Öffne dich!
Es ist bewundernswert, wie Taubstumme ihr Schicksal zu meistern vermögen. Wie geschickt sie sich in ihrer Zeichensprache verständigen können, wie perfekt sie von den Lippen ablesen können, was andere sagen.
„Taubstummheit“, weil die Organe - Ohren und Mund - nicht funktionieren, ist kein Hindernis, zu kommunizieren, sich zu äußern oder aufzunehmen, was andere mitteilen möchten.
Es ist andererseits tragisch und bedauernswert, wie „stumm“ und „taub“, wie „sprachlos“ und „gehörlos“ Menschen werden können, obwohl ihre Organe bestens funktionieren.
Es gibt Menschen - und wir sind es manchmal selber- die sind stumm, stumm geworden.
Aus denen kommt nichts mehr „heraus“ und auch nichts mehr „hinein“.
Sie können nicht „reden“. Sie wollen nichts „hören“.
Sie haben nichts zu sagen.
Sie getrauen sich nichts zu sagen. Vielleicht deswegen, weil sie immer hören mussten: Sei still! Halt deinen Mund! Was geht das dich an! - usw.
Ja, es gibt eine Art des Umgangs miteinander, die stumm macht.
Es gibt Menschen - und wir sind es bisweilen selber - die sind taub, taub geworden.
Vielleicht weil dauernd auf sie eingeredet wurde:
Hör doch endlich zu! Wie oft muss ich dir das noch sagen! Verstehst du immer noch nicht!
Wenn jemand dauernd die Ohren voll bekommt mit Ratschlägen, Befehlen, Forderungen - wenn wunderts, wenn der zumacht und nichts mehr hören kann oder will. Es gibt eine Art des Umgangs miteinander, die taub macht.
Diese „Taubheit“ und „Stummheit“ ist eine quälende Not unserer Zeit – in unseren Beziehungen, auch in Familien:
Man ist taub, man ist stumm. Und doch wünschen sich viele Menschen nichts sehnlicher als einmal „richtig reden“ zu können, und etwas „hören“ zu können. Das meint: offen und ehrlich „kommunizieren“ zu können.
Da brachten sie zu ihm einen, der taub war und stammelte...erzählt das Evangelium.
Und wir dürfen uns diesen Menschen vorstellen als einen, der uns in unserer Stummheit und Taubheit verwandt ist.
Wenn wir drauf achten, wie Jesus mit ihm umgeht, wie er ihn behandelt und so heilt, können wir einen Weg finden, der heilsam ist, auch für unser „taub“ - sein und unser „stumm“ - sein
„Er nimmt ihn beiseite - von der Menge weg“ - ist das Erste.
Vielleicht ist es gerade die Menge, die ihn „taub“ und „stumm“ gemacht hat. Vielleicht ist ihm einfach alles zu viel, zu laut, zu heftig, zu unerträglich, was er alles zu hören bekommt
Wir reagieren ja auch manchmal so, dass wir uns am liebsten die Ohren zuhalten möchten, weil uns alles zu viel wird.
Vielleicht kann er nicht richtig reden – nur „stammeln“, weil er in der Menge einfach nicht zu Wort kommt,
weil man ihn nicht reden lässt,
weil er einfach Angst hat, sich zu äußern.
Eine Angst die wir ja auch kennen.
„Er nimmt ihn beiseite“ - Jesus löst ihn heraus aus der Menge, befreit ihn von dem bedrängenden Drumherum -
und das allein kann schon sehr heilsam sein.
„Er legt ihm seine Finger in die Ohren und berührt seine Zunge mit Speichel“ -
Nichts hilft einem Menschen mehr als eine zärtliche und verständnisvolle Berührung, genau an den „wunden“ Punkten. Den Menschen dort zu „berühren“ „anzurühren“, wo er leidet, vorsichtig und einfühlsam – das heilt.
Oft fehlt uns diese Zärtlichkeit und Vorsicht im Umgang miteinander und durch unsere Grobheit und Gefühllosigkeit richten wir nur noch mehr Schaden an.
„Er blickt zum Himmel“ - zum Ort seines Vertrauens - und sagt: „Öffne dich!“ - Und sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit - und er konnte richtig reden und hören.
Damals, am See von Galiläa, geschah dieses Wunder. Und es ist möglich, auch heute.
Wir wissen alle, wie schwer es ist, sich zu öffnen, wie lange es manchmal dauert, aus sich herauszugehen, sich mitzuteilen. Es lässt sich nicht erzwingen oder befehlen.
Es braucht eine sorgsame Behandlung, es braucht seine Zeit.
Jesus zeigt uns, wie es gehen kann:
Er nimmt ihn „beiseite“, weg von der Menge.
Er schafft einen Raum des Vertrauens - er „berührt“ und „behandelt“ ihn - zärtlich und vorsichtig.
Nur so kann der „Taub-stumme“ sich öffnen.
Sich „öffnen“ können - richtig reden können, wirklich hören, wahrnehmen können - all das wünschen wir uns doch alle, all das brauchen wir doch auch alle, damit wir gut leben können.
Wenn wir uns üben in der Art Jesu, zärtlich und vorsichtig einander zu behandeln – „wir werden uns wundern, was alles möglich wird“.