Von Engeln und Träumen
Die Erwählung Marias (Lk 1,26-38)
Eine der uns bekanntesten und vertrautesten biblischen Erzählungen ist die von der Erwählung Marias. Hier treffen wir auf eine außergewöhnliche Begegnung. Gott tritt in der Gestalt eines Engels in den Alltag Marias ein. Wenn in den biblischen Geschichte Engel auftreten, dann kommt es im Leben der Menschen immer zu entscheidenden Veränderungen.
Da tun sich auf einmal neue Horizonte auf, der Blick auf das Leben wird erweitert. Lebensfreundliche Botschaften oder Lösungen werden angekündigt: Unglaubliches und scheinbar Unmögliches soll auf einmal möglich werden.
Sehr oft erzählt die Bibel aber auch davon, dass die Angesprochenen zuerst einmal heillos überfordert sind. Sie brauchen Zeit, damit sie die Botschaft überhaupt erfassen können.
Das Gespräch zwischen Gott und Mensch
Wenn Gott den Menschen eine Botschaft in ihr Leben bringt, dann darf schon auch einmal genau nachgefragt werden oder hinterfragt oder vielleicht sogar widersprochen. Auf diese Reaktion treffen wir auch bei Maria. Das Wunderbare dieser Erzählung ist aber, dass ihr Einwand ernst genommen wird. Das Gespräch läuft eben nicht in einer Einbahnstraße, sondern es entwickelt sich ein wunderschöner Dialog. Und das ist nicht nur bei Maria so.
Wenn in der biblischen Tradition Frauen oder Männer von Gott in den Dienst genommen werden, geschieht es oft, dass sie Fragen stellen, Einwände haben, nicht verstehen – ja, gelegentlich verhandeln oder streiten sie sogar mit Gott (Mose, Jona,…).
Biblische Menschen sind also durchwegs mutige Leute, auch Gott gegenüber. Das sagt auch viel über Gott aus, weil er uns Menschen diesen Raum gibt und ermöglicht. Eines wird im Gespräch Gottes mit uns Menschen sehr deutlich: es geht nicht um Belehrung oder Anweisung, sondern es geht ums Berührt-Werden.
Der Traum des Josef (Mt 1,18-25)
Bei Josef läuft die Geschichte anders. Er war wohl kein Mann der vielen oder großen Worte. Aber ihm dürfte eine wachsame Präsenz und Achtsamkeit zu eigen gewesen sein. Er hört auf die Stimme und die Regungen seines Herzens. Er macht sich innerlich offen und leer, damit er Gottes Wort, Gottes Anrede hört. Das Besondere bei Josef ist, dass die Engel in seinen Träumen zu ihm sprechen. Und das immer in menschlich sehr schwierigen Situationen.
Denn Josef hat eine besondere Begabung, so wie der Josef des Alten Testaments: er kann Träume deuten, Träume, die Gefahren abwenden, neue Lebensmöglichkeiten bieten, Träume, die alles in einen größeren Zusammenhang und Heilsplan einordnen. Josef hat einen Sinn für Visionen und Verheißungen. Von den „Realos“ werden die Träumer schnell als Spinner abgetan, dabei hat unsere Welt und gerade auch unsere Zeit solche „Träumer“ so nötig!
Das tun, was dem Leben dient
Er ist kein Hüter von Ordnungen. Das Gesetz hätte ihm vorgeschrieben, Maria öffentlich bloßzustellen oder sie zumindest in Stille aus der Ehe zu entlassen. Eine menschlich extrem schwierige Situation!
Josef aber lässt sich auch auf Unordnung ein, weil er darin das Wirken des Heiligen Geistes zu erkennen vermag. Darin ist er auch standhaft: sich über Gesetze und Ordnungen hinwegsetzen, wenn es dem Leben dient. Das zeugt von Mut und Zivilcourage. Seine Haltung gegenüber den Gesetzen hat Jesus ganz maßgeblich von Josef gelernt!
Er ist ein Mann, der aufbricht aus der Sicherheit, der sich in fremdes Land wagt, der auch Gefahren und Bedrohungen standhält. Er beschützt Frau und Kind, als deren Leben bedroht ist. Ein Mann, der mit großem Gottvertrauen auch in der Angst besteht. Und der die ihm Anvertrauten wieder sicher in ihr Land bringt und in ihre Bestimmung. So folgt Josef der Botschaft lebensfreundlicher Träume und Botschaften, er ist ein Mann der Tat, er nimmt sich dabei selber zurück und stellt sich in den Dienst eines größeren Planes.
Vertrauen schaffen – Angst nehmen
Wenn Engel im Leben der Menschen auftauchen kommt es also meist zu Veränderungen. Das kann auch Angst machen. Das kennen wir alle, dass Veränderungen bisweilen auch Angst machen können. So hören wir von Maria, dass sie unsicher ist und erschrickt. Der Engel spürt ihre Verunsicherung und genau in diese Situation hinein sagt er ihr das wunderbare „Fürchte dich nicht!“. Von Josef fordert der Engel einen mutigen Weg zu gehen - gegen bestehendes Recht und bestehende Ordnungen.
Ja, das ist in der Bibel sozusagen das Erkennungszeichen Gottes schlechthin, dieses „Fürchte dich nicht! Fürchtet euch nicht!“. Das sagt uns viel über Gott aus, nämlich, dass er kein Interesse hat an unserer Furcht, dass er seine Macht nicht auf unseren Ängsten aufbauen will.
Wenn wir in unserem Alltag einen Menschen treffen, bei dem unsere Angst abnimmt und unser Vertrauen wächst, dann dürfen wir annehmen, dass er oder sie – im Sinne Gottes – es gut mit uns meint, dass er oder sie ein solcher Engel Gottes ist.
Es entsteht eine Atmosphäre, wo Ängste schwinden und Vertrauen wachsen kann, wo Wachstum möglich ist, wo Lebendigkeit sich entfalten kann, wo wir uns in unserem tiefsten Wesen, in unserer Mitte angesprochen und verstanden fühlen können.
Die Verheißung von Weihnachten
Aus den biblischen Erzählungen von der Erwählung Marias und dem Traum des Josef können wir herauslesen, was die große Zusage Gottes für uns alle ist:
- Wir erfahren uns von Gott erwählt und angesprochen.
- Wir wissen um unsere Aufgabe und Bestimmung, um unsere Möglichkeiten und Grenzen.
- Wir fühlen uns zu unserem innersten Wesen befreit.
- Wir erleben uns als Beschenkte und stellen uns in den Dienst von etwas Höherem.
- Unser Dasein ist geprägt von einem großen Vertrauen ins Leben.
- Aus einem großen Einverständnis mit dem Leben heraus kann neues Leben wachsen.
- Das alles wird möglich mit der Kraft des Heiligen Geistes.
Verwahren wir diese Botschaft gut in unseren Herzen und fügen wir sie zusammen, so wie wir es in der Bibel von Josef und Maria hören.
So möge Gott uns gerade auch in diesen (vor)weihnachtlichen Tagen geben, dass wir unseren Engel erkennen und verstehen, wenn er uns besucht und sagt, was Gott Großes mit uns vorhat – im Alltag und in unseren Träumen.
Wolfgang Bögl, Theologischer Assistent der KMB Linz