Ein überraschender Gott, den uns das Christentum anbietet
Das kennen wir vom biblischen Gott zwar auch. Aber dieser lässt sich gerade auch im Niedrigen, Armseligen, Gebrechlichen finden - auch im Gewöhnlichen, Unvollkommenen und Mittelmäßigen - ja in allem, was wir leicht übersehen oder zumindest nie mit ihm in Verbindung bringen würden. Er erscheint in der Welt als kleines, hilfloses Kind in einem armseligen Stall. Und Gott macht uns Menschen dadurch groß und gibt jedem von uns Bedeutung.
Ist es aber nicht viel leichter, das Starke, Schöne, auch das Heilige anzunehmen? Und ist nicht das Armselige, das Gewöhnliche und die Dunkelheit unsres Lebens so schwer anzunehmen?
Doch gerade in diese Dunkelheit kommt Gott. Zu dieser Dunkelheit sagt er sein Ja. Weihnachten ist ein Fest in der Dunkelheit. Und wir begreifen es nicht, wenn wir nicht auch unser eigenes Dunkel annehmen: unser Leiden, unsere Schwächen, unser Scheitern, unsere Schuld.
Rettung, Erlösung ereignet sich in der Bibel sehr oft in der Nacht, im Dunkel. Denken wir an die Bibelstellen von Weihnachten und Ostern.
Die Licht- und Schattenseiten des Lebens zur Sprache bringen
Die Weihnachtsbotschaft bringt uns also eine große Erleichterung: wir brauchen das Dunkel unseres Lebens nicht mehr abspalten oder verdrängen. Vielleicht kann uns diese Botschaft helfen, auch das Dunkel unseres Lebens ein wenig besser zu tragen und zu ertragen.
Denn wir haben die Zusage, dass Gott auch in unserem Leben zur Welt kommen will, dass er unter uns wohnen will - trotz oder gerade auch wegen der Dunkelheiten in unserem Leben.
So liegt in dieser biblischen Weihnachtsbotschaft eigentlich eine ungeheure Entlastung: wir brauchen uns an diesem Fest nichts vorzumachen, wir brauchen keine Fassade. Nein, da können wir, so wie wir sind, vor dieses göttliche Kind hintreten und spüren, dass wir von Gott angenommen, beschenkt und geliebt sind. Wir sind also mit unserem ganzen Leben gut in dieser Weihnachtsbotschaft aufgehoben.
Wenn daher zu Weihnachten die Geburt des Lebens gefeiert wird und wir dadurch Mut zum Leben bekommen sollen und dürfen, dann ist es notwendig, dass wir die Gesamtheit des Lebens im Blick haben, dass wir zu Weihnachten die Licht- und die Schattenseiten des Lebens zur Sprache kommen lassen. Denn auch schon in den biblischen Berichten von der Geburt Jesu kommen beide Seiten zur Sprache. Von Anfang an nämlich stand auch schon die Bedrohung über diesem göttlichen Leben.
- Da ist das göttliche Kind - und die bittere menschliche Armut.
- Da ist die neue Geburt - und der Mordbefehl des Herodes.
- Da ist die liebevolle und warme Szene im Stall - und da ist die Flucht nach Ägypten.
- Da ist das Erscheinen der Engel - und die Heimatlosigkeit in der Verfolgung.
- Da ist die himmlische Botschaft vom "Heiland der Welt" - und eine eigentlich ja sehr tragische menschliche Geschichte.
Schon in den Kindheitserzählungen Jesu wird deutlich: das verheißene Kind ist vom Anfang an auch das gefährdete Kind. Das trifft auch eine Realität unseres Lebens, nämlich, dass unser Glück, unser Heilsein und Ganzsein immer auch gefährdet sind.
Die Schwäche Gottes für die Schwachen
Und noch eines wird deutlich: Gott steht ganz auf der Seite des gefährdeten Lebens. Er, der starke Gott, hat eine Schwäche für die Schwachen. Weihnachten ist also das Fest der Solidarität Gottes mit den Armen, Schwachen, Bedürftigen. Und es ist das Fest der Zusammengehörigkeit und Verbundenheit von uns Menschen untereinander.
Die Botschaft von Weihnachten ist also eine Botschaft, die zutiefst Hoffnung stiften will. Hoffen heißt, dass es auch dort noch eine Lebensperspektive gibt, wo das Leben gefährdet und bedroht ist. Und „Hoffen“ ist in der Bibel immer ein Tätigkeitswort, also nicht etwas, was sich nur im Kopf abspielt, sondern etwas, was sich im konkreten Tun und Leben auch zeigt.
Wenn uns diese Weihnachtshoffnung dorthin führt, dass wir wieder dazugewinnen an Herzlichkeit, Einfühlungsvermögen und Achtsamkeit, an Toleranz und Barmherzigkeit uns selber und dadurch auch unseren Mitmenschen gegenüber, dann ereignet sich genau darin die Geburt des göttlichen Lebens.
Weihnachten wird der Realität unseres Lebens gerecht
Ich denke, es ist genau das, was uns so berühren darf an diesem Weihnachtsfest, dass es so voll und ganz der Realität unseres Lebens gerecht wird. Und diese Bilder der biblischen Weihnachtserzählungen, die sprechen unsere Sehnsucht an, unsere Ängste und Nöte, unsere Hoffnung und unsere Enttäuschung, unseren Glauben und unseren Zweifel - UND sie wollen vor allem auch unsere Ahnung von einer anderen Welt ansprechen, die in unsere Welt einbrechen und sie verwandeln möchte.
So wünsche ich uns allen, dass uns die Bilder von Weihnachten an die Wirklichkeit unseres Lebens führen, dass sie in uns die Hoffnung wecken oder wachhalten, dass da eine andere, eine göttliche Wirklichkeit hereinbrechen kann in unser Leben, dass wir uns in unserer tiefen Sehnsucht berührt fühlen. Denn die Botschaft von Weihnachten ist das Angebot unseres christlichen Glaubens auf unsere Sehnsucht nach einem ganzen und erfüllten Leben.
Wolfgang Bögl, Theologischer Assistent der KMB Linz