Habe ich den Mut, mich einzubringen?
Liebe Mitfeiernde, die ihr diesen Gottesdienst durch euer Dabei-Sein mitgestaltet!
Habe ich den Mut, mich einzubringen? - So möchte ich die heutige Predigt betiteln.
Dienstag Vormittag, am Terminkalender ein Gespräch mit einem langjährigen Pfarrangehörigen. Ich komme etwas verwirrt an, nachdem ich auf der Rad-Fahrt hierher meiner Mutter von meinen Sorgen berichtet hatte: Wie könne ich gut für meine Kinder da sein und zugleich dem Pfad meines beruflichen Werdegangs nachgehen, der zurzeit mehrere verschiedene Bereiche und Ausbildungen beinhaltet? Wie könne ich den Bedürfnissen unserer Kinder, meines Mannes, und auch meinen gerecht werden? Und – ein weiteres Thema: Wie könne ich Teil der Kirche, sogar hauptamtlich in ihr tätig sein angesichts vieler struktureller Missstände und machterhaltenden Fehlauslegungen der christlichen Botschaft? Es sei ein ewiger Spagat in mehreren Bereichen, und gerade jetzt wirke er schwierig zu bewerkstelligen.
Mir wird die Tür geöffnet. Drei Stunden bin ich bei besagtem Pfarrangehörigen zu Besuch. Er berichtet mir aus seinem Leben mit seiner vor einigen Jahren verstorbenen Frau Mir wird Einblick in viele der Lebensereignisse gewährt, die die beiden geprägt haben. Und ich darf teilhaben an einem sehr bewusst gestalteten Verabschiedungs- und Trauerprozess.
Wir sprechen auch über die Ambivalenzen, die sich in einem christlich aktiv geprägten Leben auftun und die es auszuhalten oder auch aktiv zu verändern gilt. Er und seine Frau haben sich sehr aktiv für Gerechtigkeit auf mehreren Ebenen eingesetzt und sich engagiert in kleinem oder großem Kreis zu Wort gemeldet.
Immer wieder begegne ich Menschen, die Jesus als ihr Lebensvorbild gewählt haben – oder auch von Gott zu dieser Form von Nachfolge berufen wurden. An diesen Menschen beobachte ich eine ihr Leben wie ein roter Faden durchziehende Konsequenz und Beharrlichkeit, die durch Lebenswendezeiten hindurch nicht nur bestehen bleiben, sondern sogar an Tiefe und Weite gleichermaßen gewinnen – Ganz bewusst leben sie ihr Ja zu einem Lebensstil als Nachfolge Jesu, der Gottes Botschaft auch gegen Widerstände verkündet und mit seinem Mensch-Sein erlebbar macht. Diese Menschen leben wie Jesus ihr Ja zu einem Leben, in dem die Liebe zum Dreh- und Angelpunkt geworden ist.
Meist sind dies Menschen, die ein bodenständiges Leben führen, wenig geben auf äußerliche Statussymbole, selten schwimmen sie in Geld. Geht es ums Teilen, um gerechten Ausgleich, zeigen sich diese Menschen, begehren auf, werden präsent.
Diese Präsenz, dieses aus der Masse Auftauchen begegnet uns auch im heutigen Evangelium in Form des kleinen Jungen. 5000 Männer sind es, die Kinder und Frauen sind in dieser Zahl nicht enthalten, alle versammelt zum jüdischen Paschahfest. Es werden also 3 bis 7 mal so viele Menschen sein, also zwischen 15000 und 35000, die es zu verköstigen gilt. Denn alle diese Menschen sehnen sich nach Brot des Lebens. Darum kommen sie ja zu Jesus. Dies ist nicht mit Geld zu bezahlen – 200 Denare reichen nicht aus. Geld hat hier sowieso wenig zu sagen. Viel mehr zu sagen und vor allem zu geben hat dieser kleine Junge, der seine 5 Gerstenbrote und zwei Fische zur Verfügung stellt. Es ist die Gabe eines kleinen, bisher wahrscheinlich kaum wahrgenommenen Menschen, der das, was er hat, ohne zu zögern zur Verfügung stellt. Nur durch diesen kleinen Jungen kann dieses Wunder geschehen.
Auf meinen Reisen in verschiedene sogenannte Entwicklungsländer ist mir etwas immer wieder begegnet: Große Gastfreundschaft und vielfältiges gemeinsames Mahlhalten. Die meist sehr bescheidenen Lebensverhältnisse mündeten fast immer in umso umfangreichere Essensbuffets. Nach dem Motto: Ich gebe, was ich habe, so werde ich mit Gemeinschaft beschenkt. Durch kein Geld ist dies aufzuwiegen. So war es vielleicht auch in der vom Evangelisten Johannes beschriebenen Situation: Dieser kleine Junge versteht, um was es geht: Nicht um die Beschaffung von Brot für alle. Sondern um das Geben des Eigenen, das dann mit allen geteilt wird und so Gemeinschaft stiftet. Möglicherweise werden alle, die auch etwas zu Essen - wenn es auch eine ganz kleine Ration ist - dabei haben, durch das Vorbild des Jungen angeregt, auch ihres beizusteuern. So bekommt jede/r etwas, nicht nur quantitativ, auch qualitativ: Die große Auswahl an Lebensmitteln, die so entsteht, lässt alle an einem reichhaltigen Buffet naschen. Die Menschen kommen dabei miteinander ins Gespräch. Über das, was ihnen besonders gut schmeckt. Und über das, was gerade so passiert in ihren Leben. Der vorherige erwartungsvolle, auf Jesus gerichtete Blick der Masse weicht sich auf, geht in die Menge, lässt jede einzelne Person nach dem suchen, was sie zu geben hat. Und aus diesem Geben wird ein großes Geschenk: Das Geschenk eines bunten Buffets. Und vor allem das Geschenk der Gemeinschaft. Wenn ich mir das vorstelle, ja dann höre ich die Menschen miteinander lachen und singen...
So ist es wohl auch in unserem Leben. Es gibt diese Momente, in denen wir von anderen Menschen erwarten, dass sie uns etwas geben, dass sie für uns da sind. Wir konsumieren in vielfältigen Formen. Ab dem Zeitpunkt, an dem wir aber aus der erwartenden Haltung aussteigen und uns selbst fragen, was wir selbst zu einem guten Miteinander beisteuern können, ab diesem Zeitpunkt wird unser Blick weicher und umsichtiger. Die starre Aufgabenverteilung in gebenden und nehmenden Part verschwimmt und verliert an Bedeutung. Ab dem Zeitpunkt, wo wir unsere Verantwortung erkennen, nach vorne zu gehen und etwas zu geben, etwas zu teilen, etwas mit-zu-teilen, ab diesem Zeitpunkt geben wir der versammelten Menge die Chance, zur Gemeinschaft zu werden. Gemeinschaft beginnt mit dem Teilen, beginnt mit der Mit-Teilung.
Der Mut des kleinen Jungen, der seine fünf Brote und zwei Fische gab, dieser Mut steckt in uns allen. Ich denke, wir dürfen uns unseres kindlichen Lebensmutes besinnen und uns von ihm auch als Erwachsene anstiften lassen, zu teilen und uns mit-zu-teilen.
Amen.