Bitte keine Indianer!
Ehrlich: Ich mag mir kein Beispiel nehmen an den Indianern. Ich habe gerne Karl May gelesen. Beim „Schuh des Manitu“ habe ich herzhaft gelacht. Aber ansonsten kann ich mit den Indianern wenig anfangen. Das betrifft ganz besonders die Kindererziehung, wo mir die amerikanischen Ureinwohner von Facebook-Freunden ganz besonders häufig ans Herz gelegt werden.
Vielleicht bin ich einfach zu dumm, aber ich vermag einfach nicht genug Parallelen zwischen dem Dschungel Venezuelas und meiner Wiener Altbauwohnung zu erkennen, um die Erziehungstipps sonderlich praktikabel zu finden.
Meistens lernen wir von den Indianern, dass unsere Kinder keine Windeln benötigen, wenn ihre doch auch keine brauchen. Doch diesmal müssen sie herhalten, um für größere Betten in unseren Schlafzimmern zu werben.
Diese verflixten Still-BHs
Die originelle These: Die Nächte von uns Eltern wären viel erholsamer, würden wir unseren Nachwuchs bei uns im Bett schlafen lassen. Zuerst einmal würden die stillenden Mütter profitieren, da sich die Kinder „selbst bedienen“ könnten – „die Mutter muss nicht aufwachen, wie eben bei Ureinwohnern auch“. Seit wir das gelesen haben, zeigen wir unserer neun Monate alten Tochter Hannah jeden Abend, wie sie den Verschluss des Still-BHs öffnen muss, nachdem sie ihrer Mutter das Schlafleiberl über den Busen geschoben hat. Wie wir meine Frau Elisabeth allerdings dazu bringen, auch beim zärtlichen Abwetzen von Hannas spitzen Zähnchen an ihren Brustwarzen tiefenentspannt weiterzuschlafen, wissen wir noch nicht. Tipps (vorzugsweise aus dem Urwald!) werden dankend entgegengenommen.
Aber auch die Väter profitieren von den Indianern: Durch das Schlafen im gemeinsamen Bett glichen sich die „Schlafrhythmen“ an und die Eltern hätten erholsamere Nächte. Unsere Burschen hatten offensichtlich immer eher ein Faible für rhythmische Sportgymnastik und liebten es, durch ihre Schlafhaltungen Buchstaben zu imitieren. Besonders beliebt waren bei ihnen jene Buchstaben, bei denen auch die Eltern mitspielen durften. Wert legten unsere Kinder dabei vor allem auf kraftschlüssige Verbindungen zwischen den Buchstabenteilen.
Liebe bis zur letzten Bandscheibe
Last but not least folgt das apokalyptische Schreckensszenario, was unseren Kindern droht, wenn wir uns nicht endlich ein Beispiel an den Indianern nehmen: „Körperlich und seelisch gesund entwickeln“ könnten sich unsere Kinder nur durch „das dauernde Tragen am Körper zumindest im ersten Jahr und das Stillen nach Bedarf“.
Seit wir diesem Ratschlag konsequent folgen, hat sich Elisabeth zwar ziemliche Rüffel von ihrem Orthopäden eingeholt, und auch Hannah findet es ein bisschen langweilig, dass sie jetzt nicht mehr mit ihrem Spielzeug spielen darf, aber wir wollen ihrer körperlichen und seelischen Gesundheit schließlich nicht im Wege stehen.
Ganz im Ernst: Wer Indianer cool findet, soll gerne größere Betten anschaffen, seine Schlafrhythmen synchronisieren, das Selbstbedienungsstillen trainieren und seine Kinder im ersten Lebensjahr nicht ablegen. Aber bitte, bitte hört auf, dem Rest der Menschheit ein schlechtes Gewissen zu machen, wenn sie das anders handhaben wollen.
Florian Unterberger ist Pressesprecher bei einer Wiener Anwaltskanzlei. Er ist Vater von vier Kindern.