Es gibt keine Laien mehr!
Der Priestermangel verunsichert. Manche Gläubige befürchten, ohne Priester könnten sie keine christliche, ja katholische Gemeinde sein, weil ihnen das Wesentliche fehle. Damit meinen sie vor allem die Eucharistie.
Ich sehe zwei Fragen hinter dieser Verunsicherung: Was ist der Weltdienst der Christinnen und Christen wert, wenn „das Religiöse“ als das vermeintlich Eigentliche fehlt? Und: Gibt es „das Religiöse“ ohne einen Priester?
Jeder Tag ist Gottesdienst
In diesem Jahr haben wir an den Sonntagen die Feldrede des Lukasevangeliums gehört. Jesu Worte drehen sich um das Verhältnis von Arm und Reich, um Feindesliebe, es geht um Heilung und Barmherzigkeit und darum, mit Gottes befreiender und liebender Gegenwart – denn das ist es, was „Glauben“ meint – genauso zu rechnen wie einem Haus mit solidem Fundament zu vertrauen. Jesus fordert keine religiösen Übungen, fordert keine Gottesdienste und auch nicht das Wissen um Glaubenswahrheiten, präzise wie im Katechismus. Der Alltag hat religiöse Bedeutung; wir können erkennen, erschließen, erkennbar und sichtbar machen, wie dieser Alltag von Gottes Gegenwart durchströmt ist oder durchströmt sein kann. Das gilt es zu sehen: für uns als Kirche, dass der Gottesdienstbesuch nicht das einzige Kriterium für die Nähe des Ewigen ist; und zur Ermutigung der Menschen, wie wertvoll ihr tägliches Leben ist.
Das Volk Gottes ist das Subjekt
Und doch, das spezifisch „Religiöse“: Gebet, Liturgie und Eucharistie? Seit dem Konzilstext Sacrosanctum Concilium (48) feiert die Gemeinde selbst den Gottesdienst, nicht wie früher der Priester ohne den die Gläubigen wörtlich heil-los wären. Die Gläubigen bringen sich selber, ihr Leben als Opfergabe, sie werden selbst zur Eucharistie, gemeinsam mit dem Priester. Das Volk Gottes aus allen Getauften ist Subjekt des Glaubens geworden: „An der Liturgie teilzuhaben, ist ein kirchliches Amt. Es wird durch die Taufe übertragen, Die [Liturgie-] Reform hat also die Gemeinde wieder in ihr Amt eingesetzt, das ihr lange Zeit vorenthalten worden war.“ (Rudolf Pacik, SiKi 1/2019, 18) Nach meinem Verständnis ist es daher heute nicht mehr angemessen, von „Laien in der Kirche“ zu sprechen, es ist eine Tautologie, weil es dasselbe bezeichnet. Etwa wie: Die Rolle des Wassers im Attersee oder die Bedeutung der Steine im Gebirge. Der See ist Wasser, die Berge sind Steine und die Kirche sind Laien. Papst Franziskus sagt: „Niemand wurde zum Priester oder zum Bischof getauft. Wir sind zu Laien getauft.“ Als Getaufter hat jede und jeder Anteil am Prophetenamt Christi, am Priestertum Christi und am Königtum Christi. Mehr geht nicht.
Das Lebensnotwendige bereitstellen
Nun lehrt die römisch-katholische Kirche, die Eucharistiefeier sei Quelle und Höhepunkt des christlichen Lebens. Ich will das vergleichen mit der Nahrung
und mit der Luft, die uns unentbehrlich sind. Damit man diese Grundbedürfnisse auch in unterschiedlichen und extremen Lebenssituationen befriedigt, hat man sich alles Mögliche einfallen lassen, ob beim Tauchen, bei der Mondlandung oder bei Patientinnen und Patienten im Wachkoma, an technischen Geräten und auch bei den Rahmenbedingungen im Umweltschutz, damit Nahrung und Luft nicht krank machen: Das braucht der Mensch unter allen Umständen, wo auch immer. Es genügt hier nicht, einfach zu sagen: Essen, das sind Brot, Obst und Schnitzel und Atmen ist das, was uns hier ganz selbstverständlich durch die Lunge geht. Alles andere ist in der Schöpfungsordnung nicht vorgesehen, darum dürfen wir darüber auch nicht nachdenken, geschweige denn etwas in die Wege leiten.
Vielfache Gegenwart Gottes
Die Erlaubnis zur Feier der Eucharistie hat sich bislang nicht neuen Rahmenbedingungen und Notwendigkeiten angepasst; viele Gemeinden haben heute daher keinen Zugang dazu. So ist es ein Zeichen der Zeit, dass wir uns des reichen Schatzes anderer Möglichkeiten der Begegnung mit dem Ewigen bewusst werden. Gott ist erfahrbar, wo immer zwei oder drei im Namen Jesu versammelt sind; gegenwärtig im anderen, in Werken der Nächstenliebe; gegenwärtig im Lobpreis und im Gebet in seinen vielfältigen Formen: im Stundengebet, Maiandachten, Rosenkranz und im Totenwachten; dort wo Segnung und Heilung geschehen; dort wo Vater und Mutter geehrt und die Gebote gehalten werden; wo Gerechtigkeit und Frieden vorbereitet werden und hoffentlich sich durchsetzen und wo kein Glieder Schöpfung ausgebeutet wird; präsent durch den Beistand der Heiligen Geistkraft im einzelnen Gläubigen und in der heiligen Gemeinde Gottes; erfahrbar im Studium und Hören der Heiligen Schriften. Das alles ist gute Lehre der biblischen und kirchlichen Tradition. Der Kirchenvater Johannes Chrysostomos nennt die Familie eine Kirche im Kleinen, also einen signifikanten Ort der Gottesbegegnung. Und wie in der sakramentalen Ehe und in der Familie als „Kirche im Kleinen“, so eröffnet das meiste hier Gottesbegegnung ohne priesterlichen
Beistand.
Kein Rechnen in Glaubensdingen
In Glaubensdingen soll man nicht rechnen. Gott ist immer da – oder er ist nicht da. Es sind ja immer nur Ausschnitte, die uns seine Größe erahnen lassen. Darum gibt es auch keine Prozentzahlen auf einer Skala von Null bis Hundert, welche dieser Formen uns mehr oder weniger weit hin zur Nähe Gottes führt. Wenn wir bei einer Bergwanderung unsere mitgebrachte Jause teilen, ein Dankgebet für Gottes Größe, für seine überwältigende Natur und für unsere Bergkameradschaft sprechen – wie sollen wir es nennen? Nun, es ist keine Eucharistie im traditionellen Verständnis – und doch bringt es ein Stück Himmel auf die Erde.
Autor: Dr. Markus Himmelbauer
Pfarrassistent (Leitender Seelsorger) der Pfarre Wolfsegg am Hausruck, Diözese Linz