katholisch - politisch - aktiv
Y: Was bedeutet Laienapostolat heute?
Dr. Stefan Vesper: Laienapostolat bedeutet immer, dass die Laien Zeugnis geben von der Hoffnung, die sie bewegt, dass sie in Kirche und Welt aktiv sind und Kirche und Welt mitgestalten, sich aus dem Glauben heraus engagieren. Wir haben einen Dreiklang: katholisch, politisch, aktiv. Wir haben unsere Wurzeln im katholischen Glauben und das strahlt in die Gesellschaft aus. Es bedeutet auch aktives Mitgestalten in der Kirche – nicht nur passives Abwarten.
Y: Mehr als 50 Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil befindet sich die Kirche nicht gerade im Aufwind – sind auch die Laien zu bequem, zu träge geworden?
Dr. Stefan Vesper: Viele Laien schätzen die Aufgaben, die aus Taufe und Firmung erwachsen, nicht richtig ein. Taufe und Firmung sind nicht wie der Beitritt zu einem Verein, sie sind Prägungen für das ganze Leben, denen Rechte, aber auch Pflichten, entspringen. Das heißt, wir haben eine Pflicht und Schuldigkeit, sich aus dem Glauben heraus zu engagieren. Ludwig Windhorst – ein weiser, engagierter Mann der Sozialbewegung – sagte: „Dies ist nicht die Zeit, die Schlafmütze über den Kopf zu ziehen.“ Man muss uns allen immer wieder diese Aufgabe ins Gedächtnis rufen. Wir können nicht bei Kirche und Gesellschaft so wie die Zuschauer am Rand sitzen, die Arme verschränken und es spielt jemand und wir schauen zu und kommentieren – nein, wir gehören mitten auf das Spielfeld.
Y: Wie begegnen sich in Deutschland Laien, Priester, Bischöfe auf Augenhöhe?
Dr. Stefan Vesper: Es hängt von allen Beteiligten ab, es gibt – und darüber freu ich mich sehr – sehr gute partnerschaftliche Zusammenarbeit in Diözesen, auf der Bistumsebene und in Gemeinden. Es gibt aber auch Distanz, Unverständnis bis hin
zu schroffer Ablehnung gegenseitig. Als Zentralkomitee haben wir gemeinsam mit der Bischofskonferenz Arbeitsthesen herausgegeben zum Verhältnis von Priestern und Laien, die für mehr Verständnis auf beiden Seiten sorgen sollen, für einen partnerschaftlichen Weg miteinander. Wir sind zusammen Kirche – zusammen sind wir Kirche. Laien brauchen gute Priester und Priester brauchen gute Laien. Bis hin, dass Laien den Gottesdienst feiern als Volk Gottes – es ist wichtig, dass die
Laien dabei sind.
Y: Ist deshalb ein synodaler Prozess (Synode = Versammlung) leichter möglich – wenn man ein solches Verhältnis auf Augenhöhe im Gedächtnis hat?
Dr. Stefan Vesper: Das Verhältnis auf Augenhöhe muss man menschlich herstellen, aber auch institutionell. Es gehört sich nicht, dass in einer Gemeinde der Pfarrer alles alleine entscheidet, dann gehen die Leute weg. Martin Luther hat gesagt: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“ Heutzutage ist jedoch der Stil der Menschen „ICH kann auch anders!“ Wenn ich in der Gemeinde gedemütigt werde, wenn ich mich nicht entfalten kann, wenn mir die Mitwirkung versagt ist, dann geh ich weg. Der Synodale Weg hat – ausgehend von den ersten Fällen des Missbrauchsskandals vor acht Jahren – zwei Erkenntnisse gebracht: Erstens: Das Missbrauchsgesehen dauert noch an und zweitens: In manchen Diözesen sind die Beschlüsse aus 2010, 2011 und 2012 nicht richtig umgesetzt worden. Es gibt Ursachen, die viel tiefer liegen als das schlimme Missbrauchsgeschehen. Da wollen wir jetzt gemeinsam überlegen, was zu tun ist.
Y: Synodal soll auch die Amazoniensynode werden – was erwarten Sie sich davon?
Dr. Stefan Vesper: Ich freue mich sehr, dass der Vorbereitungstext übersetzt wurde und im Netz zum Nachlesen ist. Es geht um zwei ganz große Themen: Die
Bewahrung der Lebensgrundlagen – das ist ganz im Sinne von „laudato si“ (Rundschreiben des Papstes zur Schöpfungsverantwortung aus dem Jahr 2015) und die Frage wie bleibt die Kirche in den Dörfern präsent? Der jetzige Chef von „missereor“ war früher in Brasilien und er erzählte immer, dass er eine Pfarrei mit 70 Gemeinden hatte. Bei der Erreichung von zwei Gemeinden an einem Wochenende kann man sich ausrechnen, wie oft er zu jeder Gemeinde pro Jahr kommt. Da frag ich: „Wer hat alle 34 Wochenenden hindurch das Leben in der Pfarre aufrecht erhalten?“ Das waren die Laien, das waren ausgebildete Männer und Frauen, die zum Gottesdienst, zum Gebet gerufen und das Evangelium verkündet haben. Daher erwarten wir uns auch Impulse aus der Amazonien-synode für die ganze Welt. Man darf jedoch nicht einlinig sein, weil es in Amazonien so ist, muss es auch bei uns so sein. Aber man kann doch Impulse herauslesen.
Y: Thema „viri probati“ (bewährte verheiratete Männer als Priester) – könnte das bedeuten, dass es zu einem Rückgang des Laienengagements kommt?
Dr. Stefan Vesper: Es ist ein komplexes Thema. Wir wollen, dass in der Gemeinde verantwortliche Ansprechpartner vorhanden sind. In meiner Pfarre hatte der vorherige Priester vier Gemeinden und der neue hat nun acht Gemeinden. Die Bischöfe müssen sich fragen, wie lange sie das noch machen wollen. Ich bin 100 % sicher, dass bei den Bischöfen aber auch bei den Pfarrern längst ein Umdenken eingesetzt hat, dass es so nicht mehr weitergeht. Ich muss hier einen Einschub machen: Das ist nicht eine Frage der Priester allein, sondern auch eine der Laien. Aus einer internen Untersuchung kann ich sagen, dass das Wichtigste für den Laien das Gespräch mit dem geweihten Priester ist. Da ist bei uns auf der Laienseite viel an Arbeit zu tun, dass das Gespräch mit dem Pastoralreferenten, mit einer erfahrenen Mutter, das Gespräch mit einem theologisch ausgebildeten Mann, einer theologisch ausgebildeten Frau genauso viel wert ist wie mit einem Priester. Und auch der Segen eines Mannes, einer Frau: „Geh du deinen Weg, Gott begleitet dich!“. Auch auf der Laienseite ist etwas zu tun – nämlich die Akzeptanz, dass es nicht immer der Priester sein muss. Wir brauchen neue Formen, die Laien entsprechen.
Y: Was erhoffen Sie, was befürchten Sie – wo wird die Kirche in Europa in 20 Jahren
sein?
Dr. Stefan Vesper: Ich weiß es nicht, meine feste Überzeugung ist, das Evangelium ist „unkaputtbar“. Die großen Fragen der Menschheit nach Leid, Tod, Sinn, nach Trauer und Freude sind Ewigkeitsfragen für den Menschen. Sie gehören zu „humanum“. Die Kirche hat eine lebendige Antwort – Jesus Christus, der auferstanden ist, der in uns lebt und das wird nicht kaputtgehen. Vielleicht gibt es neue Formen und einen wirklichen Reformschritt, als ganze Kirche gemacht. Vielleicht haben wir es auch geschafft, nicht immer nur zu glauben, Kirche sei etwas Starres, sondern Kirche ist etwas Dynamisches. Nicht umsonst gibt es drei Personen, die die Kirche voranbringen: Vater, den Sohn und den Heiligen Geist.
Interview: Andreas Oshowski, Salzburg und Reinhard Kaspar, Linz
Dr. Stefan Vesper, Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)