Meine Augen haben das Heil gesehen...
Von zwei "Alten" ist heute die Rede - von Simeon und Hanna. Sie haben etwas gemeinsam: alt sind sie geworden, die beiden, aber sie haben nie aufgehört zu hoffen und zu warten.
In dieser Haltung haben sie für uns Bedeutung.
Es ist doch so: Wir werden älter. Ist man einmal jenseits der Lebensmitte, fragt man sich: Was ist geworden aus meinen Hoffnungen, meinen Plänen, meinen Träumen?
Es bleibt so vieles offen. -
Man muss, wenn man älter wird, wohl oder übel Abstriche machen. Es geht sich nicht alles auf, was man sich vorgestellt und gewünscht hätte.
Was bleibt übrig? Hoffnungslosigkeit? Resignation?
Oder gar ein Zynismus, der die Hoffnungen der "Jungen" lächerlich macht?
Von Simeon heißt es: "Der Heilige Geist hat ihm geoffenbart, er werde nicht sterben, bevor nicht seine Augen das Heil gesehen hätten."
Ich denke mir diesen alten Simeon als einen, der nie seine Hoffnungen aufgegeben hat, der immer noch
offen war, ausgespannt auf die Zukunft hin.
Er wurde nicht müde, daran festzuhalten: "...er werde nicht sterben, ehe nicht seine Augen das Heil gesehen hätten". Ich versteh das einmal so: Ehe er nicht so etwas wie Sinn und eine tiefe Zufriedenheit für sein Leben gefunden hätte. Dieser Glaube läßt ihn leben.
Ähnliches denke ich von Hanna, einer hochbetagten Witwe.
Eine Prophetin, eine "Seherin", wird sie genannt.
Sie konnte manches "sehen", was anderen nicht gegeben war. Sie hatte einen offenen Blick für das Wesentliche, das "Erlösende", das sie in diesem "Kind" erkannte.
Was hält denn dieser alte Mann - Simeon - in seiner Hand, das ihn so jubeln lässt?
Was "sieht" denn diese hochbetagte Witwe Hanna?
Es ist ein "Kind".
Etwas "Kleines", etwas, was eben erst anfängt.
Aber es genügt dem alten Simeon:
Er erkennt: In diesem "Kleinen", in diesem unschuldigen Kind, zeigt sich Gottes Treue:
"Meine Augen haben das "Heil" gesehen" - sagt er - "ich kann in Frieden scheiden".
Ein Kind hat immer den "Zauber des Anfangs" in sich und den Glanz der Verheißung Gottes über sich.
"Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben." - heisst es.
"Solange es Kinder gibt, hat Gott die Freude am Menschen nicht verloren" - habe ich einmal wo gelesen.
Ist nicht jedes Kind, das zur Welt kommt, ein Zeichen der Hoffnung? Bringt nicht jedes Kind "Sinn" ins Dasein? Lässt uns nicht jedes Kind "aufleben"?
Simeon sieht auch, was diesem "Kind" bevorsteht - Ablehnung und Widerspruch.
Aber er sieht auch: "Dieser ist dazu bestimmt, dass viele aufgerichtet werden."
Ich bewundere Menschen, die in scheinbar aussichtsloser Lage nicht resignieren, oder verzweifeln.
Ich bewundere Menschen, die mehr "sehen", die auch im "Kleinen", in dem, was gerade erst "anfängt", schon das Ganze, das "Heil" erkennen können.
"Alles wird gut - und es hat schon begonnen!"
Das ist mich so ein Wort, das zum Ausdruck bringt, was Simeon und Hanna erkennen durften, in dieser Begegnung mit dem "Kind".
Ich wünsche es uns allen, liebe Schwestern und Brüder, dass wir, auch wenn wir "in die Jahre kommen",
niemals die Geduld verlieren - die Geduld mit Gott.
Ich wünsche, dass wir den Verheißungen trauen, die in diesem "Kind" zur Welt gekommen sind.
Ich wünsche mir, dass wir in seinem "Licht" unseren Weg zu Ende gehen, und einmal - wie Simeon - sagen dürfen:
"Nun lässt du, Herr, mich in Frieden gehen,
denn meine Augen haben das Heil gesehen!"