4. Fastensonntag: Betrachtungen zum Gleichnis vom barmherzigen Vater
Ich würde so weit gehen zu sagen, dass diese Erzählung Jesu sicherlich zu den ganz bedeutenden spirituellen Texten der Menschheit überhaupt gehört. Es geht um Dunkel und um Licht, ums Fallen und ums Aufstehen. Es geht um Schuld und Umkehr, um Liebe und Versöhnung – also um große Lebensthemen.
Dieses Gleichnis ist im heurigen Lesejahr C als Evangelium vom 4. Fastensonntag, dem sogenannten Sonntag „Laetare“ (= Sonntag der Freude), vorgesehen.
Schauen wir zuerst einmal auf den Zusammenhang, in dem diese Geschichte, dieses Gleichnis vom Vater und seinen beiden Söhnen, im Lukasevangelium steht. Der Anlass dafür sind die Feste, die Jesus feiert – auch mit Zöllnern, armen und ausgestoßenen Leuten und allerlei Sündern. Die Schriftausleger und Pharisäer machen ihm das zum Vorwurf: „Dieser Mann gesellt sich zu diesem Gesindel und hält sogar Mahl an ihrem Tisch!“. Genau diesem Vorwurf begegnet nun Jesus mit dieser Geschichte.
Gleichnisse sind in der Bibel immer Weckrufe, uns selber und unser Innenleben genauer zu betrachten. Sie wollen etwas in uns in Bewegung bringen. So frage ich stellvertretend für jeden von uns: Bringt diese Geschichte bei mir etwas in Bewegung, bringt sie mich in Bewegung? Kann ich mich wiederfinden? Im jüngeren Sohn? Oder im älteren? Im Vater?
Beginnen wir mit unserer Betrachtung beim jüngeren Sohn.
Es ist die Geschichte von einem jungen Mann, der auszieht, um etwas vom Leben zu erfahren.
Jedoch kann er mit dem, was er mitbekommen hat, nicht wirklich haushalten und gut damit umgehen. Verschwenderisch verbraucht er innerhalb kurzer Zeit sein „Kapital“, verliert sich in oberflächlichen Befriedigungen. Vergisst offenbar auch seine Herkunft und wem er alles verdankt hat. Sehr schnell kommt das bittere Erwachen und er muss erkennen, dass das nicht trägt und Bestand hat, was er in seinem Lebenshunger für Leben gehalten hat.
Und plötzlich ist da ein junger Mann, der entwurzelt ist, der ohne Halt in der Fremde lebt. Von sich selber entfernt, verloren, ausgesetzt, arm und innerlich zerrissen. Schließlich landet er bei den Schweinen. Es gibt wohl kein radikaleres Bild dafür, wie tief man im Leben auch fallen kann.
Da stellen sich Schmerz und eine tiefe innere Reue bei ihm ein. Denn durch diese Erfahrung ist er auch gereift und hat sich innerlich weiterentwickelt. Er ist bereit, die Verantwortung zu übernehmen für sein Scheitern und die Konsequenzen für sein Fehlverhalten zu tragen.
Ohne das Bewusstwerden von Schuld gibt es kein Gefühl für die eigene Verantwortung. Und auch keine Sehnsucht nach Vergebung und Versöhnung. Der Mensch, der Verantwortung für sein Handeln übernimmt, besteht auch auf seiner Würde.
Vom Fallen und Aufstehen, von Schuld und Versöhnung
Scheitern im Leben, eine Krise erfahren, hat immer zwei Seiten: es besteht eine Gefahr in dieser Krise unterzugehen, aber auch eine Chance daran zu wachsen.
Wer so tief gefallen ist wie dieser jüngere Sohn, kann auch besonders spüren, was es heißt, aufzustehen und wirklich im Leben zu stehen. Wer solches Dunkel erfahren hat, weiß, was es heißt, wieder ans Licht zu kommen und im Licht zu sein.
Wer einen Weg beschritten hat, der letztlich in eine tiefe Lebenskrise führt, erfährt wohl in besonderer Weise, wie befreiend das Umkehren sein kann. Und was bedeutet Umkehren im Bild dieses Gleichnisses? Umkehren heißt: nach Hause gehen. Heimat ist dort, wo wir eine wohlwollende und liebevolle Aufnahme und Akzeptanz erfahren – auch gerade mit unseren Unzulänglichkeiten und Fehlern. Heimat ist auch dort, wo wir uns wiederfinden in einem verantwortlichen Leben, in dem wir unseren guten Beitrag für das Ganze einbringen können.
Das „Entgegenkommen“ Gottes und unseres Glaubens ist, dass wir uns vorbehaltlos und bedingungslos angenommen und geliebt wissen und fühlen dürfen.
Was ist aber nun mit dem älteren der beiden Söhne, dem „Daheimgebliebenen“?
Auch in ihm können wir uns wohl wiederfinden. Ist es nicht so, dass dieser zuerst einmal unsere ganze Sympathie hat? Geschieht ihm hier nicht eigentlich großes Unrecht?
Es macht den Eindruck, dass er in dieser Geschichte ganz im Schatten steht. Und seinen Groll, ja, den kann man ganz gut nachvollziehen. Schauen wir aber genau hin.
Ist er nicht irgendwie auch „verloren“ wie sein jüngerer Bruder?
Sein Verlorensein ist jedoch viel schwerer zu fassen als das des jüngeren. Er ist ja stets zuhause, macht offenbar lauter Dinge, die richtig sind. Er ist gehorsam, pflichtbewusst, angepasst, fleißig.
Doch die Rückkehr des Bruders, die liebende Haltung und Geste seines Vaters bringen eine dunkle brodelnde Macht in ihm zum Ausbruch: Eifersucht, Wut, Neid, Rachegefühle – uralte Menschheitsthemen. Wahrscheinlich ist auch eine gehörige Portion Selbstmitleid dabei. Er fühlt sich ungerecht behandelt, in seinem Bemühen nicht gewürdigt – und fühlt sich auf einmal fern vom Vater, fern vom Bruder, fern von sich selbst, fern vom Leben.
Vom Vater fühlt er sich vor den Kopf gestoßen. Vielleicht ist da auch so ein Gefühl von moralischer Überlegenheit. Und, ja vielleicht ist da sogar so etwas wie die Trauer über ein zu eindimensionales und angepasstes Leben, das er in seiner Fülle nicht wirklich ausgeschöpft hat. Kann es sein, dass der ältere Sohn ebenso der Umkehr bedarf wie sein Bruder? Eine Umkehr, die bei ihm sicherlich nicht so augenscheinlich auf der Hand liegt.
Übrigens ein wichtiges Detail in dieser Geschichte: auch seinem älteren Sohn geht der Vater entgegen. Menschlich betrachtet ist es vielleicht sogar schwieriger, jemandem entgegen zu gehen, der innerlich verbittert ist, als jemandem, der aus tiefem Herzen etwas bereut.
Und der Vater?
Natürlich bietet uns die Figur des Vaters im Gleichnis eine Aussage über Gott und sein barmherziges Handeln an uns Menschen.
Ich denke aber, wir können es spüren, dass die Bestimmung, die Einladung des Lebens und unseres Glaubens dahin geht, so zu werden wie dieser Vater. Dass auch wir den Menschen entgegen gehen, die umkehren wollen, und sie vielleicht auch ein Stück begleiten: vom Absterben zum Aufblühen, vom Hass zur Liebe, vom Chaos in ein lebenswertes Leben. Wir spüren, wie gut es ist, wieder nach Hause kommen zu können, wieder als geliebter Sohn, als geliebte Tochter auf- und angenommen zu sein.
Jeder von uns trägt wohl irgendwo auch Spuren von Ablehnung, von Verlassensein, von Verletztsein oder Verirrtsein in sich. Und gerade dann suchen wir Hände, die segnen, nichts als segnen, bejahen, Leben spenden.
So wird das Gleichnis vom barmherzigen Vater auch zu einem Gleichnis unseres Menschseins. Gott hat uns erschaffen als seine Bilder und Gleichnisse. Und wir sind dazu bestimmt, Bilder und Gleichnisse seiner väterlichen und mütterlichen Liebe zu sein und zu werden.
Wolfgang Bögl, 3.3.2016