Impulse zum Palmsonntag
Der Palmsonntag ist einer der bestbesuchten Gottesdienste im Kirchenjahr. Das Palmbuschbinden ist ein Brauch, der noch tief in der Bevölkerung verankert ist. Wenn wir am Palmsonntag die gesegneten Palmbuschen mit in die Wohnung nehmen und hinter das Kreuz stecken, stellt dieser Brauch ein „handgreifliches“ Glaubensbekenntnis dar, dass wir zu Christus gehören und ihn als den König unseres Lebens verehren.
Wo stehe ich in dem ganzen Geschehen?
Schauen wir aber noch ein wenig genauer hin auf das Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem. Die Menschen strömen in großen Mengen zusammen und bereiten dem hereinziehenden Jesus einen Weg mit ihrem Gewand und mit Palmzweigen. Die Palmzweige sind ein uraltes, in vielen Kulturen beheimatetes Königsattribut, das Ehre, Macht und Herrschaft ausdrückt. Dem ersten Anschein nach ein triumphaler Einzug, der in der Antike wohl nur machtvollen Herrschern oder siegreichen Feldherrn vorbehalten war.
In der Palmprozession spielen wir ein Stück weit diese biblische Szene nach. Im rituellen Nachvollziehen fühlen wir uns tiefer hinein, als wenn wir es nur hören. Er steckt aber auch eine gewisse „Gefahr“ hinter dem Ritual der Palmprozession: die Rollen könnten zu leicht festgelegt sein. Wir tun ganz automatisch so, als seien wir alle auf der Seite Jesu, der selbstverständlich bei uns einzieht. Das Evangelium will uns aber vielleicht zuerst einmal kritisch fragen, wo wir selber denn stehen in diesem Geschehen: sind wir bei den Neugierigen, den Erwartungsvollen, den Gleichgültigen, den Sensationssuchenden, den Radikalen oder den Ängstlichen. Es lohnt sich also, einige dieser Rollen einmal genauer zu beleuchten.
Innehalten:
Zu welcher Gruppe - glaube ich – hätte ich damals gehört? Was sind meine Erwartungen an Jesus? Was sind meine Erwartungen an das Leben? An den Glauben?
Welches „Hosanna“ also rufen wir, rufe ich?
Schon mit dem Vorlesen der Leidensgeschichte im weiteren Verlauf der Palmsonntagsliturgie wird uns vor Augen geführt, wie schnell ein „Hosanna!“ (=“Hilf uns!“) in ein „Kreuzige ihn!“ umschlagen kann. Wir kennen sie allzu gut aus der Geschichte, die sogenannte „Psychologie der Massen“, die sich ja nur allzu leicht an dem orientiert, was Einfluss, Macht, Bedeutung oder Ansehen zu versprechen scheint. Das „Hosanna“ als ein Huldigungsruf an einen ersehnten König, Führer, Heilsbringer?
Was für ein machtvoller Mensch wird uns aber da heute vorgestellt, der da am Rücken einer Eselin in Jerusalem einzieht? Schon allein dieses Bild vom Reiten auf einer Eselin konterkariert jegliche Erwartung eines mächtig-gewaltvollen Herrschers oder Befreiers. Vielmehr geht es um den schon in den alten Schriften verheißenen Friedenskönig.
Als erste Aktion Jesu nach dem Einzug in Jerusalem erzählt uns der Evangelist Matthäus, dass Jesus die Händler aus dem Tempel vertreibt.
Modell von Jerusalem mit dem Tempel zur Zeit Jesu
Einen Teil der Interessierten und Neugierigen hat Jesus damit wohl schon verloren, die Pharisäer und Schriftgelehrten. Schnell wird die neugierige oder euphorische Stimmung umschlagen in Feindseligkeit.
Jesus wird auf seinem letzten schweren Weg in Jerusalem auch noch andere enttäuschen, die in ihn etwa einen politischen Befreier gesehen haben. Aber Jesus ist keiner, der mit dem Schwert dreinfährt. Vielmehr ist das Reich, von dem Jesu mit seinem ganzen Leben und Wirken spricht, ein Reich der Liebe, der Gerechtigkeit, des Friedens, der Gewaltlosigkeit, der Versöhnung, der „metanoia“, der Änderung in den grundlegenden Werten und Haltungen – in der Ausrichtung auf Gott, sichtbar und wirksam im Leben Jesu.
Innehalten:
Wie sehr lasse ich mich „mitreißen“ von Meinungen oder Stimmungen in der Gesellschaft? Wo/wann bin ich bereit, gegen den Strom zu schwimmen?
Konfrontation mit den menschlichen Schattenseiten
Schon am Palmsonntag werden wir also auch mit unseren menschlichen Schattenseiten konfrontiert, die es in uns wahrzunehmen und zu integrieren gilt. In der Leidensgeschichte Jesu spiegeln sich unsere eigenen Leidens-, Kränkungs- und Enttäuschungsgeschichten wider.
Wenn wir die Geschichte Jesu rein menschlich betrachten, ist es ein wirkliches Drama: was für eine Enttäuschung muss es sein, wenn plötzlich so viele umschwenken, sich mit dem Wind drehen und auf einmal nicht mehr für ihn (Palmsonntag), sondern gegen ihn (Karfreitag) sind. Was für eine Enttäuschung, wenn seine engsten Freunde in seiner größten Not verschlafen, versagen – anstatt bei ihm zu sein, ihn zu stärken und zu unterstützen. Was für eine Enttäuschung, wenn sein eifrigster Anhänger, Petrus, auf einmal vorgibt, ihn nicht zu kennen. Was für ein menschliches Drama!
Innehalten:
Kann ich hinschauen auf die „wunden Punkte“ meines Lebens (Verletztheit, Enttäuschung, Kränkung)? Wie sehr nehmen mich diese in „Beschlag“? Bin ich bereit, mich davon zu lösen?
„Mein Königtum ist nicht von dieser Welt.“
Schon am Beginn der Karwoche, am Palmsonntag werden wir ganz wesentlich dorthin geführt, wo es um das richtige Verständnis von der Mission Jesu geht. Wir werden konfrontiert mit den menschlichen Licht- und Schattenseiten. Es ist keineswegs leicht, diesen Weg Jesu, der ihn letztlich ins Leiden und in den Tod führt, zu verstehen und zu begreifen. Welcher Art das Königtum Jesu ist, können wir erst im Licht von Ostern richtig verstehen und einordnen.