Großvaterspuren
Vom Regen …
Dass ich leben darf, habe ich sehr stark ihm und seinen eisernen Willen zu verdanken. Mein Großvater war jüdischer Herkunft, auch wenn er diesen Glauben nie lebte. Und er war ein überzeugter Kommunist. In den 30er Jahren erlebte Willi mit seiner Frau Maria eine Zeit, die er als Aufbruch in ein neues Zeitalter sah. Er war ein genialer Ingenieur und Lebensmitteltechniker, der sich auch auf Maschinenbau verstand, und auch sonst in jeder Hinsicht ein Tüftler war. Arbeiter wie er sollte in der erstehenden Sowjetunion eine völlig neue, ganz wichtige Rolle spielen. So gingen meine Großeltern nach Moskau, wo 1936 auch meine Mutter zur Welt kam. Doch schon bald zeigte sich, dass auch im Kommunismus Intoleranz und Vorurteile Wildwuchs feierten. Ein Jude aus Österreich? Da muss doch etwas faul sein. Es begann die Zeit der Verfolgungen und Internierungen, Willi und Maria entschlossen sich das Land zu verlassen.
… in die Traufe
Doch sie kamen zurück in ein Wien, dass sich auch nicht zum Besseren gewandelt hatte. Ein Wien des Ständestaates und Antisemitismus, ein Wien, das den „Führer“ jubelnd begrüßte. Mit einem der letzten Züge flohen meine Großeltern und meine Mutter aus Wien nach Frankreich. Doch auch in Paris waren sie nicht sicher, denn die Truppen der Nazidiktatur drangen auch in dieses Land.
Ein Mann, der in der Sowjetunion gearbeitet hat, ein Ausländer? Mein Großvater wurde von den Franzosen interniert, ein schwerer Schlag für die Familie. Sie konnte gerade noch rechtzeitig einen Platz auf einem Schiff nach New York ergattern. Doch auch in der neuen Heimat war es ihm und seinen Lieben nicht vergönnt, Wurzeln zu schlagen. Also ging es zurück nach Wien.
Mein Großvater arbeitete dann u. a. für Unilever (u. a. Vorläufer von Eskimo), war bei der Entwicklung von Eis beteiligt. Später entwickelte er die Idee von Pez-Zuckerln mit Geschmack weiter. In der Nachkriegszeit war ein sicherer Job keine Garantie – so verlor er immer wieder seine Arbeit und suchte unermüdlich weiter.
Mein Anker im Leben
Und trotz dieser dauernden Suche fand er Zeit, mit mir zu spielen, spazieren zu gehen. Es war für Männer in Wien in dieser Zeit keineswegs selbstverständlich, sich öffentlich mit kleinen Kindern zu zeigen. Aber Willi kümmerte sich nie darum, was andere machten und suchte seinen eigenen Weg, der auch darin bestand, mir ein Großvater zu sein, der wartete, wenn ich nach Hause kam und mit mir unbeschwerte Urlaubstage in Istrien und in Kärnten verbrachte.
Ob er mit mir darüber sprach, wie es ist oder sein könnte ein Mann zu sein? Nun er war nur bedingt der Gesprächigste. Er las seiner Frau, meinen Bruder und mir stundenlang vor. Und er schwieg oft. Wahrscheinlich war er auch irritiert, vielleicht ein Stück enttäuscht von dem Weg, den ich gewählt hatte, als ich mit 16 begann, in die Kirche zu gehen und mich mit 18 taufen zu lassen. Er hatte eine Kirche erlebt, die sich nur sehr bedingt vehement gegen die Nationalsozialisten auflehnte oder dafür sorgte, dass Juden auf der Flucht sicher waren. Trotzdem und auch weil er mir so wichtig war, trug ich bei der Taufe seine schon etwas abgewetzte Strickjacke, die dort dann etwas vom Wachs meiner Taufkerze abbekam.
Männervorbild
Er erzählte mir manchmal von seiner Kindheit, von seiner Zeit in Wien, wo er aufgewachsen war und ich machte Tonaufnahmen davon. Als ich auf ein Jugendlager fahren wollte, erkundigte er sich besorgt, ob ich genug über Verhütungsmethoden Bescheid wusste. Er lebte mir vor, dass Mann sein auch Zuwendung bedeutet, sich Zeit nehmen, begleiten, an der Hand nehmen. Er war in jeder Hinsicht eine treue Seele und gleichzeitig in seiner Überzeugung unbeugsam.
In seiner Wortkargheit zeigte er doch seinen Stolz, dass ich mich für den Zivildienst entschied, in dieser Zeit ein sehr steiniger Weg. Willi motivierte mich auch dazu, mich mit der Weltgeschichte zu beschäftigen und mich politisch zu engagieren. Und ich lernte von ihm auch den Genuss, miteinander vor den Fernseher zu sitzen – wobei er nicht nur Krimiserien mit Georges Simenon oder „Den Alten“ liebte, sondern interessanterweise auch Dallas. Er hatte die Gnade, zuhause sterben zu können, an einem Ort, der endlich ein Stück Heimat geworden war.
Die Geschichte geht weiter
Seit April dieses Jahres bin auch ich Großvater. Und denke viel darüber nach, was es heißt, diese Rolle mit Leben zu füllen. In einer Mischung aus Nähe und Distanz. In Zeit geben. Im Zuhören. Sicher bin ich mir darin, dass ich Finn Charlie erleben lassen will, dass Mann-Sein oder eben auch Vater- und Opa-Sein sehr, sehr vielfältig aussehen kann. Denn es gab und gibt immer wieder Männer, die sich entgegen aller gesellschaftlicher Konventionen intensiv ihren Kindern zuwenden, so wie mein Großvater mit mir auch in der Öffentlichkeit spielen.
Ich möchte meinem Enkel viel von Willi erzählen und wie er sich hingebungsvoll seiner Frau zuwendete und sich niemals unterkriegen ließ, an seinem Weg und seiner Überzeugung dranblieb. Und von anderen Männern mit unkonventionellen Lebensentwürfen, die sich auch gegen die Herrschenden auflehnen, die auf andere Menschen offen und tolerant zugehen, die sich (gesellschafts)politisch engagieren. Als Großvater möchte ich Finn Charlie von meinen ersten Begegnungen mit diesem Jesus erzählen – den ich in der Zuwendung von anderen Jugendlichen erlebte, die mich nahmen, wie ich war, in lebendigen Gottesdiensten mit einer „heutigen“ Sprache, mit kraftvoller Musik. Einem Jesus, der sich einsetzte für eine Welt der Gerechtigkeit und Toleranz. Ich bin neugierig auf diesen Weg, lieber Finn und was ich dabei von Dir lernen darf….
Christian F. Freisleben.
Der Autor ist Berater, Referent, Journalist Linz, halbtags FH St. Pölten (Hochschuldidaktik)