Impulse zum Gründonnerstag
Es geht um Abschied und Trennung, es geht um so etwas wie ein Vermächtnis und im Zusammenhang damit um ganz dichte Symbole und Symbolhandlungen: die Zeichen von Brot und Wein und das Teilen von Brot und Wein, die Fußwaschung.
Am Gründonnerstag erleben wir wirklich große Gegensätze und Spannungen in der ganzen Bandbreite menschlichen Lebens:
- eine tiefe und innige Gemeinschaft im Mahl einerseits - Verrat und Verleugnung andererseits
- Auf der einen Seite Ergebenheit, Demut und Hingabe - auf der anderen Seite Auflehnung, Aufbegehren, ja Aufstand gegen Gott;
- Wir erleben Jesus in seiner radikalen Einsamkeit und Todesangst und Jesus, der sich letztlich in die Hände Gottes fallen lassen kann.
Jesus hinterlässt sein „Testament“
Ein erster wichtiger Hintergrund, auf dem wir das Geschehen vom Gründonnerstag betrachten können, ist die Situation des Abschieds. Wenn man die verschiedenen Evangelien anschaut, dann fällt auf, wie ausführlich Jesus seinen Abschied plant und durchführt: ein großes Abschiedsmahl, viele Gespräche, vieles, was noch gesagt werden sollte. Er hinterlässt sozusagen sein "Testament".
Beim Evangelisten Johannes ist das besonders ausgeprägt: er füllt etwa ein Drittel seines ganzen Evangeliums mit dem Bericht von den Abschiedsreden und dem Abschied selbst. Jesus spürt, dass die Zeit seiner Verhaftung und seines Leidensweges schon sehr nahe ist, dass er auch schon bald vom engsten Kreis seiner Freunde und Jünger getrennt sein wird. Den Aposteln scheint das noch nicht bewusst zu sein oder sie wollen es noch nicht wahrhaben, was da auf sie zukommt.
INNEHALTEN:
Wenn ich mich von meinen Lieben verabschieden müsste, welches „Testament“ möchte ich ihnen hinterlassen?
Das Zeichen des Teilens von Brot und Wein
Doch Jesus vollzieht an diesem Abend ganz bewusst seinen Abschied und in allem, was er sagt und tut, will er noch einmal ganz verdichtet den Kern, das Zentrale seiner Sendung zum Ausdruck bringen. In allem, was er sagt und tut.
Den Zeichen und Handlungen kommt hier also auch eine besondere Bedeutung zu: dem Mahl halten, dem Brechen und Teilen von Wein und Brot, dem Waschen der Füße. Der Evangelist Johannes erzählt anders vom letzten Abend Jesu mit seinen Jüngern als die anderen drei Evangelisten. An der Stelle, wo die Evangelisten Mk, Mt und Lk relativ ausführlich vom Mahl berichten, vom Teilen des Brotes und des Weines, da findet sich bei Johannes nur ein ganz knapper Hinweis. Die zeitlich ältesten schriftlichen Hinweise auf dieses letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern finden wir jedoch in den Briefen des Apostels Paulus.
Das Zeichen der Fußwaschung
Warum aber nimmt beim Evangelisten Johannes der Bericht von der Fußwaschung ein solchen Stellenwert ein?
Es muss schon eine besondere Bewandtnis damit haben, dass er an die Stelle des sogenannten Einsetzungsberichtes den Bericht von der Fußwaschung setzt. In der Fußwaschung drückt Jesus eine grundlegende Haltung aus, eine Lebenshaltung, nämlich die Bereitschaft sich zu bücken, sich auf den Boden, auf die Erde hinunterzulassen. Er tut hier einen Sklavendienst - ein solcher war es nämlich damals.
Bereit sein zu geben und bereit sein zu nehmen
Wir hören dann auch davon, wie Petrus dagegen protestiert: er will seinen Herrn nicht in der Gestalt eines Knechtes sehen, er will seinen Dienst nicht annehmen. "Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir." - so antwortet Jesus auf den Protest des Petrus.
Man muss auch einen Dienst annehmen können. Auch Jesus lässt sich einmal von Maria Magdalena die Füße waschen, mit kostbarem Öl einreiben und mit ihrem Haar trocknen - der Evangelist Johannes berichtet davon.
Es werden zwei Dimensionen von Fußwaschung deutlich: bereit sein zu geben und bereit sein zu empfangen. Sich von Jesus die Füße waschen zu lassen, heißt an diesem Abend Teilhaben an seinem Tod und seiner Auferstehung. Das Leben, das Jesus durch seinen Tod erlangt, wird auch den Jüngern zuteil. Verstehen werden sie das Ganze allerdings erst später!
INNEHALTEN:
Wie geht es mir mit dem Geben und Nehmen in meinem Leben?
Demut als der Mut sich in den Dienst zu stellen
Am Abend des Gründonnerstags erleben wir Jesus als einen, der gibt, der sich ganz hingibt, der sich zum Diener seiner Jünger macht. Er stellt sein Leben unter das Gesetz der Demut. Dabei sollten wir aber genau hinschauen, wie denn diese Demut bei Jesus ausschaut und dazu müssen wir sein ganzes Leben betrachten. "Demut" heißt im Lateinischen "humilitas". Da steckt das Wort "Humus" drinnen, also "Erde, Boden".
Demütig sein, heißt also erdverbunden sein. Eine ganz klare Sicht haben auf die Dinge, die in der Welt vorgehen, und einen besonderen Blick haben auf Gerechtigkeit, Menschenwürde und vor allem auf alle Leidenden und Opfer.
Leider hat es in der Kirchengeschichte immer wieder recht starke Tendenzen gegeben, die aus dem heutigen Evangelium eine Art Demutsideologie abgeleitet haben. Eine Ideologie, die da lautet: du musst dich aufopfern, hingeben, gehorsam sein, verzichten, in dein Schicksal fügen - so wie Jesus es getan hat. Mit einer solchen Ideologie konnte sehr viel Unrecht und Leid verfestigt werden, weil sie die Menschen klein macht und ihrer Würde beraubt. Demut hat nichts, aber auch schon gar nichts mit Demütigung - oder besser: sich demütigen lassen - zu tun oder mit Duckmäusertum.
INNEHALTEN:
In den Dienst welcher Sache oder welcher Idee bin ich bereit mich mit meiner ganzen Kraft zu stellen?
Aufbegehren gegen das Schicksal
Wenn man das ganze Geschehen des Gründonnerstages betrachtet, also auch das, was nach dem Abendmahl auf dem Ölberg geschehen ist, dann erleben wir da auch die andere Seite bei Jesus. Dass er sich nämlich gegen sein Schicksal auflehnt, dass er aufbegehrt, ja im Gebet mit Gott ringt und gegen das "Unvermeidliche" aufsteht.
Menschlich gesehen ist dieser Prozess ganz wichtig, weil der der Selbstvergewisserung dient: Jesus weiß, dass er nicht ausgeliefert ist, er selber kann und wird dann auch diesen Weg gehen. Es ist sein freier Wille, kein unausweichliches Schicksal, diesen schweren Weg bis zum Kreuz zu gehen. Dieser Weg ist die Konsequenz aus seinem Leben und Handeln.
Ein verkürztes Bild von Jesus, das ihn allein im gehorsamen Erleiden und Erdulden zeigt, wäre wohl irgendwie unglaubwürdig und es würde auch nicht zu dem Gesamtbild passen, das vor allem die Evangelien von ihm zeichnen. Denn Jesus hat immer auch für andere Menschen den Mund aufgemacht und für andere und für seine befreiende Botschaft gekämpft: für sein Gottesbild, für sein Menschenbild, für sich selbst. Diese kantigen Züge gehören zum Wesen unseres Erlösers ganz fundamental dazu, und daher auch zum Kern und Wesen einer christlichen Lebenshaltung.
Am Gründonnerstag lernen wir an Jesus, dass es notwendig und psychisch gesund ist, ERST zu kämpfen, ERST sich auseinanderzusetzen, sich dem "Schicksal" zu widersetzen, zu trotzen und zu sagen: "Nein, ich will es nicht, ich will leben!".
Aufstehen und Kämpfen für das Leben - das war ja das Lebensprogramm Jesu!
Beten im ganzen Spektrum menschlichen Erlebens und menschlicher Gefühle
Glaube in der Nachfolge Jesu setzt also die Persönlichkeit und Stärke des einzelnen nicht außer Kraft, sondern voraus. Es ist ein Vertrauen, das nicht einem blinden Sich-Ausliefern gleicht. Kein Gehorsam VOR der Auseinandersetzung, keine Ergebung VOR dem Ringen, kein Hinnehmen VOR dem Auflehnen. Leben aus dem Glauben ist immer eine Auseinandersetzung, ein Prozess, ein Weg!
Das gilt übrigens auch für das Beten. Auch das können wir gerade am Gründonnerstag bei Jesus sehen. Beten ist für Jesus neben Schweigen, Stille, Lauschen und Offensein auch: sein Leid, seine Not, seinen Schmerz hinausschreien, Angst haben dürfen, seine Ohnmacht spüren und aushalten.
Jesus wird beschrieben als ein Mann, der "Blut und Wasser schwitzt".
Trotz seiner Angst und mit seiner Angst geht er seinen schweren Weg. Die ganze Breite und Tiefe des Lebens kommt hier zum Ausdruck. Die Dimension der Nacht, des Ölberges gehört ganz wesentlich zum Geschehen des Gründonnerstags dazu.
INNEHALTEN:
Was prägt mein Beten? Bekommen da auch die dunklen und schwierigen Seiten meines (Er-) Lebens ihren Ausdruck?
Der Schriftsteller Hermann Hesse schreibt einmal: „Einsamkeit ist der Weg, auf dem das Schicksal den Menschen zu sich selber führen will.“ In dieser Nacht am Ölberg ist Jesus radikal einsam und wird ganz auf sich zurückgeworfen. Er ist alleingelassen im größten Kampf und in der schwersten Krise seines Lebens.
Und erst am Ende - nach der durchlittenen menschlichen Not und auch nach der Enttäuschung über seine Jünger - hat er einwilligen können in das, was seine Bestimmung ist. „Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.“
Jesus lässt sich in seinen Urgrund fallen und überwindet so die Schatten und das Dunkel.
Als bedeutsame Botschaft des Gründonnerstags bleibt: Der Weg des Lebens ist immer auch ein Weg des Daseins für andere.