es, das überlegt, ob etwas oder jemand systemkonform ist oder nicht. Mehr als die Menschen selbst denkt das System in Rollenbilder-Schubladen.“ Es ist unbestritten, dass menschliche Gesellschaften ohne Care-Arbeit nicht funktionieren. „Im Idealfall wird Sorgearbeit zu 50 Prozent von Frauen und 50 Prozent von Männern erledigt“, ist Lehner überzeugt. Dann wären sorgende Männer wie Thomas Werchota endlich keine Exoten mehr.
Autor: Manuel Simbürger, LebensArt-Verlag