Siehe, ich sehe den Himmel offen
Am gestrigen Tag haben wir voll Freude die Geburt unseres Erlösers Jesus Christus gefeiert. Heute hören wir in den Schriften ganz andere Töne. Stephanus, ein glühender Verteidiger der Botschaft Jesu, wird gesteinigt.
Stephanus, ein Mann voll Weisheit und Geist – so haben wir in der Lesung gehört. Er kam mit Mitgliedern der Libertiner, Juden die nicht an Jesus als den Messias glaubten, in ein Streitgespräch. Stephanus warf ihnen einiges vor – wir haben seine Rede heute aufgrund der Länge nicht gehört, der Grundtenor ist folgender: Stephanus legt den Männern dar, dass das Volk Israel in seiner Geschichte oft den Willen Gottes nicht erkannt hat. Und nun erkennen die Nachkommen dieses Volkes auch Jesus Christus nicht als den Messias. Und seine Ausführungen und Erklärungen waren klar und deutlich, aber alles andere als diplomatisch. Und so war es nicht verwunderlich, dass die Juden so wütend wurden, dass sie zuerst andere Personen zu einer Falschaussage anstifteten, um Stephanus verurteilen zu können. Und dann schleppten sie ihn vor den Hohen Rat und letztendlich jagten sie ihn aus der Stadt und steinigten ihn.
Schon immer gab es unter Menschen Konflikte wegen ihres Glaubens. Andersgläubige wurden lange Zeit generell abgelehnt und oftmals verfolgt. Aber auch innerhalb einer Glaubensgemeinschaft kam es und kommt es nach wie vor immer wieder zu Spannungen und Kontroversen.
Wir hier in Österreich sind mehr und mehr mit dem Anders-Glauben von Immigranten konfrontiert und das verunsichert uns. Wir fühlen uns hin- und hergerissen. Wir bewundern einerseits die Leute, wie sie für ihren Glauben einstehen und ihn auch nach außen hin zeigen, andererseits lehnen wir Fanatismus und religiöse Intoleranz zu Recht ab.
Wo liegt die Grenze zwischen Glaubensstärke und Fanatismus? Für uns, die wir den Glauben als Privatsache betrachten ist die Grenze wahrscheinlich eine andere als für Menschen, die es gewohnt sind, dass Religion alle Bereiche des Lebens betrifft. Wo religiöse Vorschriften auch im ganz gewöhnlichen Alltag eingehalten werden müssen. Religionstoleranz ist eine verhältnismäßig junge Errungenschaft, die sich religiöse Minderheiten in der Neuzeit erst mühsam erstritten haben.
Bei uns herrscht heute eher religiöse Gleichgültigkeit. Das darf nicht mit Toleranz gleichgesetzt werden. Wünschenswert wäre auch bei uns eine echte inhaltliche Auseinandersetzung der Gläubigen mit Nichtgläubigen und Andersgläubigen, bei der jeweils gegensätzliche Meinungen respektiert werden. Stephanus wird dafür gelobt, dass er seine Überzeugung freimütig darlegte. Seine Gegner konnten seine Argumente und Darlegungen nicht widersprechen, und sie konnten sie auch nicht annehmen – sie fühlten sich ihm gegenüber nicht gewachsen und so griffen sie zur Gewalt.
Sind wir heute, 2000 Jahre später, diesbezüglich schon wesentlich weiter? Mit Verbotsgesetzen wie sie in letzter Zeit mehr und mehr gefordert werden einerseits und Gewaltexzessen andererseits kommen wir einander nicht näher.
Spricht Jesus – weil er die Menschen kennt und um ihre Intoleranz weiß – deshalb im heutigen Evangelium zu seinen Jüngern den Satz: „Nehmt euch vor den Menschen in Acht!“? Es gab in der jahrhundertlangen Geschichte des Christentums immer Verfolgung, Streit, Zwist und leider auch Abspaltung. Die Kirchen haben selten mit Toleranz, mit gegenseitigem Verständnis und Respekt die Probleme gelöst.
Was antwortet Gott uns auf unsere menschliche Inkompetenz?
Gott wählte einen anderen Weg, um die Menschen von sich zu überzeugen: Er schickte uns seinen Sohn Jesus, Gottes Sohn wurde hineingeboren in jene Kultur und Religion, die er erneuern wollte. Jesus setzte sich mit den verschiedenen religiösen Strömungen seiner Zeit auseinander. Er lehnte Gewalt ab und kämpfte mit den "Waffen des Geistes“. Ihm war klar, dass die Botschaft eines liebenden Gottes nicht mit Gewaltanwendung vereinbar war. Er vertraute darauf, dass der Geist Gottes stärker ist und sich auf lange Sicht durchsetzen werde. Daran hielt er fest, auch als es sein Leben kostete. Stephanus und viele andere Christen folgten ihm darin – bis heute. Dass wir heute das Fest des Hl. Stephanus feiern, bekräftigt und bezeugt Jesu Botschaft von Gewaltlosigkeit bis in den Tod.
Und mit der Geburt Jesu hat sich auch das Verhältnis Mensch - Gott grundlegend geändert:
Stephanus hat es in seinen letzten Worten ausgedrückt: Siehe, ich sehe den Himmel offen.
Durch die Geburt, das Leben, Sterben, Auferstehen und Himmelfahrt Jesu ist die Trennung von Himmel und Erde aufgerissen worden. Sie ist durchlässig geworden. Himmel und Erde sind näher zusammengerückt. Göttliches und Menschliches sind eine Verbindung eingegangen. Himmel und Erde gehören zusammen und dürfen auf Dauer nicht mehr getrennt betrachtet werden.
Siehe, ich sehe den Himmel offen …. eine Verheissung, die auch uns heute gilt. Der Himmel ist offen, auch für uns. Der Himmel, das ist kein physischer Ort über uns, sondern Himmel bedeutet „Bei-Gott-Sein“
und so können wir schon im hier und jetzt „Himmel“ erfahren. Immer wieder, wenn wir uns drauf einlassen, können wir bei Gott sein. Wir können Gott um uns herum spüren, in der Großartigkeit der Natur und in all seinen Geschöpfe, wir können Gott spüren, wenn wir ganz bei uns sind, wenn wir in uns ruhen. Wir können Gott spüren, wenn wir Gemeinschaft feiern, wenn wir liebevoll und fürsorglich miteinander umgehen. Und manchmal können wir Gott im Nächsten spüren und erahnen.
So wünsche ich Ihnen an diesem 2. Weihnachtsfeiertag, dass ihnen der Himmel näher kommt. Gott hat den Anfang gemacht – er hat uns Jesus, den Erlöser geschenkt. Machen wir jetzt den nächsten Schritt auf Gott zu. Über das Kind in der Krippe. Amen.