Pfarrer P. Johannes zum 24. Sonntag im Jahreskreis
Hier offenbart sich eine Zwiespältigkeit, die auch in unseren Zeiten gegenwärtig ist. Es ist das große Thema im 15. Kapitel des Lukasevangeliums, das am 24. Sonntag dieses Jahres als Ganzes gelesen werden soll.
Jesus entgegnet der entstandenen Aufregung mit drei Gleichnissen: 100 Schafe, von denen eines verloren geht. Der gute Hirte sucht es und freut sich über das wiedergefundene Schaf mehr als über die 99 braven, die nicht verlorengegangen sind. Das zweite Gleichnis handelt von 10 Drachmen, von denen die Hausfrau eine verloren hat, und nun verzweifelt sucht, bis sie sie findet. Wieder ist die Freude über die eine Drachme größer als über die anderen, die sie noch in der Börse hat. Alles spitzt sich aber zu auf die große Gleichniserzählung, die wohlbekannte Parabel vom verlorenen Sohn.
Die wohl provokanteste Aussage Jesu: Im Himmel herrscht mehr Freude über einen Sünder, der sich bekehrt, als über 99 Gerechte, die der Bekehrung nicht bedürfen. Wir dürfen uns aber das Wort Jesu: „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein!“, vor Augen halten. Wer über Sünder richtet, sollte den Balken im eigenen Auge ins Visier nehmen. Sind vielleicht die Pharisäer die großen Verdränger ihrer eigenen Fehler und Schwächen? Wollen sie vielleicht ihren eigenen Seelennöten ausweichen, indem sie so sehr andere aburteilen und ihnen keine Chance lassen?
Die Diskrepanz wird am deutlichsten im Verhalten des barmherzigen Vaters gegen den sündigen Sohn, und der beleidigten Haltung des älteren, der die pharisäische Haltung repräsentiert. Der jüngere ist in vollem Maß auf die Gnade des Vaters angewiesen. Er hat keine andere Lebenschance mehr, er würde zugrunde gehen. Der ältere hingegen pocht auf seine vielen Leistungen, die er für den Vater erbracht hat, wohl auch deswegen, weil er sich dadurch der Liebe des Vaters gewiss sein kann. Dass der Vater aber seine Liebe unabhängig von erbrachter Leistung schenkt, ist für ihn unerträglich. Er will nicht gratis geliebt werden, er versteht die Liebe als Antwort auf seinen unermüdlichen vorbildlichen Einsatz für den elterlichen Hof.
Wie sollen aber Menschen, die zu keiner Leistung (mehr) fähig sind, mit ihrer Armseligkeit umgehen? Braucht es für die Pharisäer diese Armseligkeit, damit sie sich selbst gut fühlen können? Sind die Almosen, die sie geben, selbst ein Teil der Selbstbestätigung? Möglicherweise können wir vom Buddhismus diesbezüglich etwas lernen, der die Menschen immer dazu anhält, der Zeit zu gedenken, in der man nichts mehr leisten kann, in der man hilflos auf Pflege angewiesen ist. Wir brauchen nur Menschen in Pflegeheimen zu besuchen, die selbst früher große Leistungen erbracht haben und jetzt dem Staat zur Last fallen.
Es ist wunderbar, zu wissen, dass man von Gott geliebt ist, unabhängig von seiner Leistung, und dass man, erfüllt von großer Dankbarkeit, sich dafür einsetzt, dass alle Menschen menschenwürdig leben können, unabhängig von Fähigkeiten, Reichtümern und gesellschaftlichem Stand, einfach deshalb, weil man die überströmende Liebe Gottes in der Welt aufleuchten lassen möchte.
Der Text wird auch im PDF-Format angeboten, mit der Bitte, ihn auszudrucken und an die Nächsten und Näheren weiterzugeben, die kein Internet haben.