Religiöser Fanatiker oder überzeugter Christ - Franz Jägerstätter
Sozialpredigthilfe 327/13
Predigt zu Allerheiligen, 1. November 2013
Evangelium: Mt 5,1-12a Seligpreisungen
Autor: DI Bernhard Steiner, Stv. Obmann KMB
Predigt
Heilige sind Vorbilder. Darüber sind wir uns wohl alle einig. Und doch tun wir uns meist schwer mit Menschen, die im Alltag allzu sehr ihren Glauben zeigen und ihr Handeln aus dem Glauben ableiten. Schnell kommen solche Menschen in den Verdacht, religiöse Fanatiker zu sein. Und wir erleben ja immer wieder, wie in Konflikten religiöse Motive vorgeschoben werden um gewalttätig Andersdenkende zu bekämpfen.
Wo kippt die Orientierung des eigenen Handelns am Glauben in Intoleranz und Gewalttätigkeit gegenüber Andersdenkende?
Am 26. Oktober 2007 wurde Franz Jägerstätter im Linzer Mariendom selig gesprochen. An ihm scheiden sich bis heute die Geister: Die einen sehen in ihm ein bewundernswertes Vorbild, wie gegen ein Unrechtsregime aus dem gläubigen Gewissen Widerstand geleistet wird. Andere lehnen seinen Weg als sektiererhaften Eigensinn ab. Bischof Manfred Scheuer, der sich als Vizepostulator für die Seligsprechung von Franz Jägerstätter intensiv mit seinem Leben und seinem Denken befasst hat, schreibt in seinem Buch über Franz Jägerstätter: „Im Antlitz Jägerstätters spiegeln sich die Seligpreisungen wider, sicher gebrochen, denn auch er trägt den Schatz in irdenen, zerbrechlichen Gefäßen. In seinen Augen leuchtet die Suche nach Gott und seiner Wahrheit auf. Franz Jägerstätter hatte auch den Weitblick der Seligpreisungen.“ [Scheuer S.89]
Wenn man sich genauer mit seinem Lebensweg und mit seinen Schriften befasst, wird deutlich, was einen überzeugten Christen von einem religiösen Fanatiker unterscheidet.
Mit vollem Engagement die eigene Überzeugung leben, aber mit großem Respekt vor Menschen mit anderer Einstellung.
Franz Jägerstätter ist Zeit seines Lebens für seine Mitmenschen unbequem gewesen, weil er sich nie mit einfachen Antworten zufriedengegeben hat. Entschieden ist er gegen Lauheit und Feigheit aufgetreten. In einem seiner letzten Briefe an seine Frau Franziska schreibt er: „ Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, wie peinlich oft das Leben ist, wenn man so als halber Christ dahin lebt, es ist schon mehr ein Vegetieren als Leben.“ [FJ S.188]
Gleichzeitig hat er aber auch Verständnis für Menschen, die nicht seinen konsequenten Weg gehen: „Viele werden jetzt denken, wenn ich wirklich so handle, wie ich geschrieben habe und so auch für einen Katholiken am besten sein sollte: Was ist dann mit unseren Söhnen, Brüdern oder Gatten, welche an der Front kämpfen oder vielleicht gefallen sind? Dieses Urteil müssten wir eigentlich ganz Gott überlassen, wir haben weder das Recht, sie zu verdammen, noch auch heiligzusprechen“ [Briefe S. 262]
Immer hat er respektiert, wenn andere nicht seinen Weg gegangen sind. „Man muss auch nicht schlecht deswegen über andre denken, die anders handeln als ich. Es ist viel besser für alle zu beten, als über andre zu richten, denn Gott will, dass alle selig werden.“ [Briefe S.188] Dieser Respekt vor Andersdenkenden ist Fanatikern fremd.
Nicht im Besitz der Wahrheit, aber immer auf der Suche nach überzeugenden Antworten auf die grundlegenden Fragen unseres Lebens.
Immer wieder hat er nach dem Warum gefragt, hat vor allem auch in der Bibel und in christlichen Schriften Antworten auf seine Fragen gesucht. Seine Grundfrage war, wie kann ich im Nationalsozialismus als Christ leben? Religiöse Fanatiker suchen einfache Antworten, Franz Jägerstätter hat sich nie mit einfachen Antworten zufrieden gegeben. Immer wieder hat er seine Einstellung in Gesprächen mit anderen überprüft, hat er sich darauf eingelassen über Kritik an seinem Weg nachzudenken.
Er hat nie den Anspruch erhoben, im Besitz der Wahrheit zu sein, aber er hat auch nie aufgegeben, allein und gemeinsam mit anderen nach der Wahrheit aus dem Glauben zu suchen. Aber weder seine Priesterfreunde, noch der Bischof, den er um Rat fragte, konnten ihn überzeugen, dass sein Weg falsch wäre. Pfarrer Krobath berichtet von solchen Gesprächen: „Ich wollte ihm das (Anm.: Kriegsdienst verweigern) ausreden; doch er hat mich immer wieder geschlagen mit der Schrift“ [FJ S. 72]
Fanatiker sind nicht bereit, ihre Ansichten hinterfragen zu lassen.
Einfühlung in die Situation anderer Menschen
Franz Jägerstätter konnte sich immer gut in die Situation andere Menschen einfühlen, aus ihrer Sicht denken. So stehen im Krieg gegen Russland bei ihm auch die Menschen im Vordergrund, die in Russland durch den Angriff der Deutschen leiden müssen.
Als er im Gefängnis auf seine Hinrichtung wartet, sind es die Lebensumstände der Menschen zu Hause, denen seine größte Sorge gilt. Immer überlegt er, was seine Handlungen für seine Mitmenschen für Konsequenzen haben. Er war sich bewusst, welche Schwierigkeiten sein konsequenter Widerstand gegen die Kriegslogik der Nationalsozialisten seiner Familie bereitete, hat darunter gelitten und um Verständnis gebeten. Franz hatte das Glück, Franziska als Frau an seiner Seite zu haben, die ihn von Anfang an auf diesem Weg begleitet hat und die maßgeblichen Anteil an seiner Entwicklung zu dieser überzeugten Glaubenseinstellung hatte. Sie hat diesen Geist weitergetragen in unsere Zeit, bis sie im April dieses Jahres 100jährig gestorben ist.
Fanatikern ist das Leben der anderen meist gleichgültig hinter der großen Idee, für die sie kämpfen.
Wir feiern heute das Fest Allerheiligen. Franz Jägerstätter war überzeugt, dass jeder Mensch dazu berufen ist ein Heiliger zu werden. Er ist sich zwar bewusst, dass Menschen, die danach streben als Heilige zu leben, „von den Weltmenschen nie ganz verstanden werden und häufig, so lang sie auf der Welt sind, nur als Narren bezeichnet werden“, so sieht er wohl auch die Einschätzung seines eigenen Lebens, aber, so schreibt er weiter: „Und doch ist es nicht bloß Pflicht einzelner, nach Heiligkeit zu streben, sondern aller.“ [Briefe S.190]
Heiligkeit heißt bei ihm, ohne Kompromisse die eigene Überzeugung aus dem Glauben leben und gegen Widerstände mutig auftreten - in Respekt vor anderen Meinungen, aber ohne Furcht vor den Menschen. Darin kann er für uns Vorbild sein, gerade auch wie Überzeugung ohne Fanatismus gelebt werden kann.
Fürbitten
Jesus Christus, du hast Franz Jägerstätter berufen und ihn mit deinem Wort erfüllt. Sein Gewissen war von deinem Geist geprägt, sodass er dir und deinem Vater mehr gehorchen wollte als aller weltlichen Macht. Wir bitten dich:
- Für die Kirche, dass sie ein Werkzeug des Friedens und der Versöhnung sei und in der Kraft deines Geistes Unrecht und Böses bekämpfe.
- Für alle, die in der Politik Verantwortung tragen, dass sie dem Frieden und der Gerechtigkeit auf der ganzen Welt dienen.
- Für alle, die ihrem Gewissen folgen und gegen den Strom schwimmen, für alle jene, die sich einsetzen, um ungerechte Fesseln zu lösen und Frieden zu stiften, dass sie durch den Beistand des Heiligen Geistes gestärkt werden.
- Für uns alle, dass dein Wort uns erleuchte, stärke und leite.
Kommuniontext
Gebet um Fürsprache
Guter Gott, du hast den seligen Märtyrer
und Familienvater Franz Jägerstätter
mit großer Liebe zu dir,
zu seiner Familie
und zu allen Menschen erfüllt.
In einer Zeit menschenverachtender Politik
und Gewalt hat er sich ein unbestechliches
und klares Urteil gebildet.
Du hast ihm die Gnade geschenkt,
dem Bösen zu widerstehen.
Aus der Verbundenheit mit deinem Sohn
und in der Treue zu seinem Gewissen
hat er entschieden Nein gesagt
zur Verleugnung deiner Gegenwart,
zur Missachtung der menschlichen Würde
und zum ungerechten Krieg.
Im Vertrauen auf dich
hat er sein Leben hingegeben,
weil er dich über alles liebte.
Mit der Kraft deines Geistes
und auf seine Fürsprache stärke in uns
die Liebe zur dir und den Mitmenschen.
Hilf uns einzutreten für Gerechtigkeit,
Frieden und Menschenwürde
durch Christus, unseren Herrn.
Amen
Literatur
- Putz, Erna: Franz Jägerstätter, Märtyrer; Buchverlag Franz Steinmaßl, 2007 [FJ]
- Putz, Erna: Franz Jägerstätter, Der gesamte Briefwechsel, Styria 2007 [Briefe]
- Scheuer, Manfred: Selig, die keine Gewalt anwenden, Tyrolia 2007 [Scheuer]