mehr erkennen
Zur Einführung des dritten Fastensonntags im Schott steht: „Kann ein Mensch anders werden, ein neues Leben anfangen? Was geschehen ist, hat unser Leben geprägt. Nur von dieser gewordenen Wirklichkeit aus können wir neu anfangen.“
Nach dem Kunstgeschichtestudium begann ich 1998 in der Diözese Linz im Kunstreferat zu arbeiten, zuständig für die Kulturgüter in den Pfarren und den kirchlichen Einrichtungen, 2003 dann auch in der Diözese St. Pölten, im heutigen Museum am Dom. Es waren schöne, herausfordernde Tätigkeiten, die mich prägten und formten, in die ich mich vertiefte.
2016 wurde ich angefragt, ob ich einen Beitrag zum Jubiläumsbuch „300 Jahre Salesianerinnen“ über Paramente schreiben möchte. Nach der Zusage lernte ich das Kloster kennen, ein prächtiger, großer kaiserlicher Barockbau, dessen Grundstein am 13. Mai 1717, dem Geburtstag von Kaiserin Maria Theresia, gelegt wurde. Begeistert machte ich mich an die Arbeit und das Buch erschien 2017. Es gab Folgearbeiten im Kloster, die ich aus Enthusiasmus in meiner Freizeit betreute. Im Juli 2017 bekam ich das Angebot „Kloster auf Zeit“, bezog ein Zimmer, durfte im Refektorium mit den Schwestern die Mahlzeiten einnehmen und im Chorgebet mitbeten. Ich kam immer wieder, mit viel Freude an der Arbeit, bis mich 2018 der liebe Gott spüren ließ, dass dies für mich ein Ort zum Bleiben ist.
Nach vielem Ringen entschloss ich mich mit der Oberin zu sprechen, dass ich gerne nach dem Aufräumen meines weltlichen Lebens dableiben möchte. Nach zwei Jahren Aspirantat und einem Jahr Postulat wurde ich ins Noviziat aufgenommen. Am 18. Januar 2022 war die Einkleidung, ich bekam den Habit und den weißen Schleier, bin nun völlig verändert, innerlich und äußerlich. Was ich in meinem Leben lernen durfte, findet sich hier im Kloster: ein kunsthistorisch hochqualitatives Haus und die Sakristei als Arbeitsfeld. Das Ausschlaggebende aber ist: Der liebe Gott hat hier eine Wohnstätte auf Erden und Er hat mich geholt, das weiß ich heute – neben vielem anderen besonders durch das Chorgebet, das mich wesentlich hierher gezogen hat.
Das Gebet ist die Hauptaufgabe in diesem Beruf, die Schwestern finden sich drei Mal am Tag im Betchor zusammen, um die Horen zu beten. Es wird gesungen und auf bestimmten Tönen gebetet. Die Schwestern erheben ihr Herz zu Gott und beten die Psalmen, die bereits Christus gebetet hat. Der Betchor ist anschließend an die Kirche, verbunden durch ein großes Fenster. Gebet ist das Gespräch zu Gott, man kann es als ein Weggehen von sich selbst bezeichnen, ein Hinwenden und Sein beim Herrn. Beten und Singen ist eine Art von In-den-Himmel-Fliegen, in die Herrlichkeit Gottes.
Der Himmel überspannt unsere Kirche, die bemalte Decke und die große Kuppel ist voll von Heiligen und Engel, in der Laterne darüber schwebt der Heilige Geist. Die Wohnstatt Gottes ist der Tabernakel, wo wir Ihn anbeten dürfen.
Gott ist hier unmittelbar spürbar und erlebbar – das hat mich eigentlich hierher gezogen. Durch das Gebet und die Arbeit in der Sakristei darf ich täglich in diesen Himmel der Kirche eintauchen, darf den Altar richten, mich vor dem Herrn beugen und im Gebet Ihn verherrlichen, darf ein Teil des Himmels sein.
Die Sakramente, die mächtigen Zeichen der Gnade Gottes und der lebensspendende Fels, Christus, sind das Zentrum dieses Lebens im Kloster. Im Brief des Apostels Paulus an die Korinther (1 Kor 10,1–6.10–12) wird beschrieben, wie sich der Mensch entscheiden kann, sein Leben zu gestalten. Nun ist mein Leben ein neues Leben geworden. Ein Leben, das von der Nachfolge Christi geprägt ist, mit einer Zukunftsperspektive über den Tod hinaus.
Mit Dankbarkeit erinnere ich mich gerne an das, was mir geschenkt wurde, bevor ich ins Kloster kam. Auch damals – das weiß ich heute – wurde ich von Gott geleitet und behütet. Die Kontakte aus dieser Zeit sind nach wie vor wertvolle Begleiter und es war erhebend, dass viele zu meiner Einkleidung gekommen sind. So sehr man sich in diesem kontemplativen Leben von der Welt zurückziehen muss, um mit Gott vereint zu leben, so sehr ist man auch geistig in der Welt, da es unsere Verpflichtung ist, im Gebet zu unterstützen.
Gerade in dieser sehr herausfordernden und durch das Kriegsgeschehen auch gefährlichen Zeit, ist es umso wichtiger, dass es Menschen gibt, die zu Gott und den Heiligen flehen, Hilfe und Beistand zu sein. Menschen kommen, und bitten uns ums Gebet; wir richten uns beim Beten auch nach den Bedürfnissen aus dem Zeitgeschehen.
Umkehr und ein neues Leben zu beginnen ist möglich, eigentlich immer. Ich hätte es nie gedacht oder geplant, ins Kloster zu gehen. Innere Offenheit, das Leben nicht mit Plänen zuzuustopfen, sondern darauf zu hören, was Gott mitteilt, führt zu Segen, auch wenn es ein mühsamer Weg ist oder sein kann. „Die Zeit der Gnade ist Zeit der Geduld Gottes“ steht im Schott beim dritten Fastensonntag. Er wartet immer auf uns, aber auch wir brauchen Geduld mit uns selbst, um zu Ihm zu finden und schließlich bei Ihm bleiben zu können, wo immer wir im Leben stehen. Wenn wir uns öffnen für die Liebe Gottes kann Großartiges passieren. Das Leben hier im Kloster der Salesianerinnen ist ein kontemplatives Leben, doch gerade dieses Sich-Zurückziehen und Innehalten, diese Konzentration auf Gott erweitert den Horizont und lässt einen „mehr erkennen“ und tiefer schauen. Stille lässt hören und durch das Hinhören wird eine Aufmerksamkeit auf sich selbst und die innere Stimme geschaffen, die im Alltagstrubel vielfach nicht möglich ist.
Mein Glück im Leben wurde die fühlbare Gnade Gottes und Seine Geduld über 50 Jahre zu warten, ehe Er mich in Seine Wirklichkeit geholt hat. Nun darf ich sie leben, das ist wunderbar.
Weitere Informationen:
Salesianerinnen-Kloster Wien | Kloster der Heimsuchung Mariens
Ordensgemeinschaften Österreich | Salesianerinnen Kloster Wien
Buch „Das Kloster der Kaiserin“ anlässlich 300 Jahre Salesianerinnen in Wien von Helga Penz
Artikel „Salesianerinnen-Kloster in Wien. Weibliches Wirken im Geheimen“ von Alexandra Matzner
Danke für die Zurverfügungstellung folgender Bilder:
Kuppelaufblick in die Salesianerinnenkirche. © ARTinWORDS/Alexandra Matzner (Webseite)
Kloster der Heimsuchung Mariens (Foto). © Txllxt TxllxT/wikimedia.commons.org/CC BY-SA 4.0 (Lizenz)
Kloster der Heimsuchung Mariens (Foto). © Hubertl/wikimedia.commons.org/CC BY 3.0 AT (Lizenz)