Gemeinsame Militäreinsätze, aber keine gemeinsame Außenpolitik
Thomas Roithner sieht das Friedensprojekt Europa differenziert. Zum einen hat es dazu geführt, dass so Roithner wörtlich „Deutsche nicht mehr auf Franzosen schießen. Jetzt geht es darum, was zu tun ist, damit sie nicht mehr gemeinsam auf andere schießen.“ Gemeinsam würden Soldat*innen und Waffen in Länder außerhalb Europas entsendet und eingesetzt werden, beschreibt Thomas Roithner die aktuelle Situation. Hochumstrittene Einsätze, beispielsweise im Tschad und in Mali wurden und werden durchgeführt und Roithner verweist auf einen unangenehmen „neokolonialen Duft“, der solche Militäreinsätze begleitet. Seit 2016 gibt es zudem ein offizielles Militärisches Hauptquartier der Europäischen Union. In vielen politischen Fragen gibt es jedoch keine gemeinsame Außenpolitik. Der Friedensforscher Roithner gibt zu bedenken: „Wir diskutieren allgemein zu viel über Truppen und Militär und viel zu wenig über zivile Hilfskräfte.“ Besonders im Zivilen Friedensdienst sieht Roithner eine positive Zukunftsperspektive. Dieser soll in Österreich aufgebaut werden und steht sogar bereits im Regierungsprogramm.
Roithner kritisiert ebenfalls das Verhalten einiger europäischer Staaten im Bezug auf Rüstungsexporte: EU-Staaten sind die „empörtesten Waffenhändler der Welt“, beschreibt Roithner die fragwürdige Reaktion Europas auf Vorwürfe. Auch Österreich exportiert Waffen in fast 100 Staaten. Warum hat die Rüstungsindustrie so große Bedeutung für Europa? Dazu gibt es unterschiedliche Ansätze. Ein möglicher Knackpunkt ist, dass Mitarbeiter*innen teilweise abwechselnd in der Rüstungsindustrie und dann wieder in Positionen innerhalb der Europäischen Union arbeiten.
Zwischen Seenotrettung und Ressourceninteressen
Frieden ist mehr als Abwesenheit von Krieg, vor allem sozialer Frieden. Die Frage von Migration und Flucht ist in Europa brisant. Mathilde Schwabeneder war als langjährige Journalistin und Auslandskorrespondentin an vielen Krisenherden der Welt und berichtet aus ihrer beruflichen Erfahrung und von persönlichen Begegnungen, die ihre Sicht auf das Thema prägen.
Beispielsweise lernte sie einen italienischen Fischer kennen, der Menschen aus dem Meer rettete. Für ihn sei die Rettung von Menschen unter Einsatz seines eigenen Lebens selbstverständlich und oberstes Gebot als Seefahrer. Vielen dieser Helfer*innen und Lebensretter*innen wurden allerdings im Anschluss an derartige Rettungsaktionen Boote beschlagnahmt und manche Helfer*innen wurden sogar vor Gericht gestellt. Der Vorwurf: Unterstützung von illegaler Einwanderung. Kritisch sieht Schwabeneder auch die europäische Organisation Frontex: Rettung steht nicht mehr im Vordergrund, sondern Rückschiebung. Auch in Länder wie Libyen, in denen Menschen von massiven Menschenrechtsverletzungen, wie Folter und sexuellen Übergriffen, betroffen sind, werden Menschen zwangsweise rückgeführt. Die zentrale Mittelmeerroute gilt als die weltweit gefährlichste Fluchtroute. Die Grundrechte der Europäischen Union stehen hier auf dem Prüfstand, analysiert Mathilde Schwabeneder. Zum einen sind Fluchtursachen sind sehr divers, zum anderen sind die Interessen Europas am afrikanischen Kontinent vielfältig und müssen im Blick behalten werden. Auf die Frage ob Europa Italien (und Griechenland) im Hinblick auf Einwanderung allein lässt, antwortet Schwabeneder eindeutig: Ja.
In den begleitenden Workshops wurden die gegebenen Impulse von Roithner und Schwabeneder weiter vertieft. Die Teilnehmer*innen hatten die Möglichkeit, ihre Perspektiven einzubringen und Fragen zu stellen.
Eine Frage, die im Rahmen der Veranstaltung immer präsent war: Was können wir als Einzelne und als Zivilgesellschaft tun, um zu helfen und Einfluss auf politische Prozesse zu nehmen? Darüber diskutierten die Referent*innen mit dem langjährigen EU-Abgeordneten Josef Weidenholzer im Rahmen der Abschlussdiskussion. Dieser hob ein positives Beispiel hervor: Den Menschenrechtsausschuss der Europäischen Union. Dieser funktioniert sehr gut und es hat sich gezeigt, dass Europa hier durchaus etwas erreichen kann. Weidenholzer betont weiter die Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik, die bisher, seiner Meinung nach, nicht existiert. Wichtig sei es, die Ursachen von Konflikten zu besprechen und im Dialog miteinander zu bleiben. Jedenfalls sei Aufrüsten keine Lösung, wie wir es an verschiedenen Stellen gerade beobachten können. Abrüsten ist seiner Meinung nach die einzige wirklich friedliche Lösung. Eine stärkere europäische Öffentlichkeit sei ein Schlüssel zur Lösung außenpolitischer Fragen.
Besonders zentral ist natürlich die Rolle der Zivilgesellschaft im Hinblick auf Frieden, ist sich Thomas Roithner sicher. Denn Außenpolitik sind auch wir alle, die Zivilgesellschaft. Bei aller Kritik, die die Referent*innen als „gesunden demokratischen Prozess“ sehen, bekannten sich die Diskutant*innen zu einem gemeinsamen Europa.
Bereits seit 2019 finden die Linzer Friedensgespräche statt. Rund 60 Personen nahmen am 28.01.2022 an der Veranstaltung mit dem Titel „Friedensprojekt Europa – Positionen und Möglichkeiten Österreichs“ teil. Mitveranstaltet wurde die Veranstaltung von verschiedensten Organisationen: Volkshochschule Linz, Volkshilfe OÖ, Pax Christi OÖ, Friedensstadt Linz, Friedensakademie Linz, SOS Menschenrechte, Solidarwerkstatt, Katholische Aktion OÖ, mensch&arbeit OÖ, Südwind OÖ und mehr demokratie.