ERWARTUNG
Wenn eine Frau ein Kind erwartet, sagt man: sie ist "in guter Hoffnung". Und so ist der Advent eine hoffnungsvolle Zeit und eine Zeit der Ermutigung: Erwarte das Leben!
Es macht Sinn und bringt uns zu einem tieferen Verständnis von Erwartung, wenn wir diese von unseren Erwartungen unterscheiden. Vielleicht liegt ein Sinn des Advents auch darin, uns von unseren "Erwartungen", von unseren inneren Bildern und Vorstellungen zu lösen und neu das "Erwarten" zu lernen.
Leo Tolstoi bringt das in seiner bekannten Geschichte vom Schuster Martin ganz wunderbar zum Ausdruck. Das Warten auf das Kommen Jesu ist nicht etwas, was sich irgendwie abgehoben von unserer Welt und unserem Leben abspielt. Vielmehr heißt es: aufmerksam sein für das Naheliegende, für die Menschen, die auf uns zukommen, mit denen wir zusammentreffen. Aufmerksam sein auch für das, was unser Leben durchkreuzt. Aufmerksam auch für gesellschaftliche Vorgänge und Strukturen.
Vielleicht ist gerade das, wo uns jemand oder etwas „stört“, eine Chance, eine Gelegenheit zu einer Begegnung. Uns auf diese Begegnungen einzulassen kann uns die Möglichkeit geben, warmherziger und barmherziger, liebevoller und gerechter zu werden.
Eine Gottesbegegnung kann also bisweilen völlig überraschend stattfinden. Gott verbirgt sich in unseren Mitmenschen und begegnet uns bisweilen, indem er uns stört, indem er als ein unerwarteter Besuch vor unserer Tür steht.
Oder indem er uns immer wieder „lästige“ Fragen stellt, wie wir es so wunderbar bei Jona, unserem heurigen biblischen Jahresbegleiter, sehen. Fragen, die meinen Horizont öffnen und weiten. Fragen, die die Hoffnung auf gute Lösungen und Entwicklungen nähren. Fragen, die mich zu einem Gott der Liebe, der Güte und der Menschenfreundlichkeit hinführen.
So gilt es im Advent besonders wachsam zu sein und eine besondere Aufmerksamkeit dafür zu entwickeln, wenn jemand bei uns „anklopft“ - sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn.
Impulsfragen:
- Was geht in mir vor, wenn ich auf etwas oder jemanden warte(n muss)?
- Was hilft mir bzw. was brauche ich, damit ich mich mir selber/meinem Inneren zuwenden kann?
Mag. Wolfgang Bögl, Theologischer Assistent der KMB OÖ