Von der Wiege in die Wiege
Die drei mächtigsten Projekte aus dem „Rucksack der Alternativen“, die wir bei unserem 22-tägigen Pilgern Anfang November von Wien nach Salzburg in Richtung Weltklimagipfel in Paris gesammelt haben, sind: 1. Bei Melk gibt es die Druckerei Gugler, die weltweit als erste „cradle to cradle“ produzieren. Ihre Produkte sind so im Kreislauf gemacht, dass sie am Ende wieder in die Wiege gelegt und neu verarbeitet werden können. Das berührt mich, den es könnte die Wiege unseres zweiten Enkelkindes sein. 2. Die Marienschwestern realisieren in ihren Kurhäusern in Bad Kreuzen, Aspach und Bad Mühllacken die Traditionelle Europäische Medizin. Das, was rund um uns ist, heilt uns. Lokale Kräuter und lokales Wissen werden für die Heilung eingesetzt. 3. Die Streuobstwiesenschokolade von Ottensheim bezeugt, dass hier seit Jahren eine Gemeinde nachhaltige Gemeinschaftsprojekte fördert und realisiert. Der gemeinsame Nutzen steht vor Einzelinteressen. Internationale Preise sind schon nach Ottensheim gekommen.
Wachstum funktioniert nicht mehr
Papst Franziskus zeigt, wie soziale und ökologische Fragen untrennbar verbunden sind und das Leben der Ärmsten prägen. Er fordert alle auf, das gängige Wachstumsmodell, an dem sich in unseren Ländern die politischen Entscheidungen, wirtschaftliche Produktionsformen und soziale Bewertungen orientieren, auf seine Auswirkungen hin zu prüfen. Er lädt ein, das Konzept von „Fortschritt“ gründlich zu überdenken, das sich in unseren Köpfen massiv festgesetzt hat. Ich selber fordere, dass der #COP21 (UN-Klimaschutzkonferenz in Paris) mit dem „Wachstumsparadigma brechen muss“. Ich sehe als neues Leit-Paradigma die Solidarische Ökonomie.
Leben in der Megamaschine
Persönlich habe ich als Klimapilger im Sommer via Twitter fast täglich einen Satz von Laudato Si gepostet. 144 Zeichen sind nicht viel. Es hat mir gezeigt, dass fast jeder Satz ohne größere Zusammenhänge Aussagekraft und Verständlichkeit besitzt. Wer dieses Dokument genau studiert, wird zwei Menschenbilder miteinander ringen sehen. Auf der einen Seite das rein technokratische Bild vom Menschen, das der Papst in seiner jetzigen Form massiv kritisiert. Auf der anderen Seite stellt er das spirituell-ökologische Bild vom Menschen in den Vordergrund. Meine Erfahrung zeigt mir, dass gerade das Gehen und Pilgern eine wunderbare Methode sind, in das neue Bild vom Menschen hineinzugehen.
Der Mensch wird von der Wirtschaft als konsumierende Maschine gesehen. Alle Werbung geht in diese Richtung. Selbst Emotionen werden benutzt. Ein Buch hat diesen Trend unglaublich scharf und klar dargestellt: „Die Megamaschine“ von Fabian Scheidler.
Alles ist verbunden
Eine „ganzheitlichen Ökologie“ besteht darin, die gesamte Schöpfung als „gemeinsames Haus“ zu erfassen und zu erleben. Es geht zuerst um den Lebensraum, den wir alle teilen, dessen Zustand alle betrifft. Der Papst sagt „Mitwelt“ statt „Umwelt“. Das finde ich sehr wesentlich. Materie und Lebewesen sind untereinander eng verbunden und aufeinander angewiesen. „Ich glaube, dass Franziskus das Beispiel schlechthin für die Achtsamkeit gegenüber dem Schwachen und für eine froh und authentisch gelebte ganzheitliche Ökologie ist.“ Mit diesem Satz über den hl. Franziskus begründet der Papst die „ganzheitliche Ökologie“.
Transparenter Dialog
Franziskus sieht den sozialen Dialog als einen Beitrag zum Frieden. Er adressiert „Laudato Si“ nicht nur an die Christen und Christinnen, sondern an alle Menschen. Es geht um einen Austausch verschiedener Erfahrungen und Perspektiven und nicht um den Kampf um mehr oder weniger verschleierte partikulare Interessen. Diese Partikularinteressen der Mächtigsten werden immer wieder im Text kritisiert und als ein ausschlaggebender Grund für die Beschädigung des „gemeinsamen Hauses“ gesehen. Sie haben zu einer falschen Anwendung der Technologie geführt. Sie verschlimmern die Lebensbedingungen der Armen. Sie entziehen der Öffentlichkeit wesentliche Informationen und führen zu falschen politischen Entscheidungen. Sie bewirken Korruption. Hingegen führen Prozesse des offenen Dialogs zu einer transparenten Kommunikation zwischen allen Beteiligten.
Glückliche Genügsamkeit
Meine tiefe Motivation für die fast 400 km Fußweg beim Klimapilgern war auch die Selbstermächtigung als Konsument. Wir nutzen unsere Macht zu wenig: Wir entscheiden, wie und wo unsere Lebensmittel und Güter erzeugt werden. Darüber hinaus sind bei meinem Gehen die zwei Grundfragen immer weiter gewachsen: „Wie geht Reduktion? Wie kommt mehr Liebe in die Welt?“ Viele Projekte, die wir gesehen haben, Menschen, denen wir begegnet sind, Landschaften, die wir bewundert haben, haben dann eine „Schönheit“ entfaltet, wenn sie aus der tiefen Quelle der Spiritualität gespeist waren. Es waren immer Menschen, die nicht zufrieden waren im Gefängnis der jetzigen Plausibilitäten und oft Unerhörtes gewagt haben. Alleine auf der schmalen Spur dieser fast 400 km durch Österreich haben wir das Aufkeimen einer neuen Welt, die den Wandel hin zu einer neuen Wirtschaft erlebt.
Auch die Medien sind zum Großteil Gefangene des laufenden Systems und entwickeln keine Kritik mehr, weil sie von den Werbeeinnahmen finanziert werden. Es liegt an uns, das Neue und fast noch Unscheinbare zu suchen, ans Licht zu heben und mit dem konkreten Alltag in Verbindung zu bringen. Gerade die Entwicklung eines neuen Lebensstils auf Grundlage von Genügsamkeit und Demut ist erforderlich. Das Büchlein von Pierre Rabhi, „Glückliche Genügsamkeit“, war im Rucksack mit dabei. Der Gedanke an die kommenden Generationen müsste eigentlich den tiefsten Motivationsschub auslösen. Wir haben kein Recht, deren Lebenschancen zugrunde zu richten. Darum: Alles im Kreislauf von der Wiege wieder in die Wiege zu denken und konsequent tun.
Autor: Ferdinand Kaineder ist Pressesprecher der österreichischen Ordensgemeinschaft.