Bilder der Hoffnung
Liebe Gemeinde,
Wir haben es beim heutigen Lesungstext mit einer kostbaren Perle jüdischer Poesie zu tun. Er hat viele Künstler inspiriert diese Szene zu malen oder in Stein zu meißeln.
Marc Chagall hat diese Zeilen in einem Wandteppich verwebt, der seit 1969 den Festsaal des israelischen Parlaments ziert.
Heute (9.10.25) da ich diese Predigt schreibe, kommen die ersten Meldungen über Erfolge im Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern im Gazakrieg über die Medien.
Die Hoffnung auf die Freilassung der Geiseln und auf ein Ende der unmenschlichen Gewalt bekommt neue Nahrung. Die ersten Schritte für einen grundlegenden Wandel tun sich auf.
(Hier kann man einen Bezug auf die aktuelle Situation am 2. Adventsonntag einfügen.)
Es ist die Hoffnung auf eine andere, eine bessere Welt, die uns daran hindert zu resignieren oder zu verzweifeln. Es ist die Hoffnung, die uns durchhalten lässt, trotz all der Gewalt von der unsere Welt immer noch so voll ist. Es ist die Hoffnung, die trägt – es ist die Hoffnung, die uns verändert.
Die Vision Jesajas ist Ausdruck eine uralten Sehnsucht: Der Sehnsucht nach Heil auf dieser Welt, der Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit, der Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit. Sie ist auch nach 2500 Jahren noch so aktuell wie damals.
Jesaja scheint mir ein großartiger Psychologe gewesen zu sein. Er weiß, dass Menschen dunkle Krisenzeiten nur überstehen, wenn sie ein Licht der Hoffnung auf eine bessere Zukunft in ihren Herzen entdecken. Jesaja hatte diese Hoffnung und fasste sie in Worte, deren Sinn und Bedeutung ich nun näher beleuchten möchte.
Es ist kein Zufall, dass viele Texte Jesajas gerade im Advent in der Liturgie vorkommen.
So wie der Advent auf das kommende Weihnachtsfest vorbereiten will, so sahen die ersten Christen diese Texte als Vorbereitung auf den in Jesus von Nazareth gekommenen Messias.
Ohne Rückbezug auf die Texte Jesajas würden wir von diesem Jesus mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überhaupt nichts wissen. Jesus ist für sie der vom Geist Gottes erfüllte Mensch, von dem Jesaja hier vor ca. 700 Jahren gesprochen hat. Daran besteht für sie nicht der geringste Zweifel. Sie laden uns ein, diesen Glauben mit ihnen zu teilen.
Im Markusevangelium gibt es einen versteckten Hinweis auf den 2. Teil – den sogenannten Tierfrieden – dieser Lesung. Nach der Taufe zieht sich Jesus für 40 Tage in die Wüste zurück. Anstatt die Versuchungen durch den Satan detailreich zu schildern (wie es Mt. und Lk. tun) schreibt Markus lediglich: „Er lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm.“
In Anlehnung an Jesaja nimmt Markus hier also Bezug auf den paradiesischen Urzustand. Ohne Rückbindung (Re-ligio) an diesen heiligen Ursprung, würde Jesu Mission scheitern.
Die wilden Tiere sind hier also nicht wörtlich, sondern symbolisch zu verstehen. Die Raubtiere um die es hier geht, (der Löwe, Panther, Bär, Wolf) und die todbringende Schlange stehen für innere Anteile unserer Psyche/Seele.
In einem intensiven spirituellen Prozess (symbolisch 40 Tage) hat sich Jesus innerlich damit auseinandergesetzt. Da er ganz Mensch war, trug auch er – so wie jede/r von uns – diese destruktiven Kräfte in sich. Dabei geht es nicht um die Verdrängung und Ausrottung dieser Kräfte sondern um deren Zähmung und Integration durch das göttliche Selbst. Das spirituelle Grundprinzip dafür lautet: Nur was angenommen wird, kann verwandelt werden.
Wie viele Sprichwörter und Märchen verraten, haben alle diese Anteile sowohl negative (wilde) Aspekte – als auch positive (engelhafte) Aspekte.
Man kann egoistisch, selbstsüchtig für seinen Löwenanteil kämpfen – oder wie ein Löwe für Gerechtigkeit und Fairness kämpfen.
Man kann hinterlistig wie ein Wolf mit der Meute heulen - oder als Leitwolf vorausschauend und umsichtig für die Gemeinschaft sorgen.
Man kann faul wie ein Bär das halbe Leben verschlafen - oder mit bäriger Gelassenheit für Ruhe sorgen.
Man kann ständig wie ein Panther auf der Lauer nach Fehlern und Schwächen anderer Ausschau halten – oder geduldig wie ein Panther auf den richtigen Augenblick warten.
Man kann wie eine Schlange überall sein Gift von Neid und Missgunst verspritzen – oder sich klug durch Schwierigkeiten und Hindernisse schlängeln.
Wenn das Wilde die Herrschaft in uns übernimmt,
> dann erleben wir wilden Raubtierkapitalismus, in dem alle um den Löwenanteil kämpfen.
> dann herrscht das Gesetzt des Dschungels, wo der Starke den Schwachen besiegt.
> dann liegen wir ständig auf der Lauer um nur ja jede Schwäche, jeden Fehler des anderen zum eigenen Vorteil auszunützen
> dann verspritzen wir unser egoistisches Gift, dass jede solidarische Atmosphäre vergiftet.
> dann erleben wir überall um uns herum nichts anderes als Gewalt, Angst, Not, Unrecht, Hoffnungslosigkeit, …
Wenn das Heilige die Herrschaft in uns übernimmt,
> dann erleben wir solidarische Gerechtigkeit, für die wir wie ein Löwe kämpfen
> schützen die Starken die Schwachen und verteidigen sie mit Bärenkräften
> dann sind wir wachsam wie ein Panther, wenn jemand über andere herrschen will
> dann sind wir klug wie die Schlange und sorgen durch achtsame Kommunikation dafür, dass niemand mit „gespaltener Zunge“ spricht.
> dann erleben wir, dass Versöhnung und Vergebung zwischen Feinden möglich wird,
> dann keimt Hoffnung auf positive Veränderung auf, dann entdecken wir neue Wege und Möglichkeiten wo wir bisher nur Hindernisse und Grenzen sahen.
Wenn wir dem Beispiel Jesu folgen, dann kann der Traum Jesajas zumindest in Ansätzen und kleinen Anfängen Wirklichkeit werden. Lasst uns den Traum Jesajas heute gemeinsam weiterträumen, damit eine neue Wirklichkeit möglich wird:
Dann leben der Russe und Ukrainer friedlich nebeneinander der Palästinenser vertraut wieder dem Israeli und umgekehrt, der Chinese teilt mit dem Taiwanesen den Reis, ….
Die Religionen arbeiten zum Wohl der Menschheit zusammen zerstrittene Nachbarn regeln ihren Konflikt beim gemeinsamen Grillen. Ich versöhne mich mit meinen Aggressionen, meinem Perfektionismus, meiner Bequemlichkeit, meiner Kindheit, mit meiner Sterblichkeit/Endlichkeit. …
Wir begreifen endlich, dass alle Menschen nur einen gemeinsamen Planeten bewohnen, den sie gemeinsam vor der Zerstörung durch das Wilde in uns bewahren müssen.
Amen – So sei es