Donnerstag 28. März 2024

Machtspiele – wie gelingt der Blick hinter die Maske?

Sozialpredigt zum Ersten Fastensonntag (10. März 2019) im  JK, LJ C

 

Autor: Diözesanbischof Dr. Manfred Scheuer, Bischof der Diözese Linz

 

LK 4,1-13

„Allem kann ich widerstehen, nur der Versuchung nicht“, so wusste es Oscar Wilde auszudrücken. Eine Versuchung ist heutzutage nicht mehr unbedingt verwerflich, sie hat ihren Reiz. Das machen sich Werbestrategien zunutze: Gönn dir doch einen kleinen Ausbruch aus deiner wohlsortierten Welt, pfeif auf die political correctness, geh deinen Sehnsüchten ungehemmt nach! - Worte und Symbole, die um das Leben kreisen, haben in der Werbung eine große Faszination und Anzie­hungskraft: „Reden wir über das Leben!“, „Vital“, „Biologisch“. Was ist das Leben? Was ist nur die Reklameseite? Die Reklameseite, die das Paradies, das Glück, die Erfüllung aller Sehnsüchte, kurz: das Leben, verspricht, hat meist eine Schattenseite, ein Kleingedrucktes.

Auch das Bedürfnis nach Unabhängigkeit, Souveränität und Macht ist Teil der beworbenen Reklame. Wobei – ist es überhaupt noch opportun, nach Macht zu streben?

Das Wort von der Macht und von den Mächtigen wird oft kritisch und abschätzig benutzt. Das hängt mit massiven Erfahrungen des Missbrauchs von Macht zusammen. Formen dieser Übermacht sind Zwang und die Gewalt, wenn das Starke das Schwächere drückt und erdrückt. Macht ist suspekt, Macht korrumpiert, sagt man. Aber: Die Kritik an der Macht allein ist noch nicht rational. Nicht gesehen wird bei diesem fundamentalen Verdacht der Macht gegenüber, dass es auch eine „Machtausübung der Machtlosen“ gibt. Stets ist die Beantwortung der konkreten Frage gefordert, wer durch Ächtung oder Kriminalisierung von Macht und Gewalt denn de facto die Macht zugespielt bekommt. Der Verzicht auf Macht kann ein Mittel sein, eine andere durchzusetzen.

Eine Versuchung zur Macht wird auch Jesus bei seinem 40tägigen Aufenthalt in der Wüste zugemutet. In der Gestalt des Teufels findet sich die in der Welt und unter den Menschen auftretende Macht und Gewalt verdichtet – und zwar in ihrer destruktiven Form. In ihrer Feindschaft zu Gott ist sie auf die Zerstörung von Leben ausgerichtet.

Wie sieht nun diese Versuchung Jesu aus? Jesus wird herausgefordert, seinen Anspruch und sein Gottesverständnis radikal zu hinterfragen. Dabei spielt der Versucher mit nachvollziehbaren Verlockungen: So soll sich Jesus doch als Wundertäter inszenieren, indem er Steine zu Brot verwandeln möge (Lk 4,3f); oder er soll sich auf weltliche Macht fokussieren (Lk 4,5-8); ja der Teufel scheut nicht davor zurück, Jesus eine regelrechte Provokation Gottes schmackhaft zu machen (Lk 4,9-12) und zitiert dabei gar aus der Heiligen Schrift.

Wer kennt das nicht: Versuchungen kommen oft im Gewand des Verständlichen, des Guten daher. Ein Phänomen, das Dietrich Bonhoeffer seiner „Ethik“ folgendermaßen aufzeigt: „Dass das Böse in der Gestalt des Lichtes, der Wohltat, der Treue, der Erneuerung, dass es in der Gestalt des geschichtlich Notwendigen, des sozial Gerechten erscheint, ist für den schlicht Erkennen­den eine klare Bestätigung seiner abgründigen Bosheit.“ Und so können wohlklingende politische Versprechen im Desaster enden und das Leid unzähliger Menschen verursachen. Was als wissenschaftlicher Fortschritt verkauft wird, nimmt Eingriffe in eine nun nicht mehr unantastbare Menschenwürde in Kauf.

Hilfreich kann hier die von Ignatius von Loyola herkommende Methodik der Unterscheidung der Geister sein. Bei dieser geht es um die Frage, welche Suche und Sehnsucht nach Leben auf den Weg des Lebens und welche zur Sucht, zur Flucht vor dem Leben und zur Zerstö­rung führt. Unterscheidung der Geister fragt über das unmittelbare Ge­fühl hinaus nach den Zusammenhängen und den Konsequenzen von Wegen, die das Leben ver­sprechen. Bei der Fähigkeit zur Unterscheidung der Geister geht es um ein Sensorium, Entwicklungen, die im Ansatz schon da sind, aber noch durch Vielerlei überlagert werden, vorauszufühlen. Sie blickt hinter die Masken der Propaganda, hinter die Rhetorik der Verführung, sie schaut auf den Schwanz von Entwicklungen, z.B. was Versprechen von Arbeit und Brot, Selbstbewusstsein nach „Demütigungen“, Verheißungen großer Siege u. ä. anlangt. Bei der Unterscheidung der Geister geht es um ein Zu-Ende-Denken und Zu-Ende-Fühlen von Antrieben, Motiven, Kräften, Strömungen, Tendenzen und möglichen Entscheidungen im individuellen, aber auch im politischen Bereich. Was steht an der Wurzel, wie ist der Verlauf und welche Konsequenzen kommen heraus? Entscheidend ist positiv die Frage, was auf Dauer zu mehr Trost, d.h. zu einem Zuwachs an Glaube, Hoffnung und Liebe führt. Negativ ist es die Destruktivität des Bösen, das vordergründig unter dem Schein des Guten und des Faszinierenden antritt. Unterscheidung der Geister ist so gesehen ein Frühwarnsystem, eine Stärkung des Immunsystems gegenüber tödlichen Viren.

Ein solches Sensorium kann auch helfen, die Frage nach Machtverhältnissen immer wieder neu in den Blick zu nehmen. Wo Menschen zusammenkommen und miteinander eine Gemeinschaft bilden (wollen), gibt es gegenseitige Beeinflussung und auch Macht. Es gibt kein Miteinander ohne Macht, sei sie personal oder auch strukturbedingt. Auch dort, wo die Verfahrensregelungen in Konflikten und in der Entscheidungsfindung total demokratisch verlaufen, ist Macht, Einfluss und Abhängigkeit nicht einfach aufgehoben. Gerade da ist zu fragen, welche Macht von wem und wie ausgeübt wird, welche Interessen sich durchsetzen, welche Personen dominant sind und welche Meinungen übermächtig werden. Wo die Machtfrage nicht mehr kritisch gestellt wird, droht die Gefahr, dass das Machtgefüge in eine gefährliche Schräglage gerät. Denn „fehlt es an Führung, kommt ein Volk zu Fall.“ (Spr 11,14)

Maßgeblich muss folgendes Kriterium sein:  Wo gestaltet Macht zum Positiven – zu „mehr Leben“ – hin und wo führt es in die entgegengesetzte Richtung? Das Verhalten Jesu in der Versuchungserzählung zeigt unmissverständlich zentrale Aspekte für die Beurteilung auf: Jesus missbraucht die ihm zukommende Macht nicht und er weist vor allem darauf hin, von wem die entscheidende Macht ausgeht – nämlich von Gott selbst.

+ Manfred Scheuer

 

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