Mehr als Bier, Sport und Schweigen
Warum tun sich Männer mit freundschaftlichen Beziehungen so schwer und kann ein neues Selbstbildnis den Männern helfen, echte Freundschaften zu knüpfen?
„Mich hat erschüttert und schockiert, wie viele Männer wirklich einsam sind“. Der FAZ-Redakteur Tobias Rüther hat für sein Buch „Männerfreundschaft. Ein Abenteuer“ Freundschaften zwischen Männern aller Altersklassen untersucht. Und erkannte dabei, dass viele Männer ohne echte Freunde auskommen müssen. Das bestätigt auch der deutsche Psychotherapeut und Tiefenpsychologe Wolfgang Krüger. Ihm zufolge haben zwei Drittel der Männer keine freundschaftliche Beziehung, in der sie frei über persönliche Angelegenheiten, über Ängste, Wünsche oder Sorgen reden können.
Sind die meisten Männer also in erster Linie Rivalen und im besten Falle Kameraden oder Kollegen? Was zeichnet eine echte Männerfreundschaft aus? Stimmt das Klischee des schweigenden Mannes, der mit seinem Kumpel an der Bar steht und Bier trinkt? Und vereitelt die „toxische Männlichkeit“, also die in
der Gesellschaft vorherrschende Vorstellung von Männlichkeit wie etwa Härte, Gewalt bei der Konfliktlösung oder keine Angst haben zu dürfen, dem sogenannten starken Geschlecht die Möglichkeit, Freundschaften zu finden und aufrechtzuerhalten?
Lieber Single als ohne Freunde
Eines ist klar: Das Thema Freundschaft ist derzeit en vogue, sie wird als „hohes gesellschaftliches Gut“ angesehen, wie Steve Stiehler betont. Der Professor an der Fachhochschule St. Gallen hat selbst über das Thema Männerfreundschaften promoviert. „Wenn man Single ist, so ist das gesellschaftlich kein Problem.
Hat jemand keine Freunde, so wird das als viel größeres Defizit gesehen.“ Ein Beispiel aus der digitalen Welt: Ein Durchschnittsamerikaner hat 350 Freunde auf Facebook, bei jungen Erwachsenen umfasst die digitale Kumpelliste sogar meist
650 Namen. Dabei haben Menschen üblicherweise nur drei wirklich gute Freunde, hinzu kommen noch zwölf „Durchschnittsfreundschaften“.
Angesichts dieser Zahlen und Entwicklungen scheint es durchaus überraschend, dass sich Männer mit freundschaftlichen Beziehungen so schwertun. In der wissenschaftlichen Forschung ist die Männerfreundschaft bislang eher ein Randthema. Eines hat sie jedoch klar festgestellt: Frauen führen Freundschaften
über Kommunikation, Männer tun dies in erster Linie über Hobbys und gemeinsame Aktivitäten.
Männer „tun“, Frauen „sind“
Der Ursprung dieses Verhaltens liegt schon in der Kindheit. Während Mädchen miteinander „sind“, reden und sich austauschen, definieren sich Buben über Aktivitäten. „Sie „tun“ etwas miteinander“, erklärt Männer- und Geschlechterforscher Erich Lehner. „Diese gemeinsamen Aktivitäten sind der Beziehungsträger für Männer, es geht um geteilte Erlebnisse“, ergänzt
Stiehler. Zusammen Motorrad fahren, Berge besteigen oder Tennis spielen
– Vereine und Clubs werden so neben dem Berufsleben zu Orten, wo Männerfreundschaften entstehen. Oder auch der Franziskusweg, der auf den Spuren des Heiligen Franziskus nach Assisi führt – und wie im Falle von Markus Hofer auch zu einer Lebensfreundschaft. Hofer war 18 Jahre lang Leiter des
Männerbüros in Vorarlberg. Vor zwölf Jahren ist er den Franziskusweg gegangen – und war dabei körperlich doch ziemlich gefordert. Vor allem die vielen Höhenmeter haben dem heutigen Kunsthistoriker alles abverlangt. Ähnlich ging es einem zehn Jahre älteren Wanderkollegen, den Hofer auf seinem Weg getroffen
hat. „Wir waren beide überfordert und haben uns dann gegenseitig unterstützt. Durch dieses gemeinsame Gehen, Reden und auch Schweigen ist eine Lebensfreundschaft entstanden“, sagt Hofer. Die gemeinsame Bewegung ist den Freunden bis heute wichtig und erhalten geblieben. „Wir gehen ein Mal in der Woche zusammen laufen".
Exklusiver Freundschaftsbegriff
Dass die beiden einander explizit als „Freunde“ bezeichnen, ist eher die Ausnahme. „Männer verwenden das Wort Freund unglaublich exklusiv. Frauen hingegen sagen schnell einmal von sich, ein Dutzend ‚Freundinnen‘ zu haben“, weiß Hofer aus vielen Gesprächen während seiner Zeit im Männerbüro. Männer
bezeichnen ihre guten Bekannten vielmehr als „Kollegen“, „Kumpel“ oder auch „Kameraden“. Der Begriff stammt noch aus Zeiten des Krieges. Hier geht es mehr um Schicksalsgemeinschaften, die man sich nicht selbst ausgesucht hat – so wie auch im Internat, bei der Feuerwehr oder Rettung. Diese unterschiedlichen
Begrifflichkeiten sagen aber nicht zwangsläufig etwas über die Qualität der Beziehung aus. Denn auch diese können in die Tiefe gehen und tatsächlich ein Klischee erfüllen, das oft über Männerfreundschaften verbreitet wird. Nämlich dass diese Beziehung auch lange Zeiten aushält, ohne dass sich die Männer
treffen oder auch nur voneinander hören. „Ohne viel zu reden sind sie bei einem Wiedersehen nach fünf Minuten dort, wo sie bei ihrem letzten Treffen waren. Das ist ein tolles Gefühl“, sagt Hofer.
Ratsam, um eine Freundschaft langfristig am Leben zu erhalten, ist es aber nicht. Schon gar nicht, wenn es sich um „beste Freunde“ handelt. „Kontinuität ist wichtig. Sonst braucht es meist eine große Anstrengung, um wieder zusammenzukommen“, erklärt Stiehler. Gibt es keine regelmäßigen Kontakte,
so kommt es laut dem FH-Professor zu „ruhenden Freundschaften“, die bei Bedarf wieder aktiviert werden können – oder auch einfach auslaufen. Denn zum Bruch oder offenen Konflikt komme es bei Männern selten.
Wann kommt es zum Bruch
Was sind dann die Gründe, an denen eine Männerfreundschaft scheitern kann? Verrat und Vertrauensmissbrauch sind Punkte, die hier von allen Experten genannt werden. „Wenn ich den Freund hintergehe und ihm seine Partnerin ausspanne“, nennt Lehner ein gravierendes Beispiel. Dass Männerfreundschaften besonders gefährdet sind und zerbrechen können, bestätigt auch Rüther.
„Sie verfügen oft nicht über die kommunikativen Fähigkeiten, um Probleme aus der Welt zu schaffen“, so der Journalist. Das Klischee des schweigenden Mannes, der zwar über Fußball, nicht aber über persönliche Probleme und Emotionen redet – stimmt es also doch? Das klassische Bild tradierter Männlichkeit sagt Ja. Durchsetzungsfähigkeit, Dominanz, Konkurrenzorientiertheit gelten als typische Eigenschaften, die Männern zugeschrieben werden.
Partner und Konkurrent gleichzeitig
Der französische Soziologe und Sozialphilosoph Pierre Bourdieu hat hier den Begriff der „Partner-Gegner“ geprägt, der das Verhältnis vieler Männer untereinander definiert. „Das bedeutet, dass Männer einerseits solidarisch sind, gleichzeitig aber auch zu Gegnern und Konkurrenten werden können – zum Beispiel im Berufsleben. Das läuft aber ganz rational ab“, sagt Lehner. Dieses Konkurrenzdenken sollte laut dem Psychologen verstärkt durch eine „sorgende Männlichkeit“ abgelöst werden. Also verstärktes Interesse am Wohl des anderen – sowohl in der Familie als auch im Beruf, im Umgang mit den Mitarbeitern. Eine Änderung des männlichen Rollenbildes ist schon länger im Gange. Gender- oder MeToo-Debatten tragen viel zur Selbstreflexion des Mannes bei.
Kommt der „neue“ Mann?
„Das Selbstbildnis der Männer ändert sich, auch durch die Gleichstellung der Geschlechter. Junge Väter sind heute am Spielplatz oder in der Schule mit dabei, das war früher den Frauen vorbehalten. Dadurch ändern sich auch die Möglichkeiten der Kommunikation für die Männer untereinander“, sagt Rüther. Ob das langfristig auch dazu führen wird, dass Männer künftig mehr Freunde haben – was eindeutig der Wunsch vieler Männer ist – ist noch ungewiss. Denn worüber tauschen sich Freunde derzeit primär aus? Überwiegend prägen distanzierte Themen wie Politik oder Sport das Gespräch, nur 17 Prozent der Themen fallen in den persönlichen Bereich. Dass Männer bestimmte Themen aussparen können, ist auch ein Vorteil. „Hat ein Freund eine andere politische Einstellung, so wird dieses Thema einfach nicht angesprochen“, meint Stiehler.
Warum wird Freundschaft – und das nicht nur bei Männern – überhaupt als so wertvoll betrachtet? Zum einen wird sie, in Zeiten steigender Single-Haushalte, immer mehr zum Familienersatz. Und sie ist „Ausdruck unserer menschlichen Freiheit“, wie Rüther betont. Denn Freunde sind frei wählbar und niemand wird zu einer Freundschaft gezwungen. Rüther: „Und wir wollen nicht allein sein und mit anderen teilen, was uns bewegt. Das ist der größte Impuls für Freundschaften.“
Autor: Markus Mittermüller