Wir Menschen sind begabte Liebesforscher
Liebe Mitmenschen!
Das heutige Evangelium ist ein Sinnbild für Jesu großes Engagement für unseren Glauben: Jesus lässt einfach nicht locker. Erst begegnet er den Frauen, die drei Tage nach seinem Tod ans Grab kommen, und spricht mit ihnen. Sie erkennen ihn nicht gleich, dann aber doch - weil Jesus sie direkt ansah und ansprach. Dann begleitet er die Emmausjünger und startet mehrere Anläufe, sich ihnen erkenntlich zu zeigen. Erst beim Teilen des Brotes wird ihnen alles klar. Und schließlich erscheint er noch einmal vor den 13 Jüngern, bedient sich wieder mehrerer Beweise, um als der leibhaftige Jesus erkannt zu werden. Er zeigt seine Kreuzigungswunden. Er bitten sie, ihn zu berühren. Als sie immer noch freudig und ungläubig zugleich sind, spricht er auch noch ihr logisches Erkenntnisvermögen an: “Wenn ich diesen Fisch hier vor euch essen kann, müsst ihr doch verstehen, dass ich nicht nur ein Geist bin.”
Das Unfassbare fassbar machen. Das unfassbar Schöne und Heilige für uns Menschen sichtbar und glaubbar machen – das ist Jesu Ansinnen. Es ist die unendlich große und bedingungslose Liebe Gottes, die in der Auferstehung eine Form der Verwirklichung findet, denn diese Auferstehung und der Glaube an sie ist pure Vergebung. Genau das ist es, wenn Jesus am Kreuz sagt (Lk 23,34): “Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun”
Dass wir so verschiedenartigen Menschen dieser unfassbar großen Liebe nur auf unterschiedlichen Wegen zu begegnen im Stande sind, das scheint Jesus klar zu sein. Das Feld der Liebe ist weit und wohl nie zur Gänze ergründbar. Wie oft wird eine ursprünglich liebevoll gemeinte Tat ganz anders verstanden, wie oft warten wir auf Liebesbeweise in einer bestimmten Form und sehen gar nicht, dass der andere seine Liebe ganz anders ausdrückt als wir es tun würden. Wir Menschen zeigen Liebe nicht nur in verschiedenen Weisen, sondern wir sind auch sehr unterschiedlich im Empfangen von Liebe – wir haben unterschiedliche Sensoren für die Liebe. Gary Chapman (ein US- amerikanischer baptistischer Pastor und Sachbuchautor) spricht von 5 verschiedenen Sprachen der Liebe, die wie persönliche Muttersprachen betrachtet werden können, so nah und intuitiv sind sie uns Menschen, sodass wir an die Andersartigkeit der anderen Sprachen gar nicht denken. Sprechen wir mit der Liebessprache der “Anerkennung”, senden und empfangen wir Liebesbotschaften, in denen das Loben oder das wertschätzende Erwähnen von Taten oder Eigenschaften des Anderen im Mittelpunkt steht. Fühlen wir uns mehr in der Liebessprache “Gemeinsame Zeit” daheim, genießen wir gemeinsame Momente und die ungeteilte Aufmerksamkeit der geliebten Person.
Die dritte Liebessprache ist die der Geschenke – bei dieser lieben wir und empfangen Liebe über das Schenken und geschenkt Bekommen. In der vierten Sprache, der der praktischen Hilfe, braucht es die helfende Hand als Liebesbeweis. Und die fünfte Sprache der Liebe ist die des Körperkontakts, in dem Umarmungen, Streicheleinheiten und körperliche Nähe allgemein im Zentrum des Liebesempfindens steht.
Wir kommunizieren Liebe also unterschiedlich. Auch Gott kommuniziert seine Liebe unterschiedlich, vielfältig.
Doch vermehrt sich Liebe nicht dort, wo ich auf sie aufmerksam werde? Geht mir nicht das Herz auf, wenn mir ein geliebter Mensch seine Liebe zeigt? Werden wir nicht alle ganz weich und berührbar, wenn wir das Lächeln eines Babys geschenkt bekommen oder wenn wir beobachten wie ein älterer Mann seine Frau nach 60 Jahren Ehe liebevoll umarmt? Liebe greift um sich, ergreift uns, wenn wir auf sie aufmerksam werden und wenn wir uns ihr gegenüber offenherzig zeigen. Ich glaube, wir wären gut beraten, zu Forschern der Liebe zu werden und eine Sammlung aus Liebesmomenten anzulegen:
Liebe ist dort, wo die Augen zweier Menschen etwas länger aneinander hängen bleiben und das gegenseitige Interesse, das gegenseitige “Ich widme mich dir, denn du bist es mir wert” bezeugen.
Liebe ist dort, wo eine gut situierte Dame einer Bettlerin ein paar Münzen und ein paar Minuten Gespräch schenkt.
Liebe ist dort, wo ein langjähriger Streit aufzuweichen beginnt und erste wohlmeinende Worte zum Anderen gelangen.
Liebe ist dort, wo das Sonnenlicht den Weg durch eine dicke Wolkendeckel sucht und findet.
Liebe ist die Hand des Einen auf der Schulter des Anderen.
Liebe ist dort, wo mein Mann sagt: “Bleib ruhig sitzen, ich hole schon die Cornflakes für unseren Sohn.”
Liebe ist auf dem Berggipfel, wo durch die Wahrnehmung der eigenen Kleinheit die Teilhabe am Großen noch viel spürbarer wird.
Liebe ist aber auch auf der nächsten Wiese, wo Löwenzähne munter vor sich hin gedeihen und die grüne Wiese in einen gelben Teppich verwandeln.
Liebe ist dort, wo Menschen trotz aller Schwierigkeiten miteinander aus freien Stücken weiter Hand in Hand gehen.
Liebe ist aber auch dort, wo Menschen sich gegenseitig gehen lassen, wenn der Schmerz der Konflikte, des Schweigens, der Verletzungen für zu lange Zeit dem wohltuenden Miteinander den Raum nimmt.
Liebe ist durchaus ein Forschungsgrund. Und wir Menschen sind von Natur aus begabte Liebesforscher.
Wir dürfen darauf vertrauen, dass sich Gott unserer Verschiedenartigkeit – auch im Bereich des Liebens – bewusst ist. Er wird uns vielfältig an der Liebe teilhaben lassen – darauf dürfen wir – so glaube ich – vertrauen.
Und denken wir daran: Wollen wir andere Menschen an unserer Liebe teilhaben lassen, dürfen wir uns auch mehreren Sprachen bedienen und so Teil des vielfältigen Liebesausdrucks Gottes werden.
Amen.