Sex, Drugs and Rock'n'Roll
1968, das Revolutionsjahr
Auch in musikalischer Hinsicht? Das kann mit einem klaren Ja beantwortet werden, mit einem differenzierten allerdings: Nicht alles, was in die Plattenläden und in die Hitparaden kam, war revolutionär, und ist es daher ein halbes Jahrhundert später noch weniger. Und nicht alles, was wirklich revolutionär war, wurde damals als solches erkannt.
Was ebenfalls wichtig zu wissen ist: Die Pop- und Rockmusik jenes heute mehr oder weniger mystifizierten Jahres lieferte nur peripher eine Art Soundtrack zu den Studentenrevolten und Aktionen, und sagt auch nicht viel über musikalische Qualitäten und nachhaltige Bedeutungen von Musikern und Tonträgern aus. Sicher – John Lennon besang mit den Beatles die „Revolution“ und die Rolling Stones ihren „Street Fighting Man“, ansonsten gab es aber kaum inhaltliche Bezüge.
Neue Jugendkultur
Und dennoch: 1968 war in musikalischer Hinsicht revolutionär. In der zweiten Hälfte der 50er Jahre brachte der Rock’n’Roll eine große und nachhaltige Neubestimmung der Jugendkultur, und eine Neudefinition der populären Musik. Ab 1964 geschah durch die Beatlemania und die „British Invasion“ in den USA durch die Beatles, die Rolling Stones und viele andere eine gewaltige Erneuerung dieser damals noch jungen Musik, die aus den langen und großen Traditionen der schwarzen (Gospel, Jazz, Blues, Rhythm & Blues und Soul) und der weißen (Folk, Country) amerikanischen Bevölkerung heraus entstanden war.
Als 1965 aus dem Folksänger Bob Dylan ein Rockpoet mit E-Gitarre wurde, der seine Lyrik in die gitarrenbetonte Rockmusik transportierte, und auch als Vokalist Standards setzte, die davor im Rock nicht galten, kam die populäre Musik in eine neue Ära. Ab 1966 schien dann alles möglich zu sein, was bis dahin undenk- und unhörbar (und auch unverkäuflich) erschien: Dylan hatte einen starken Einfluss auf die Beatles, auf die Beach Boys und selbst auf die Rolling Stones, Frank Zappas Mothers of Invention sowie The Velvet Underground überschritten so gut wie alle stilistischen Grenzen, die es bis dahin in der populären Musik geben konnte, und Jimi Hendrix erfand die E-Gitarre neu und öffnete allen die Ohren für die Elektronik.
Virtuose Musiker
Hohes instrumentaltechnisches Können wurde bedeutend, Eric Clapton darf hier stellvertretend für viele andere erwähnt werden, und während man bis dahin als „Beatmusiker“ an Jazz und Klassik nicht anzustreifen wagte, war man auf einmal auf Fusionen damit scharf. Das große Stichwort von 1967 war Psychodelic, und als im Juni jenes Jahres die Beatles die Langspielplatte „Sgt. Pepper´s Lonely Hearts Club Band“ mit ausklappbarer Hülle und allen darauf abgedruckten Songtexten (was es zuvor so wirklich nicht gab) veröffentlichten, war danach nichts mehr wie vorher.
War es bis dahin Praxis gewesen, erst nach einer (gut verkauften) Single eine Langspielplatte zu machen, wurde das Album nun zunehmend zur tragenden Veröffentlichungsform in der Pop- und Rockszene. The Velvet Underground, The Doors, Pink Floyd, Procol Harum, Jimi Hendrix mit seiner Experience und viele andere mehr sorgten anno 1967 für eine Reihe großartiger und wegbereitender Alben, die heute Klassikerstatus besitzen und sich zum Teil auch nach einem halben Jahrhundert erstaunlich frisch anhören – nicht zu vergessen so manche große Single jenes Jahres: „All You Need Is Love“, „When I Was Young“, „Tin Soldier“, „A Whiter Shade of Pale“ …
Vorreiter USA und England
Damals beschränkte sich fast alles noch auf die USA und England. Krautrock (Deutschland) und Austropop (unser Heimatland) steckten noch in den Kinderschuhen. Was die soeben erwähnten Pop- und Rock-Heroen in den Vorjahren ausgesät hatten, brachte in jenem Jahr reiche Frucht. Alben wie „Electric Ladyland“ (Hendrix), „John Wesley Harding“ (Dylan) und „Beggar’s Banquet“ (Stones) zählen längst zu den Meilensteinen des Rock, um nur drei geniale, wie auch für dieses Jahr typische Platten zu nennen. Großartige Singles und LPs lieferten neben den Beatles, den Rolling Stones, Bob Dylan, Frank Zappa und Jimi Hendrix, Velvet Underground, Doors, Pink Floyd und Procol Harum, auch Laura Nyro (die mit ihrem Album „Eli and the Thirteenth Confession“ ein neues Kapitel für die Frau in der Pop- und Rockmusik eröffnete), The United States of America und Silver Apples (beides Electronic Rock-Innovatoren), The Band, die Byrds, Kinks, Van Morrison, Ten Years After, John Mayall, Fleetwood Mac, Traffic, Beach Boys, The Who, Small Faces, The Move, Jefferson Airplane, Grateful Dead, Spirit, The Dillards, Dillard & Clark, Blue Cheer, Jeff Beck, Cream, Moby Grape, Creedence Clearwater Revival, Leonard Cohen, Johnny Cash, Buffalo Springfield, Randy Newman, Judy Collins, Joan Baez, The Savage Rose, Group 1850, Otis Redding, Aretha Franklin, Quicksilver Messenger Service, Mad River, The Nice, The Moody Blues, Soft Machine, Caravan, Love, Big Brother and the Holding Company feat. Janis Joplin, Scott Walker, Eric Burdon & the New Animals, Sly and the Family Stone, Joni Mitchell, Bee Gees, The Incredible String Band, Steppenwolf, Kaleidoscope (die aus den USA), The Seeds und Omega, um die einzige Band internationalen Formats hinter dem Eisernen Vorhang nicht zu vergessen. (Kein Anspruch auf Vollständigkeit!)
Crossover war kein Fremdwort mehr, musikalische Genregrenzen übersprang man gerne. Und exakt das Letztgenannte macht dieses Jahr in dieser Sache revolutionär. Wer Ohren hat, möge hören, vor allem, wenn es um zeitlos große Musik geht, die unter Umständen ein weiteres halbes Jahrhundert gut überdauern kann.
Robert Ganser
Sachbereichsleiter im Pastoralamt
der Diözese Eisenstadt
Musikjahr 1968 – die 15 stärksten Singles (alphabetisch nach Interpreten):
• Aretha Franklin: „Think“
• Bee Gees: „Words“
• Eric Burdon and the New Animals: „Sky Pilot“
• Judy Collins: „Both Sides, Now“
• Novaks Kapelle: „Hypodermic Needle“ (aus Wien …!!!)
• Sly and the Family Stone: „Everyday People“
• Small Faces: „Lazy Sunday“
• Steppenwolf: „Born To Be Wild“
• The Beach Boys: „Do It Again“
• The Beatles: „Hey Jude“/“Revolution“
• The Byrds: „You Ain’t Goin‘ Nowhere“
• The Kinks: „Days“
• The Move: „Blackberr y Way“
• The Rolling Stones: „ Jumpin‘ Jack Flash“
• The Savage Rose: „ A Girl I Knew“
Die 30 besten Alben (alphabetisch nach Interpreten):
• Aretha Franklin: „Lady Soul“
• Big Brother and the Holding Company feat. Janis Joplin: „Cheap Thrills“
• Blue Cheer: „Vincebus Eruptum“
• Bob Dylan: „ John Wesley Harding“
• Cream: „Wheels of Fire“
• Eric Burdon & the New Animals: „Love Is“
• Grateful Dead: „Anthem of the Sun“
• Group 1850: „Agemo’s Trip To Mother Earth“
• Jeff Beck: „Truth“
• Jefferson Airplane: „Crown of Creation“
• Jimi Hendrix: „Electric Ladyland“
• Kaleidoscope: „A Beacon From Mars“
• Laura Nyro: „Eli and the Thirteenth Confession“
• Leonard Cohen: „Songs of Leonard Cohen“
• Mad River: „Mad River“
• Pink Floyd: „A Saucerful of Secrets“
• Sly and the Family Stone: „Life“
• Small Faces: „Ogden’s Nut Gone Flake“
• The Band: „Music From Big Pink“
• The Beatles: „The Beatles (White Album)“
• The Byrds: „Sweetheart of the Rodeo“
• The Dillards: „Wheatstraw Suite“
• The Incredible String Band: „The Hangman’s Beautiful Daughter“
• The Mothers of Invention/Frank Zappa: „We´re Only in It for the Money“
• The Rolling Stones: „Beggar’s Banquet“
• The Savage Rose: „In The Plain“
• The Soft Machine: „Volume One“
• The United States of America: „The United States of America“
• The Velvet Underground: „White Light/White Heat“
• Van Morrison: „Astral Weeks“
Die Newcomer von 1968, die man heute noch gerne hört – wahre Klassiker:
• CCR (Creedence Clearwater Revival)
• Pink Floyd mit David Gilmour
• Leonard Cohen
• The Band
• Randy Newman