Die Umrisse des Gelobten Landes sehen!
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Biblische Lesungen:
Lesung aus dem Buch Deuteronomium
Mose stieg aus den Steppen von Moab hinauf auf den Nebo, den Gipfel des Pisga gegenüber Jericho, und der Herr zeigte ihm das ganze Land. Er zeigte ihm Gilead bis nach Dan hin, ganz Naftali, das Gebiet von Efraim und Manasse, ganz Juda bis zum Mittelmeer, den Negeb und die Jordangegend, den Talgraben von Jericho, der Palmenstadt, bis Zoar. Der Herr sagte zu ihm: Das ist das Land, das ich Abraham, Isaak und Jakob versprochen habe mit dem Schwur: Deinen Nachkommen werde ich es geben. Ich habe es dich mit deinen Augen schauen lassen. Hinüberziehen wirst du nicht. Danach starb Mose, der Knecht des Herrn, dort in Moab, wie es der Herr bestimmt hatte. Man begrub ihn im Tal, in Moab, gegenüber Bet-Pegor. Bis heute kennt niemand sein Grab. Mose war hundertzwanzig Jahre alt, als er starb. Sein Auge war noch nicht getrübt, seine Frische war noch nicht geschwunden. Die Israeliten beweinten Mose dreißig Tage lang in den Steppen von Moab. Danach war die Zeit des Weinens und der Klage um Mose beendet.
Aus dem Evangelium nach Johannes
Jesus sagte zu seinen Jüngern: Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich! Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten? Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin. Und wohin ich gehe - den Weg dorthin kennt ihr. Thomas sagte zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir dann den Weg kennen? Jesus sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich. Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Schon jetzt kennt ihr ihn und habt ihn gesehen.
Predigt
Nein! Es war ihm nicht vergönnt gewesen das Gelobte Land zu betreten. Die Hoffnung, dort einmal das Leben in seinem paradiesischen Zustand zu genießen trug ihn aber sein Leben lang. Und dieses war alles andere als fad. Die Lust an Gott und seiner Sache: das war sein Lebenselixier. Nein, nein! Er war kein abgehobener weltfremder Frömmler; vielmehr ein Mann aus Fleisch und Blut, ein Mann mit Ecken und Kanten. Authentisch! Deswegen auch eine überzeugende Führungspersönlichkeit. Kein seelenloser Manager.
Mose gehört zu jenen begnadeten Menschen, denen der liebe Herrgott die Augen öffnete und die Lebensperspektiven weitete..., so dass sie die Welt in einem anderen Licht sehen können. Großgeworden in einer Apartheidgesellschaft, in einem Land in dem Sklaverei von Vielen zum Garanten des Luxus für Wenige geworden ist, wird der junge Mann von einem Gnadenstrahl gestreift, von der Vision des Gelobten Landes beflügelt und auf den Wüstenweg dorthin geschickt. Was hat es alles auf diesem Lebensweg gegeben? Wie viele scheinbare Sackgassen? Irrwege. Konflikte. Rebellionen und dies im engsten Kreis von Vertrauten. Wie viele Menschen stützten - und dies auch buchstäblich - die ermüdeten, sinkenden Arme des Mose (vgl. Ex 17,12), damit diese den Anderen als stark und erhoben erscheinen, deswegen auch bei den Mitmenschen den neuen Mut erwecken? Wie oft aber wollte Mose selber alles hinschmeißen, so wie er die Tafeln des Bundes hingeschmissen hat, so dass sie in unzählige Stücke zerbrachen? Und trotzdem! Wie kaum ein anderer seiner Zeitgenossen glaubte er dem Gott, der ihn berufen hat, dem Gott, der ihm die Augen geöffnet hat. Wie kaum ein anderer seiner Zeitgenossen sagte er sich ständig zu: “Wir schaffen es!” Wir schaffen es und werden die Hoffnung nicht verlieren, nicht einmal in der hoffnungslosesten Situation: auf den Durststrecken, gerade dann, wenn alle - buchstäblich alle - zu verdursten drohen. Dieser hochverdiente Mann steht nun am Berg Nebo. Sein Auge ist nicht getrübt, seine Frische nicht geschwungen. Die Vision, die ihn Zeit seines Lebens beflügelt hat, scheint endlich Fleisch geworden zu sein: das Gelobte Land ist zum Greifen nahe. Und da stirbt er!
Liebe Schwestern und Brüder, es ist leichter zu sterben, wenn wir die Umrisse des Gelobten Landes deutlich vor uns sehen - schrieb einmal die begnadete deutsche Theologin Dorothee Sölle.
Lieber Markus, ist es vermessen, Dich und deine Lebensgeschichte in Analogie zur Lebensgeschichte des biblischen Mose zu sehen? Du bist zwar nicht hundertzwanzig Jahre alt geworden, aber auch achtzig stellen gemäß dem Wort des Psalmisten ein hohes Alter dar. Jedenfalls war dein Auge nicht getrübt und deine Frische nicht geschwunden, auch wenn du zuletzt hin und wieder einen erschöpften Eindruck machtest. Auch Du gehörtest zu jenen Menschen, denen der liebe Herrgott eine besondere Berufung schenkte. Denen er sich immer und immer wieder neu offenbarte, ihnen die Augen öffnete, ihnen den Verstehenshorizont weitete, so dass sie die Welt und deren Werte in einem anderen Licht: im Licht der Hoffnung sehen können. Vermutlich war schon dein Elternhaus ein Ort gewesen, an dem sich eine solche Offenbarung ereignete, ein Ort, in dem dich der Gnadenstrahl streifte. Dich und wohl auch denen Bruder Eugen, der als Kapuziner nach Tansania ging. Der hautenge Kontakt zur Ideologie und zur Wirklichkeit von Apartheid, den du bei deinem Studium in Südafrika hattest, das Apartheidsyndrom schärfte dein Gespür für die Frage nach der Gegenwart der befreienden Gnade Gottes und nach der Bedeutung der Vision des Gelobten Landes im Leben eines Volkes, einer Familie, einer Menschengruppe, ja: im Leben eines jeden einzelnen Menschen.
Markus, oh Markus! Als jünger Priester dürftest Du diese Erfahrung der befreienden Gnade in den Umbrüchen der 68-er machen: beim Studium der Pastoraltheologie in Innsbruck und bei der Begleitung von jungen, von aufmüpfigen Studierenden im Noviziat in Riedegg, oder aber in Linz im diözesanen Studentenzentrum. Gnade und Freiheit, bedingungslose Lebensbejahung, Aufbruch und Risikofreudigkeit: gerade dann, wenn man auf Wüstenpfaden wandert: dieser alles umwälzenden Atmosphäre der 68-er bist Du nicht im Geiste des Ressentiment begegnet. Vielmehr stürztest Du dich ins Leben hinein mit dem Motto: Jetzt erst Recht die Lust an Gott und seiner Sache. Nein! Lieber Markus, es ist nicht vermessen Dich mit diesem biblischen Giganten zu vergleichen. Wie Mose hast Du ja Menschen begleitet, leitend begleitet, mit ihnen Entscheidungen getroffen: ganz gleich ob als Assistent von der Katholischen Männerbewegung, als Provinzial oder als geistlicher Begleiter und Beichtvater. Unzählig viele Menschen verdanken dir Vieles! Auch wenn das Meiste für die Augen der Fremden unsichtbar bleibt.
Aber auch - und das ist die Kehrseite der Medaille deines Lebens - unzählig viele Menschen haben dir unter die Arme gegriffen; gemäß dem biblischen Bild haben sie deine Arme gestützt, damit diese nicht sinken von Ermüdung. Da ist Maria, die jahrzehntelang deinen Haushalt führte; da ist der ganz große Kreis von Freunden, die dich ja regelmäßig einluden, mit dir Freizeit verbrachten (ganz biblisch könnte ich da zu Maria paradigmatisch den Sepp hinzugesellen); da sind deine Geschwister (deine Brüder und deine Schwester in deren Haus du ja gestorben bist) samt der Familien und Freunde. Und natürlich sind da auch deine Mitbrüder, die dir ja nicht nur Probleme bereiteten. Du hast unter ihnen doch so viele vertraute Freunde gehabt, bist doch ein Mariannhiller mit Haut und Haaren gewesen. Zuletzt ein Provinzial, wie man sich ihn in dieser Zeit nur wünschen kann.
Natürlich hast auch Du wie Mose des Öfteren Rivalitäten zu spüren bekommen, bist oft vor scheinbar ausweglosen Sackgassen gestanden und vor der schier endlos erscheinenden Wüste und Durststrecke, die eine immer älter werdende Gemeinschaft tagtäglich zu erleiden hat. Tagtäglich. Du schautest aber nicht in Wehmut zurück, träumtest nicht rückwärtsgewandt von den Fleischtöpfen Ägyptens. Du suchtest immer wieder neu nach den Konturen des Gelobten Landes, das ja immer vor Euch: den Mariannhiller, das ja immer auch vor uns allen liegt. Deswegen warst du auch fähig zu mutigen Entscheidungen, konntest immer wieder neue Aufgaben übernehmen, warst in der Diözese und darüber hinaus präsent. Nein! Es ist nicht vermessen, Dich und deine Lebensgeschichte mit der atemberaubenden Story des biblischen Mose zu vergleichen. Denn: - und das ist wohl der entscheidende Punkt - dein Leben lang warst du beflügelt von der Vision des Gelobten Landes zu dem du unterwegs warst. Dein Leben lang waren dir der Glaube und das Vertrauen auf den Gott, der dich berufen hat dein Lebenselixier. Nein, nein: Du warst kein Frömmler. Vielmehr ein Mann mit Ecken und Kanten, ein Mensch aus Fleisch und Blut. Authentisch - deswegen: ein Mensch, ein Christ, ein Ordensmann, ein Priester, ja... ein Amtsträger, wie sich ihn der Zeitgenosse nur wünschen kann.
Lieber Markus, wir wissen nicht wie Du deine letzten Augenblicke auf deinem Berg Nebo in der Nacht von Samstag auf Sonntag, dem 7. August erlebt hast. Die Kirche feierte an diesem Samstag das Fest der Verklärung Christi auf dem Berg Tabor. Nicht zuletzt deswegen glaube ich, dass Du im Augenblick des Todes jene Stimme vernommen hast, die dich - wenn auch unaufdringlich und anonym - dein Leben lang begleitet hat: “Markus! Dein Glaube lasse sich nicht verwirren. Glaube an Gott und glaube an mich. Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen!” Dir, der du in den letzten dreißig Jahren zahlreichen Menschen in deinem Haus - dem Haus der Provinz - Wohnungen bereitet hast, wurde an der Schwelle deines Todes ein radikal neuer Blick in das Gelobte Land geschenkt. Es ist ja leichter zu sterben, wenn man die Umrisse des Gelobten Landes deutlich vor sich sieht.
Liebe Schwestern und Brüder, immer und immer wieder haben sich die jüdischen Rabbiner gefragt, warum es dem Mose nicht vergönnt war, das Gelobte Land zu betreten. Und die meisten sahen den Grund dafür in der verhängnisvollen Entscheidung des Mose, in der Krise des goldenen Kalbes zur Gewalt gegriffen zu haben (vgl. Ex 32, 26-28). Als Lösung der Krise. Dadurch lud Mose schwere Schuld auf sich. Er hatte über die Grenze des Todes hinaus Unversöhnliches geschaffen. Jeder bodenständiger Amtsträger und erst recht jeder Christ weiß, dass es die absolute Unschuld in dieser ambivalenten Welt nicht gibt, dass Christen keine moralischen Titanen seien und dass die Heiligen mehr als Durchschnittsbürger das Bewusstsein haben an ihren Mitmenschen schuldig geworden zu sein. Sie wissen, dass sie erlösungsbedürftig sind. Auch Markus hat in seinem Leben Schuld auf sich geladen. Auch an der Schwelle seines Todes gibt es Unversöhntes. Es gibt offene Rechnungen und ausweglose Sackgassen, die nun nur noch stellvertretend von uns, stellvertretend von der kirchlichen Gemeinschaft gesprengt und gewandelt werden können. Deswegen beten wir für ihn, feiern das große Versöhnungsfest: die Eucharistie für ihn und wohl auch mit ihm. Auf dass ihm die Gnade der Versöhnung durch die Grenze des Todes hindurch gewährt werde und er sich nun des Lebens in seinem paradiesischen Zustand in der Gemeinschaft des dreifaltigen Gottes erfreue.
Lieber Markus, vor 25 Jahren am Fest Christi Himmelfahrt klingelte ich an der Promenade 30, weil ich nach einem Gespräch mit Bischof Maximilian, der mich an diesem Tag zum Professor für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Hochschule ernannt hat, ein Zimmer in Linz suchte und du hast damals mir Unterschlupf gewährt. Fünf Jahre lang wohnte ich bei dir, dann zog ich nach Innsbruck weiter. Doch das Wohnrecht in deiner Wohnung ist mir erhalten geblieben und nicht nur das. Unsere Freundschaft vertiefte sich von Jahr zu Jahr. Unzählige stundenlange Saunagespräche, gemeinsame Ausflüge, eine Reise nach Südafrika, viele Frühstücke und Abendessen: ich weiß nicht, wer dabei der Seelenführer war und wer der Geführte. Die Dogmatik kennt den Begriff: Perichorese - Einander durchdringen. Der Begriff wird vor allem in der Lehre von der Dreifaltigkeit verwendet zur Beschreibung des Modus des Erkennens, der Sympathie, der Hingabe, der Freundschaft. So etwas hat sich immer und immer wieder zischen uns ereignet: ein intensives Gefühl des Einander Verstehens. Ohne pathetische Worte gedeihte da die Lust an Gott und seiner Sache, dieses Lebenselixier der glaubenden Menschen. Du warst mir ein wichtiger Freund. Dafür danke ich Dir. Und ich mache mich zum Sprachrohr all jener, die in ihrem Herzen tiefe Dankbarkeit empfinden, wenn ich nun sage: Pater Provinzial, Markus: Vergelt’s Gott! In das Gefühl der Trauer, einen guten Freund verloren zu haben, mischt sich bei mir, mischt sich wohl bei uns allen die Freude darüber, einen Fürsprecher bei Gott: im Gelobten Land, im Himmel gewonnen zu haben. Deswegen, lieber Markus, beten wir ja für Dich und beten wir wohl auch mit Dir!
Prof. Dr. Jozef Niewiadomski