Freitag 29. März 2024

Vom Sinn der Gesetze

Röm 13,8-10 und Mt 18,15-20
Vom Sinn der Gesetze

Sozialpredigt zum 23. Sonntag im Jahreskreis (10. Sep. 2017), Lesejahr A

 

Autor: DDr. Severin Renoldner

 

 

In diesem Evangelium wird von Regelungen und Vereinbarungen gesprochen, die im Leben von Menschen geschlossen werden. Ein Gesetz, eine persönliche Verbindung, Freundschaft, Ehe, ein Vertrag – alles was ihr auf Erden bindet wird auch im Himmel gebunden sein, und ebenso was aufgelöst ist, wird aufgelöst sein. Gott sei Dank auch das Aufgelöste! Es kann ja nicht alles immer gültig bleiben. Also – was bedeutet das wirklich: es wird alles auch im Himmel so gelten, wie ihrʼs auf Erden vereinbart habt?

Können die Menschen darüber verfügen, was im Himmel zu gelten hat? Und müssen Fehl­entscheidungen, die wir hier treffen, eine ewige Gültigkeit erhalten? So kann es sicher nicht gedacht sein, denn das würde die Macht des Menschen über den Tod hinaus, und seine Verfügungsmacht in die Ewigkeit hinein ausdehnen. Natürlich lehrt auch die menschliche Erfahrung, dass wir irren können und Verträge abschließen, die wir nachher bereuen, Ge­setze machen, die wieder geändert werden müssen usw. Das macht doch eigentlich die Qualität der Menschen und die Besonderheit ihrer Gemeinschaft aus: dass sie aus Fehlern lernen können und sich immer wieder weiterentwickeln!

Praktisch ist uns das irgendwie klar – wir kämen in Teufels Küche, wenn wir alles, was Menschen vereinbart haben, als unfehlbar und unumkehrbar erklären würden. Im Gegenteil, müssen wir manchmal schmerzhaft einsehen, dass wir umdenken müssen! (Und man soll bitte dieses Evangelium nicht eingeschränkt lesen, so als ob es nur über die Ehe oder die Beichte sprechen würde!)
Es ist aber doch interessant, dass die Normen und Spielregeln in der Bibel eine überzeitliche – religiöse – Bedeutung bekommen, obwohl sie gleichzeitig auch immer reversibel, umkehrbar sind, und Fehler und Irrtum enthalten können. Worin könnte diese überzeitliche Bedeutung liegen? Sicher nicht in der wortwörtlichen Richtigkeit all dieser menschlichen Verträge, Gesetze und Vereinbarungen – ich möchte dazu auf den Lesungstext (Röm 13,8-10) zurückkommen.

„Wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt.“ (Anm.: Wir wissen, dass Paulus nicht an das moderne österreichische Bundesgesetz oder EU-Recht denkt, sondern die ­jüdische Thora und ihre damalige Auslegung durch Rabbiner vor Augen hat. Aber auch diese biblischen Gesetze lesen sich wie Paragraphen mit detaillierten Vorschriften, vgl. die Bücher Exodus, Levitikus, Deuteronomium …). Paulus geht hier vom Sinn der Gesetze aus. Wir kennen das auch aus moderner Sprache, wo wir manchmal sagen: Du hast zwar den Buchstaben eines Gesetzes erfüllt, aber gegen seinen Geist oder Sinn verstoßen.

Nicht die wortwörtliche Erfüllung aller bürokratischen Auflagen macht das Wesen der Gesetze aus: „Sie haben das binnen 14 Tagen ab dem Zustellungstermin in 7facher Ausfertigung dort und dort einzureichen“. Nein, es kommt viel mehr darauf an, was wir in diesen Antrag oder Bericht hinein-schreiben! Es gibt in der Tat so etwas wie die Seele eines Gesetzes. Und diese Seele besteht darin, dass die Spielregeln, Normen und Gebote dazu führen sollen, dass wir gut leben, auch gut miteinander umgehen.

Wenn wir z. B den Vertrauensgrundsatz in unseren Verfassungsgesetzen stehen haben, dann ist das bewusst auch eine Einschränkung für künftige Gesetzgeber: sie sollen keine neuen Normen beschließen, die jemanden „kalt erwischen“, das heißt, unvorhergesehen seine Lebenssituation beträchtlich erschweren. Man darf also nicht grundlos einen Lohn kürzen oder eine Pension rückwirkend senken, obwohl man dazu durchaus eine Mehrheit hätte, die es beschließen kann. Man darf es vielleicht formal – aber nicht nach dem Geist der Verfassung und nicht im Sinn guten Miteinanders.

Man darf Menschen, denen man etwas zugesagt hat, nicht einfach nachträglich sagen: das gilt jetzt nicht mehr, denn das haben wir soeben mit Mehrheit beschlossen. Eine Mehrheit, die das tut, kommt bisweilen in der Geschichte vor, sie begeht aber Machtmissbrauch. Demokratie und Rechtsstaat bedeuten nicht Willkürherrschaft irgend­welcher Parteien oder Mehrheiten, sondern Achtung auf Gemeinwohl und Rücksicht auch auf die einzelnen Menschen.

Gesetze haben ihren Sinn nicht nur in einem Herrscher, oder in einer Mehrheit, die sie beschließt, auch nicht in den Interessen bestimmter Gruppen, die sich halt durchsetzen, sondern sie sollen – das steht sinngemäß in allen demokratischen Verfassungen der modernen Welt – im Geiste für Alle, für die Gesamtheit gedacht sein. Die Seele eines Gesetzes, einer Norm besteht nicht im „justament“, sondern in der Fairness: „Das muss für alle so gelten“.

Es ist etwas Positives zu wissen und einzusehen, dass es Spielregeln braucht. Je komplexer und größer Gesellschaften werden, umso differenziertere Spielregeln benötigen sie. (Denken wir nur an die heutige Globalisierung und beginnende Weltgesellschaft – sie bräuchte so notwendig neue Gesetze und Regeln für den Erhalt des Klimas, der Regenwälder, für das Überleben bestimmter bedrohter Völker und so weiter.)

Gesetze, Gebote, Normen sind keine Einschränkungen um ihrer selbst willen, sondern Mittel zum gemeinsamen Überleben: man kann eben z. B. nicht gut zusammenleben, wenn nicht geklärt ist, dass Diebstahl verboten ist. Daher ist eine solche Regel – auch wenn sie eine Einschränkung meiner Freiheit darstellt! – für mich selbst ebenfalls gut!

Dasselbe gilt aber von Sozialgesetzen: dass alle überleben und eine faire Pension, einen angemessenen Lohn erhalten, dass sie bei Krankheit versorgt werden – das alles ist auch gut, und es könnte ja auch einmal mich oder dich treffen. Wir sollen daher nicht sagen: „Das ist uns viel zu teuer“ oder: „Warum muss ich die anderen mitfinanzieren?“

Die Spielregel sorgt, wenn sie gut gemacht ist, dafür, dass alle einigermaßen gut leben können. Der Reiche, der Gesunde, der Junge. Der, der stark und handlungsfähig ist, sieht das möglicherweise nicht immer ein. Er mag denken: „Was nützt das mir?“ Aber das Gesetz denkt hier richtig: Du bist nicht mehr wert als der andere. Und ebenso gut kannst Du schon morgen krank, arm, verlassen oder schwach sein.
Und auch Du wirst älter.

 

Das bedeutet auch etwas für unsere Gesetzgeber(innen): Gesetze sollen nicht willkürlich und justament erlassen werden! Sie haben die Pflicht, dem Gemeinwohl zu dienen. Gesetze dürfen Minderheiten oder Randgruppen (z. B Asylsuchende!), aber auch nicht große Bevölkerungsgruppen benachteiligen: z. B. Frauen! Oder: Arbeiter! Oder: Pensions-BezieherInnen! In diesem Sinn gibt es sehr wohl manchmal auch Gesetze, die zwar formal in Kraft, dem Geist nach jedoch ungerecht sind.

(Es gehört eben zum guten Stil in der Demokratie, dass alle sich einsetzen dürfen, schlechte Gesetze zu korrigieren und gerechtere zu schaffen.) Im Extremfall kann das heißen: Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht. Die eigentliche Verpflichtung geht aber dahin, daran zu arbeiten, dass das Unrecht nicht zu groß wird und immer wieder in Richtung Fairness und Gerechtigkeit hin korrigiert wird.

„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, heißt es in unserem Paulustext (Lesung). Und: „Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Also ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes.“ Wer das Gesetz erfüllt, handelt nicht nur nach dem Buchstaben, sondern nach der Seele, dem Geist und Sinn des Gesetzes. Der Mensch kann erkennen, dass sie und er auch für das gute Leben der Mitmenschen eintreten, sie „mitfinanzieren“, Rücksicht nehmen etc. soll. Und ich kann sogar dankbar dafür sein, dass es solche Spielregeln gibt, denn mir selbst wird in ihnen ebenfalls Rücksicht zugesagt.

 

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