Dürfen wir beim Sterben helfen?
Manche Menschen waren erleichtert, Vertreter der katholischen Kirche waren zum Teil empört und erschüttert, auch Ärzte lehnen es weithin ab.
In Österreich ist die direkte Tötung eines Menschen auf dessen Wunsch hin strafbar. Und das bleibt auch so. Weiterhin strafbar bleibt auch, jemanden zu einer Selbsttötung zu verleiten. Dazu heißt es in § 78 Strafgesetzbuch (StGB): „Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“ Aus diesem Text haben die Verfassungsrichter die Worte „oder ihm dazu Hilfe leistet“ gestrichen und für verfassungswidrig erklärt. Dieser Teilsatz widerspreche dem Recht auf Selbstbestimmung, „weil dieser Tatbestand jede Art der Hilfeleistung unter allen Umständen verbietet“ (Presseinformation des VfGH 11. Dezember 2020).
Der VfGH will Freiräume schaffen, damit die Hilfe zur Selbsttötung nicht ausnahmslos verboten bleibt. Es soll also möglich werden, dass ein Arzt oder ein Angehöriger – das alles müsste ein neues Gesetz regeln – dem Sterbewilligen ein Gift zur Selbsttötung zur Verfügung stellt. Im ersten Fall bei der Tötung auf Verlangen hat der Arzt die Tatherrschaft, weil er direkt mit der Spritze tötet, im zweiten Fall – beim assistierten Suizid – hat der Patient die Tatherrschaft, da er selbst das Gift zu sich nehmen muss.
Wie ist das zu bewerten? Aus christlicher Sicht kann man sagen: Die Selbsttötung ist verboten. Unter anderem deshalb, weil es in den 10 Geboten, die aus dem Judentum stammen, heißt: „Du sollst nicht töten.“ Also daher auch keine Selbsttötung. Viele weisen darauf hin, dass es eigentlich übersetzt werden müsse mit: „Du sollst nicht morden.“ Und zum Mord gehören – juristisch gesehen – niedere Beweggründe wie z. B. Habgier. Daher soll man den Begriff Selbstmord vermeiden, da jemand, der sich töten will, kaum aus niederen Beweggründen handelt (das mag es auch geben), sondern meist aus einer großen Not heraus. Das zweite Argument ist ein medizinisches: Ärzte sind nicht zum Töten, sondern zum Lebenserhalt ausgebildet, was nicht heißt: Lebensverlängerung um jeden Preis. Der Patient kann lebensverlängernde Maßnahmen ablehnen.
Die dritte Frage ist: Soll jemand, der in sehr eingegrenzten Ausnahmefällen (die der Gesetzgeber definieren müsste) zur Überzeugung kommt, jemandem bei der Selbsttötung zu helfen (und sei es nur die Begleitung zu einem Arzt), mit Gefängnis bestraft werden? Es geht um diesen „kleinen Spalt“ der Türöffnung. Hier sagen viele: Wenn die Tür nur einen Spalt geöffnet wird, ist sie bald ganz weit offen (Dammbruchargument). Und deswegen die Haltung: Es soll strafbar bleiben, damit niemand in Versuchung gerät, ein Gift zu besorgen.
Meine Position: Ärzte sind nicht zum Töten und auch nicht zur Beihilfe beim Töten ausgebildet. Wir sollten mit Hilfe von Palliativ- und Hospizstationen dafür sorgen, dass Menschen nicht einsam an Beatmungsmaschinen sterben, sondern menschenwürdig in einer Gemeinschaft. Dann taucht der Wunsch, sich zu töten, kaum noch auf. Es darf in keinem Fall dazu kommen, dass sich jemand rechtfertigen muss, noch leben zu wollen. Es darf kein Druck auf Patienten ausgeübt werden, doch den „freien Willen“ zu äußern, sich töten zu dürfen. So fordert es auch das VfGH-Urteil. Gerade in der Situation der Schwäche, in der ältere Menschen oft sind, ist der Wille nicht mehr so frei. Daher gilt hier die Schutzfunktion des Staates.
Ein Kommentar von Prof. DDr. Matthias Beck
Prof. Dr. Dr. Matthias Beck ist Arzt und Priester, Professor für theologische Ethik/Medizinethik an der Universität Wien, Mitglied der Bioethikkommission beim
Bundeskanzleramt, der Akademie für das Leben im Vatikan und einer Ethikberatergruppe der Europäischen Bischöfe in Brüssel sowie Autor zahlreicher Bücher im Grenzgebiet zwischen Medizin, Naturwissenschaften, Philosophie und Theologie.