Romero - Mutig im Einsatz für Gerechtigkeit
YPSILON: Wieso war Romero für die Regierung so gefährlich?
Ernest Theussl: Sie hatte Angst vor der Befreiungstheologie. Erzbischof Romero hat die Menschen aufgefordert, Anordnungen nicht mehr zu befolgen, wenn sie gegen ihr Gewissen verstoßen. Er sagte unter anderem: „Einem amoralischen Gesetz ist niemand unterworfen. Es ist an der Zeit, dass ihr euer Gewissen wiederentdeckt.“ Das hat Wirkung gezeigt. Die Regierung wollte auf Nummer sicher gehen und alle Personen, die gefährlich werden könnten, rechtzeitig beseitigen. Dass nach der Ermordung Romeros ein fürchterlicher Bürgerkrieg ausgebrechen würde, war für sie nicht absehbar. Sieht man sich aber die Entwicklung in vielen Ländern an, ist das eigentlich ein sehr typischer Verlauf.
YPSILON: Romero kam ursprünglich aus einem regierungsfreundlichen Lager und hat sich im Laufe seines Priesterseins radikal geändert. Was ist passiert?
Ernest Theussl: Er hat gesehen, dass das, was er als Priester verkündet, mit dem, was in der Gesellschaft passiert, nicht mehr kompatibel ist. Er hat die Wirkung seiner Auftritte vermutlich selbst gar nicht so hoch eingeschätzt. Er ist kein Märtyrer,
den man auf eine Konsole stellen kann. Man kann ihn eigentlich viel besser mit
Jesus vergleichen. Er hat sich nicht umbringen lassen, um uns zu erlösen, sondern
er hat uns erlöst, indem er umgebracht wurde.
YPSILON: Wieso konnte ihn die Kirche nicht schützen?
Ernest Theussl: Dafür hätte sich die Kirche bewaffnen müssen – und damit genau das tun, was er nicht wollte. Man hat ihm angeboten, das Land zu verlassen, aber auch das wollte er nicht. Er wollte bei seinen Landsleuten bleiben und nicht davonlaufen.
YPSILON: Romero war auch in der Kirche nicht unumstritten. Wieso?
Ernest Theussl: Das war die Zeit der heftigen Auseinandersetzung mit der Befreiungstheologie und auch der Grund, warum seine Heiligsprechung
erst so spät, am 14. Oktober 2018, erfolgte. Erst Papst Franziskus hat beide Richtungen der Kirche in sich verkörpert.
YPSILON: Wieso brauchen Christen Heilige?
Ernest Theussl: Heilige sind Vorbilder. Ich brauche sie nicht, um bei Gott eine Bitte einzulegen, das kann ich schon selbst. Aber wir brauchen Vorbilder, die uns zeigen, was möglich ist. Romero ist für uns ein zeitgenössischer Heiliger, ein Fahnenträger,
der für unsere entwicklungspolitische Ausrichtung steht. Er ist sehr verwoben mit der KMB.
YPSILON: Die KMBÖ hat trotz der innerkirchlichen Diskussionen bereits im Jahr der Ermordung Romeros 1980 einen hoch dotierten „Romero-Preis“ aus der Taufe
gehoben und seither jährlich vergeben. Was waren die Beweggründe?
Ernest Theussl: Das war ein Statement für die Befreiungstheologie, gegen die „Betontheologie“, und ein Signal der Aufbruchsstimmung. Wir würdigen damit mutige Menschen, die sich etwas trauen und durch besondere gesellschaftspolitische und soziale Leistungen auffallen. Gerechtigkeit und Frieden sollen die Norm sein. Wir unterstützen diese Menschen in ihrer Arbeit und nützen sie gleichzeitig als Aushängeschild für gute entwicklungspolitische Arbeit. Der Preis ist mit 10.000 Euro nach wie vor sehr attraktiv.
YPSILON: Trotzdem haben Sie immer mehr Mühe, Preisträger zu finden?
Ernest Theussl: Gerade das Besondere, das über andere hinausragt, wird immer schwieriger zu finden. Wir brauchen eine neue Generation markanter Persönlichkeiten. Der revolutionäre linke Elan, der in den 1980er-Jahren zweifellos tonangebend war, hat sich totgeschliffen. Vieles hat sich institutionalisiert, die Sprecher der Bewegung sind alle sehr etabliert. Die Jugend hat den Anschluss nicht gefunden. Heute ist der Klimawandel das Thema. Und die Politik geht mehr auf das Haben als auf Gerechtigkeit und Umverteilung. Letzteres ist nicht sehr „in“.
YPSILON: Wo steht die Kirche heute?
Ernest Theussl: Die Kirche leistet sehr viel in der entwicklungspolitischen Arbeit. Wir arbeiten im Auftrag der Bischofskonferenz und haben mehrere offizielle Sonntage im Jahr, wo wir für entwicklungspolitische Projekte Geld sammeln. Darüber hinaus haben wir beste Verbindungen in die jeweiligen Gebiete und können so sicherstellen,
dass die Gelder dort ankommen, wofür wir sie bestimmen.
YPSILON: Wieso engagiert sich die KMBÖ so stark in der Entwicklungspolitik? Die Hilfe ist für andere bestimmt, weit weg, nicht für „unsere“ Leute. Das ist nicht gerade populär.
Ernest Theussl: Populär ist das nicht. Aber es ist ein Grundanliegen der Katholischen Aktion, in die Gesellschaft hineinzuwirken. Der Glaube soll nicht nur in der Sakristei und in der Kirche stattfinden, sondern auch in der Gesellschaft gelebt werden. Wir als KMB haben eine Form entwickelt, Christen, denen es nicht gutgeht in den sogenannten Entwicklungsländern, zu unterstützen. Einen Glauben ohne Tun gibt es nicht. Gebet und Frömmigkeit nur in der Kirche sind wirkungslos.
YPSILON: Ihre Triebfeder ist der aktiv gelebte Glaube?
Ernest Theussl: Wir sind die, die den Glauben in den freien Raum hinaustragen und aufrechterhalten, auch in den Pfarren selbst. Es braucht Menschen, die hinter dieser Idee stehen, die Ansprachen bei den Gottesdiensten halten und sich engagieren. Der Glaube muss sich in der Gesellschaft manifestieren, sonst bleibt er eine sterile Geschichte.
Interview: Roswitha M. Reisinger; Verlag Lenbensart
Terminankündigung:
Romero-Preisverleihung
Fr., 27.11.2020
Linz Brucknerhaus