Donnerstag 18. April 2024

Zusammenleben in Freiheit – eine Zu-MUT-ung

Sozialpredigt

zum 15. Sonntag i. JK (10. Juli 2022) | Lesejahr C
Autor: Friedrich Käferböck-Stelzer,  Leiter Treffpunkt mensch&arbeit, Nettingsdorf

Wie man mit den Schwächeren umgeht, da zeigt sich biblisch die Stärke einer Gesellschaft, einer Gemeinschaft. Wem werde ich Nächster, Nächste? Unser Handeln beantwortet diese Frage immer wieder konkret. Maßstab in der Bibel sind die Habenichtse, die, wie Bertolt Brecht formuliert, im Dunkeln sind und die man üblicherweise übersieht. Biblischer und christlicher Auftrag ist, Hüter und Hüterin unserer Brüder und Schwestern zu sein. So weit, so klar. Wir haben alle füreinander Sorge zu tragen. Stellt sich die Frage: Wie geht das konkret? Wie sollen wir uns als Menschen zueinander verhalten? Dazu gibt es in der Bibel immer wieder Anleitungen. Dass wir einem Gott, der aus der Sklaverei in die Freiheit führt, zutrauen dürfen, dass auch seine Gebote und Weisungen unsere Freiheit wollen, ist Grundlage unseres Glaubens. Alle Gebote sollen helfen, diese Freiheit zu bewahren. 

 

Die Freiheit der Bibel ist größer gedacht. Sie endet nicht beim eigenen Bauchnabel und den individuellen Wünschen nach Eigentum, Haus, Wohlstand. Mit ihr verbunden sind Gerechtigkeit und Recht. So gedacht erschöpft sich Nächstenliebe nicht in der Privatheit menschlicher Beziehungen, sie muss vielmehr öffentlich und politisch werden.

Nächstenliebe ist gerade auch Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung, für Rechte in der Arbeitswelt, für Geschlechtergerechtigkeit. Und ist Verpflichtung. So wird sie auch gesellschaftlich wirksam. 

 

Um die Nächstenliebe auch abzusichern, ist sie uns in den Geboten aufgetragen. Auf die Stimme Gottes und auf seine Gebote und Weisungen zu hören sind wir verpflichtet. Hier geht es nicht um Beliebigkeit, wie wir sie in unserer Welt kennen. Aneinander so zu handeln, dass alle ein gutes Leben führen können ist Grundauftrag, unbedingte Verpflichtung. Wir haben gar keine andere Wahl. Wenn wir so aneinander handeln, haben wir die Zusage, dass Gott uns Gutes im Überfluss schenkt. Dass ein gutes Miteinander immer wieder auf die Probe gestellt wird, haben wir in den letzten Jahren erfahren müssen. Gerade die vielen Verordnungen, zum Wohle der Gesellschaft und der Gesundheit ausgerufen, wurden nicht von allen so verstanden. Individuelle Freiheit wurde zum neuen Gott oder Götzen hochstilisiert. In ihrem Namen wurde der Pfad der Solidarität verlassen. Aufeinander zu schauen war nur in der ersten Phase der Pandemie angesagt. Schnell griffen die alten Muster, die Fleischtöpfe Ägyptens sozusagen, wieder. Der eigene Vorteil war wichtiger als das Gemeinwohl.

 

Die Grundfrage, die uns die Bibel stellt, gilt aber treffsicher auch für solche Situationen: Wie gelingt ein gedeihliches Zusammenleben in einem Volk, in einer Gesellschaft? Und was ist dafür hilfreich? Gebote und Weisungen scheinen da im Verständnis einer neoliberalen Wirklichkeit hinderlich zu sein. Gebote lassen auf Behinderung, Verhinderung von Lebensmöglichkeit schließen. Dass sie dazu dienen können, ein Leben in Freiheit und Würde zu sichern ist uns heutigen Menschen schwer begreifbar zu machen. Als Weisungen für das Land der Freiheit nennt Fulbert Steffensky die zehn Gebote. In einer Gesellschaft der Ausbeutung und Unterdrückung geht es darum, die Beliebigkeit der Stärkeren zu brechen. Es geht um Recht und Anrecht, wie Menschen als Volk zusammenleben sollen. Bezugspunkt dabei sind die Schwächeren.

 

Das Novum und Einzigartige an diesen biblischen Weisungen, Satzungen und Geboten ist ihre Einbettung. Hinter diesen Weisungen steht die Erfahrung und Erinnerung an die Befreiung. Gott befreite aus dem Sklavenhaus Ägyptens, aus unterdrückenden Herrschaftsverhältnissen. Dass man dorthin nicht mehr zurückkehren wollte war anfangs klar. Im Laufe der Geschichte war es jedoch immer wieder ein Ringen und ein Kampf, ein Kampf um Bedingungen, die sich von den Verhältnissen der umliegenden Völker unterschieden. 


Nie wieder Ausbeutung, Unterdrückung und dass sich ein Mensch über einen anderen erhebt. Soweit die tragfähige Vision. Angesichts der real existierenden Verhältnisse scheinen die biblischen Gedanken fern, unvorstellbar eine Freiheit, die in Autonomie und Egalität, also wirklicher Gleichheit für alle besteht. Ein Zusammenleben unter gleichen, die Güter gerecht verteilt, mit nur einem Grundeigentümer, Jahwe. Da bräuchte es dann doch größere Enteignungsaktionen und im Sinne des Jobeljahres eine Neuverteilung und Umverteilung, die dann in der Gemeinschaft der Apostelgeschichte münden sollte: „Die Menge derer, die gläubig geworden waren, war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam.“ (Apg 4,32f.)

 

Was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben? Mit dieser Frage will ein Schriftgelehrter im heutigen Evangelium Jesus eine Falle stellen. Als gläubiger Jude sollte er die Antwort wissen, nämlich: Tue die Tora und du wirst Leben. Darauf verweist Jesus, sein Name ist Programm - Gott hat befreit - mit seiner Frage: Was steht im Gesetz? Er antwortete: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Kraft, und deinem ganzen Denken, und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Handle danach, und du wirst leben, gibt Jesu als Antwort. Der Bezugsrahmen wäre also geklärt, fehlt nur noch das Tun. Das ist die eigentliche Schwierigkeit bis heute, nämlich Verhältnisse zu schaffen, in denen das Leben für alle Menschen möglich ist und bleibt. Bezugspunkt ist Jahwe, der Befreier-Gott. Ihm geht es um die Witwen, Waisen, die Benachteiligten und Erschöpften. Die Gottesfrage ist also immer eine entscheidende und wesentliche Frage, die biblisch mit entweder – oder beantwortet wird. Gott oder Mammon, Jahwe oder Baal. Die Frage bleibt immer: Wer ist Gott? Wer soll unser Gott sein? Wer garantiert ein Ende der Menschenfeindlichkeit? Daher sind wir angehalten, fremde Götter immer wieder zu identifizieren und zu benennen.
 
Biblische Texte begleiten uns bei der Klärung dieser Fragen, weisen den Weg, müssen aber auch immer wieder neu für unsere Verhältnisse übersetzt werden. Die Gebote und Weisungen Gottes haben mit unserem ganz konkreten Leben zu tun und sollen zum Leben führen. Sie sind nicht im Himmel verortet und gehen nicht über unsere Kraft, wären also laut Bibel, lebbar und einlösbar. So steht es zumindest in Deuteronomium geschrieben. Das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen. Menschlichkeit müssen wir zu unserer Herzensangelegenheit machen. Einander Mensch zu sein müssen wir pflegen, uns immer wieder tagtäglich gegenseitig zusagen, uns dazu ermutigen. Auch die Auferstehung verweist auf eine konkrete Praxis. Huub Oosterhuis beschreibt treffend: „Auferstehung aus dem Tod heißt nicht zulassen, dass auch nur ein Mensch erniedrigt wird, vergessen, getreten.“ 

 

Wir glauben, dass eine Welt anders als die real existierende möglich ist, nämlich, einander Nächste zu sein, weltweit. Diese Perspektive einer vorbehaltlosen Geschwisterlichkeit real umzusetzen scheint konkret sehr schwierig. Wenn wir weltweit die kriegerischen Verhältnisse und die Fluchtbewegungen betrachten, alleine in Afrika sind 32 Millionen Menschen auf der Flucht, haben wir noch viel zu tun. 

 

Die Gebote und Weisungen der Bibel können Anregung sein, die Rahmenordnung unseres Zusammenlebens neu zu denken. Schwerter zu Pflugscharen ist eine Losung der Bibel, genährt aus der Erkenntnis, dass Gott ein Gott des Friedens, der Barmherzigkeit und des friedvollen Zusammenlebens ist, wo der Löwe neben dem Lamm lagert, wo weder Sklave noch Freier, also die Klassengegensätze aufgehoben sind, wo weder Grieche noch Jude, also auch keine Ländergrenzen mehr existieren, und wo weder Mann und Frau, also auch jegliche Trennung der Geschlechter überwunden ist. Glauben und trauen wir diesen für uns immer wieder unbequemen Texten. 

 

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