Das Gebet
Schriftstellen:
Lesung aus der Apostelgeschichte 1,15-17.20ac-26.
Aus dem Heiligen Evangelium nach Johannes 17,6a.11b-19.
Liebe Brüder und Schwestern im gemeinsamen Glauben!
Unser Lebensplanet, die Erde, ist schnell im Weltraum unterwegs. Sie rast mit einer Geschwindigkeit von 100 000 Stundenkilometern auf ihrer Kreisbahn um die Sonne. 100 000 km/h! Das ist eine kaum nachvollziehbare Geschwindigkeit. Wäre es da nicht vorstellbar, dass die Erde eines Tages aus dieser Kreisbahn, also einer ständigen Kurve, hinausgetragen werden könnte, wie ja auch mancher Autofahrer aus der Kurve getragen wird, wenn er zu schnell unterwegs ist? Wir dürfen weiterfragen: Müssen wir Angst haben, dass die Erde sich von der Sonne losreißt? Nein, weil die Erde von der gewaltigen Schwerkraft der Sonne gehalten wird, wie von einer unsichtbaren Kette. Diese unsichtbare Kraft sorgt hauptsächlich dafür, dass die Erde sicher und ruhig ihre Bahn zieht, und dass es für uns Menschen regelmäßig Tag und Nacht, Frühling und Sommer wird. Diese Kraft ist verantwortlich, dass das Leben auf der Erde gedeihen kann, und der Mensch, soweit es auf die Schöpfung ankommt, in Sicherheit leben kann. Die Welt wird zusammengehalten durch die Schwerkraft der Sonne. Davon ausgehend dürfen wir fragen: Was hält unser christliches Leben zusammen? Die Antwort lautet: Es ist das Gebet. Die Evangelien berichten uns immer wieder, dass Jesus selbstverständlich gebetet hat, immer wieder zog er sich auf einen Berg zurück, betete in Situationen der Entscheidung und wenn es schwer wurde. So hören wir ihn auch heute im Johannesevangelium beten. Für uns war dieses Gebet wohl etwas schwer nachvollziehbar, aber es ist irgendwie klar geworden, dass es ein sehr persönliches Gebet Jesu war. Gebet ist wichtig. Gebet ist der Atem der Seele. Es sind die Muskeln unseres Herzens, die uns Bewegungskraft verleihen. Ohne Gebet verlieren wir Christen unsere Dynamik und Kraft. Dann werden geistlos und der Glaube verdunstet. Gebet ist aber in erster Linie kein Mittel, keine Sache, die man benützt, wie wenn man ein Geldstück in einen Automaten wirft. Gebet ist Beziehung zu einem DU, mit dem wir sprechen dürfen wie Kinder mit ihrem Vater. Gebet ist Rede mit dem lebendigen Gott. In dieser Rede gebe ich Gott die Ehre, schütte ich mein Herz vor ihm aus und bitte, wie ein Kind seinen Vater bittet. Dieses Reden vor ihm ist keine Scheinsituation oder bloß Bewusstseinsänderung, sondern wirkliche Anrede dessen, der schon immer alle guten Gaben geben will. Jesus beginnt heute sein Gebet mit der Anrede ,,Vater“. Es ist Eintritt in eine tiefe Vertrauensbeziehung. Theresia von Avila sagt: ,,Beten meint mit Gott reden, wie mit einem lieben Freund.“ Und eine solche Vertrauensbeziehung bewirkt dreierlei Dinge:
Erstens verändert mich persönlich das Beten. Beten meint nicht, ich muss Gott bearbeiten bis er nachgibt und sich ändert, sondern Beten meint, dass ich mich nach dem Willen Gottes, nach seinem Wort ausrichte. Das heißt also, Beten ändert mich, mein Herz, meine Einstellung. Da werde ich verwandelt in die Liebe Gottes hinein und daher können wir sagen, dass Beten auch den Lauf der Welt verändert, weil ich ein Teil der Welt bin. Im Beten arbeitet Gott an mir, weil wir ihm unser Herz hinhalten und seinen Hl. Geist in uns einlassen. Beten heißt, ich darf Gott an mir arbeiten lassen. Lassen wir Gott an uns arbeiten.
Und so macht zweitens Beten Mut zum Leben. Wenn wir beten, dann machen wir uns eine Schneid, dann wächst der Mut. Bevor es ans Grasmähen geht, muss die Sense eine Schneid bekommen. Ähnliches gilt für jeden handwerklichen Beruf. Beten schärft die Sinne, lässt uns hellhörig und wachsam werden, da stellen wir die Antennen unseres Herzens auf Gott ein. Und von ihm her erfahren wir Mut zum Leben. Jesus hatte immer ein Wort für die Menschen, das aufrichtet, das befreite, das ermutigte. Im Gebet rühren wir an das Herz Gottes. Beten heißt, von Gott sein Herz verändern lassen. Und das geschieht manchmal unauffällig. Das größte Hindernis für das Gebet ist die Übererwartung. Wir meinen oft, dass da immer etwas Großes passieren muss. Wir sollten eher innere Erlebnisse haben. Das Gebet reinigt, es macht unser Herz klar, es gibt dem Leben Sinn und Ziel.
Drittens hat Gebet etwas Widerständiges. Im Gebet vertrauen wir, dass Gott Wege zu mehr Frieden und Gerechtigkeit aufzeigen kann. In einer scheinbar durch und durch planbaren Welt setzen Betende auf eine andere Möglichkeit, die diesem unausweichlichen Lauf der Zeit und Geschichte entgegenläuft. Gebet hat etwas Widerständiges an sich. Es gibt sich nicht zufrieden mit dem Ist-Zustand, es arbeitet an einer Welt, die anders und besser sein soll. Ja, und Gebetserhörungen können den Charakter eines Wunders annehmen, das alle Erwartungen, alle Verfügbare durchbricht. Im Gebet dürfen wir mit einem Eingreifen Gottes rechnen. Die Gottesmutter Maria weist uns in der Botschaft von Fatima eindringlich auf die Dimension des Betens hin. Gebet ist in Sprache gegossener Glaube. Wer sich glaubend Gott anvertraut, dem ist es möglich, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen
Liebe Brüder und Schwestern!
Was hält unser christliches Leben zusammen? Es ist das Gebet. Im Sonnensystem des Glaubens ist Christus die Ostersonne, die uns mit unsichtbaren Ketten hält, dass wir nicht aus der Bahn geraten. Wenn wir nicht fest dran sind, dann werden wir hinausgeschleudert und kommen in das Getriebe der Welt, das uns innerlich zermalmt. Darum: lassen wir es nicht geschehen, bleiben wir fest dran an unserer Mitte. Lassen wir uns persönlich im Beten von Gott verändern und machen wir uns Mut im Gebet. Schauen wir im Monat Mai auch besonders auf die Gottesmutter Maria, die selber ein betender Mensch war. Amen.