Zukunftsangst und Osterglaube
Der Osterglaube fordert uns heraus. Als Christen müssen wir wie Thomas die Finger in die Wunden unserer Zeit legen, wir können nicht wegschauen. Der Auferstehungsglaube bringt uns dazu genau hinzuschauen, wo menschliche Würde gefährdet ist und wo sich unser menschliches Leben entfalten und wo es wachsen kann.
Der Befund einer „aktuellen Weltbetrachtung“ ist leider alles andere als ermutigend. Ängste dominieren derzeit häufig das Geschehen. Das spiegelt sich besonders auch in den öffentlichen Diskussionen und in der medialen Berichterstattung wider:
Terror vielerorts. Zäune und Mauern werden aufgezogen. Nationale Egoismen unterwandern die Idee der EU als Solidargemeinschaft. Wir beobachten ein Erstarken von rechtsradikalen und nationalistischen Parteien. Steigende Arbeitslosigkeit, Schere zwischen Reich und Arm, Entstehen von Parallel- und Gegengesellschaften, steigende Staatsschulden, Null-Zinsen. Wirtschaftskrise, Krise der Geldwirtschaft, Klimakrise, Krise der politischen Systeme, Flüchtlingskrise.
Politik im Modus der Krisenbewältigung
Von allen Seiten gibt es derzeit Forderungen an die Politik: mehr Polizisten, mehr Geld fürs Heer, mehr Lehrer, mehr Sozialarbeiter, mehr Ärzte und Pflegekräfte, mehr Geld für Wohnraum und Energiewende, mehr Geld für Familien und Pensionisten, mehr Geld für Entwicklungszusammenarbeit und Flüchtlingsbetreuung. Die Aufzählung der Forderungen ist keineswegs vollständig. Wie soll sich das ausgehen?
Die Gesellschaft wirkt zerrissen, das politische System blockiert – wohl auch angesichts so vieler Herausforderungen. Aktuell leben wir vielfach im Modus der Krisenbewältigung(en). Es mangelt an hoffnungsvollen Perspektiven. Kaum mehr Luft und Platz für Visionen. Die Angst um den Arbeitsplatz greift weit um sich, die Perspektive der Zukunft ist angstbesetzt. Gerade auch aus der Sicht der jungen Generation kein wirklich ermutigender IST-Zustand. Wo ist hier noch Platz für Hoffnung?
Unser Osterglaube als Quelle der Hoffnung?
Papst Franziskus sagte in seiner Osternacht-Predigt: „Wir sind berufen, mit unserem Leben den Auferstandenen zu verkünden. Andernfalls wären wir eine internationale Einrichtung mit einer großen Zahl an Anhängern und guten Regeln, aber unfähig die Hoffnung zu geben, nach der die Welt dürstet.“
Hoffnung für die Welt und unser christlicher Glaube an die Auferstehung müssten doch einiges miteinander zu tun haben. In der heurigen Osterzeit ist mir das Evangelium vom Sonntag nach Ostern besonders zu Herzen gegangen. Es ist die Erzählung vom „ungläubigen“ Thomas oder vom Thomas, dem Zweifler. In der Gestalt des Thomas rückt uns die Erfahrung von Auferstehung ja so menschlich nahe.
In der Folge versuche ich einige Annäherungen zu dieser Bibelstelle (Joh 20, 24-29), die vielleicht auch Ansätze dafür liefern können, wie wir – um die Wort von Papst Franziskus aufzugreifen - „mit unserem Leben Hoffnung in die Welt bringen können“.
Auferstehung hat zu tun mit Begegnung und Berührung
Auferstehung ist nicht zuerst eine Sache des Verstandes, sondern Auferstehung hat zuerst einmal etwas zu tun mit Begegnung und Berührung, mit Kontaktaufnahme – gerade auch mit den Mitmenschen, die leiden und (scheinbar) ohne Hoffnung sind. Es geht darum, sich berühren lassen von deren Wunden.
Durch das Berühren seiner Seitenwunde lässt Jesus den Thomas sein Innerstes, seine Mitte spüren. Und Thomas lässt sich berühren im Inneren, in seinem Herzen. Die Finger in die Herzseite Jesu legen, aus der am Kreuz Blut und Wasser geflossen sind, die beiden großen Lebenssäfte von uns Menschen. Was sind unsere „Lebenssäfte“? Aus welchen Quellen schöpfen wir?
Noch einmal: Wir begreifen Auferstehung wohl dann erst wirklich, wenn wir unsere Finger auf die Wunden des Lebens legen. Gerade auch durch die Begegnung mit den Wunden wird das Wunder einer (inneren) Wandlung möglich.
Die Finger in die Wunden der Zeit legen
Das ist wohl auch ein großer Auftrag für uns als Christen, als Kirche. Wir müssen unsere Finger in die Wunden unserer Zeit legen, wir können nicht wegschauen. Unser Glaube an die Auferstehung führt uns unumgänglich dorthin mitzuarbeiten und dafür einzustehen, dass in unserer Gesellschaft eine Kultur des Zusammenlebens besteht und entsteht, in der auch die Schwächen, das Versagen, das Leiden, die Verwundungen, die Schmerzen, der Tod – und auch die „kleinen Tode“ des Alltags (Enttäuschung, Trennung, Schuldig werden, Krankheit, Gebrechlichkeit…) ihren berechtigten Platz haben. Wo diese auch aus- und angesprochen werden können. Und wo es einen heilsamen und tröstlichen Umgang damit gibt. Wir dürfen uns auch in unserer Unvollkommenheit und Verletzlichkeit zeigen.
Unser Auferstehungsglaube richtet sich also gegen das Verdrängen und Verschweigen der wunden Punkte unseres Lebens und Zusammenlebens auf den verschiedenen Ebenen: Familie, Ort, Land, weltweit. Daher ist unser Auferstehungsglaube immer auch politisch. Wir sind als Christen herausgefordert, Stellung zu beziehen in den drängenden und brennenden Fragen unserer Zeit – in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Der Auferstehungsglaube bringt uns dazu genau hinzuschauen, wo menschliche Würde gefährdet ist und wo sich unser menschliches Leben entfalten und wo es wachsen kann. Aus dem Glauben an die Auferstehung erwächst uns die Hoffnung auf positive Veränderungen und Entwicklungen und die Kraft zum Handeln.
„Notstand“ in der Flüchtlings- und Asylpolitik?
Eine tagesaktuelle Herausforderung, zu der es auch aus unserem Glauben heraus Stellung zu beziehen gilt, ist sicherlich die aktuelle Asyl- und Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, insbesondere die vorgesehenen Maßnahmen zur Reduzierung der Mindestsicherung für Asylberechtigte und die derzeit angedachte Asyl-Notstands-Verordnung. So notwendig und nachvollziehbar es ist, dass es steuernde Maßnahmen für eine sinnvolle und nachhaltige Flüchtlings- und Integrationspolitik braucht, so sehr müssen hier doch unbedingt die schon vorhandenen gesetzlichen Rahmenbedingungen wahr- und ernst genommen werden. Es macht momentan den Eindruck, dass grundlegende und international geltende Rechte in der Asylgesetzgebung durch eine Art Notstandsverordnung ausgehebelt werden sollen.
Eine vorgesehene Begutachtungsfrist (üblicherweise vier Wochen) für die geplante Novelle zum Asylgesetz war in diesem Fall ursprünglich gar nicht vorgesehen. Nach heftigem Widerstand wurde nun wenigstens eine Woche als Begutachtungsfrist eingeräumt. Wiederum ist deutlich geworden, wie wichtig es ist, dass sich auch NGO’s und Kirchen zu Wort melden, um immer auch die Wahrung der Rechte und der Würde von Betroffenen einzumahnen.
Häufig bedeutet das auch, sich gegen einen gesellschaftlichen Mainstream stellen zu müssen, sich auszusetzen. Und zu riskieren, selber in Anfeindung und massive Kritik zu geraten. Hier ist Zivilcourage gefordert und ein Einstehen für die Menschen, die selber ihre Rechte nicht einfordern können.
Es gibt gerade in der Flüchtlings- und Integrationspolitik keine schnellen und einfachen Lösungen. Menschliche und menschenwürdige Lösungen müssen aber immer das Ziel sein. Deshalb ist es umso wichtiger, sich ausreichend Zeit für einen konstruktiven Austausch mit allen gesellschaftlich relevanten Kräften und Einrichtungen zu nehmen. Unumgänglich scheint mir, dabei immer auch die Erfahrungen und die Stimme der Betroffenen und auch der entsprechenden Hilfsorganisationen miteinzubeziehen.
Ich freue mich über Rückmeldungen zu meinen Gedanken (Anmerkungen, Fragen, Kritik), auf die ich auch gerne wieder eine Antwort gebe.
Schicken Sie diese bitte an: wolfgang.boegl@dioezese-linz.at
Wolfgang Bögl, April 2016