Paul Zulehner im Gespräch mit Sandra Szabo
"Die eigentliche Aufgabe, die Jesus der Kirche gestellt hat, ist dafür zu sorgen, dass das Reich Gottes jetzt schon zu uns kommt, das Reich der Wahrheit, der Gerechtigkeit und des Friedens."
Aus dem ORF eine Zusammenfassung.
Die „Sterblichen“, die „Unsterblichen“ und die Brücke zwischen ihnen.
Auszug aus dem Interview: aus den ersten 11 Minuten.
Paul Zulehner hat innerhalb von 50 Jahren Wertestudien über Religion im Leben der Menschen gemacht und daher zunächst zwei Gruppen festgestellt: „die Sterblichen“ und „die Unsterblichen“.
Die „Sterblichen“ (konstant über 50 Jahre etwa ein Drittel der Befragten) meint, mit dem Tod sei alles aus. In den maximal 90 Jahren ihres Lebens müssen sie ihr Glück, wenn auch in kleinen Abschnitten und gut verteilt, erreichen.
Die „Unsterblichen“ haben die Möglichkeit, sich mit Bruchstücken des erhofften Glückes zufrieden zu geben und nicht erfülltes Glück in eine andere Welt überzuleiten: „den Rest erwarte ich mir vom Himmel“. Einige von ihnen sind vielleicht Weltflüchtlinge, aber die große Mehrheit der „Unsterblichen“ sieht diese Welt gleichsam als Auftakt für die künftige. Diese Menschen wollen sehr wohl ihr Fragment von Lebensglück hier gestalten, ein bisschen Himmel auf die Erde bringen, aber freilich im Wissen, sie bekommen das nur in Spuren hin. Sie können daher ihre Bruchstücke von Glück auch leichter teilen, während die „Sterblichen“ Solidaritätsprobleme haben.
Zu den Aufgaben der Kirche gehört es, auch die „Sterblichen“ zu stützen und die Kernfrage der Menschheit zu stellen: was ist stärker, der Tod oder die Liebe. Denn auch „Sterbliche“ hoffen, dass die Liebe weiterlebt.
Eine große Gruppe zwischen den beiden Positionen, aber auch eine Brücke, sind die Suchenden und Zweifelnden. Sie kommen im Fragemodus auf die Kirche zu und die Kirche sollte ihnen sagen: wir möchten deine Fragen kennenlernen, die du gerade hast, wir predigen dir nicht nur einfach den Katechismus. Das wäre ein guter Zeitpunkt, um das Evangelium wieder als Hoffnung einzufädeln, auch in die Lebensgeschichten von Menschen, die meinen, mit dem Tod wäre doch alles aus.
„Zwei Säulen“ – zwei Arten von Priestern.
Auszug aus dem Interview: aus den letzten 12 Minuten
Die Empfehlung der Amazonien-Synode an Papst Franziskus lautet, es mögen aus dem Kreis der verheirateten Diakone Priester geweiht werden, begrenzt auf das Amazonasgebiet.
Die „Hirten“ (die Bischöfe) müssen jedoch in der ganzen Welt dafür sorgen, dass der „eucharistische Hunger“ gestillt wird. Papst Franziskus hat sie ja ermuntert, mutige Vorschläge zu machen. Ein maßgeblicher deutscher Bischof hat schon angedeutet, dass das, was in Amazonien bewilligt wird, unter anderen Gründen auch in Deutschland möglich sein muss.
Paul Zulehner hat schon seit 30 Jahren mit dem südafrikanischen Bischof Fritz Lobinger Einverständnis erzielt, dass es 2 Arten von Priestern geben wird müssen.
Die eine Säule wird die bisherige Art weiterführen im Zölibat und in der Ausbildung. Sie wird vor allem für Führungsaufgaben (etwa im Bischofsamt) bereitstehen.
Die zweite Säule werden ehrenamtliche „personae probati“ (also nicht nur Männer) bilden, die auch verheiratet sein können. Von jeder Gemeinde werden in einem ersten Schritt bewährte Personen gewählt, die sie für das ehrenamtliche Priestertum als geeignet erachtet. Aus dieser Gruppe der Gewählten werden dann diejenigen, die bereit sind, das Amt zu übernehmen, dafür ausgebildet. Sie werden in lokalen Gemeinden arbeiten, vielleicht in einem Team.
Die beiden Säulen sind im Christentum nichts Neues, die orthodoxe Kirche und die Griechisch-Katholische Kirche haben sie schon lange.
Jetzt ist die Zeit, diesen Schritt zu tun!
Jetzt wäre noch Zeit für eine solche Vorgangsweise, jetzt gibt es noch genug Ehrenamtliche, die die zweite Säule sein könnten. In zehn Jahren wird es mit Blick auf die gegenwärtige Jugendsituation schwer werden. Es muss jedenfalls zuerst eine lebendige Gemeinde aus Christen geben, die sich entschieden haben, Jesus ernst zu nehmen und in seine Bewegung einzutreten. Aus diesem Pool sollen dann bewährte Personen gewählt werden.
Gar nicht gut wäre es, jetzt schnell alle Diakone und Pastoralassistenten, die da sind, zu Priestern zu weihen. Das wäre zu kurzatmig, keine Lösung auf Dauer. Die sogenannte „Strukturreform“, etwa in der Erzdiözese Wien, ist überhaupt ein Feigenblatt und niemand entscheidet sich durch eine Strukturreform stärker für das Evangelium.
Zwei Arten von Priestern – eine Zerreißprobe?
Könnte es die Röm.-Kath. Kirche an diesem Thema (zwei Arten von Priestern) zerreißen? Immer, wenn die Kirche einen wirklichen Schritt voran geht, wird eine kleine Gruppe da sein, die nicht mitmacht, das war jedes Mal so. Aber um dieser kleinen Gruppe willen dürfen nicht längst fällige Reformen unterlassen werden. Gott wird dafür sorgen, dass alle aus dieser kleinen Gruppe einmal im Himmel sein werden. Die Kath. Kirche aber ist nicht dafür verantwortlich, dass alle einmal in den Himmel kommen, sondern dass jetzt schon eine handlungsfähige Kirche da ist, in der Menschen dafür arbeiten, dass der Himmel jetzt schon zu uns kommt. Das ist die eigentliche Aufgabe, die uns Jesus gestellt hat, wenn er sagt, das Reich Gottes muss kommen, das Reich der Wahrheit, der Gerechtigkeit und des Friedens.
Wenn jemand aus der jetzigen Kirche die Unterstützung verweigert wegen einer solchen Sekundärfrage (zwei Arten von Priestern), dann muss ich sagen, gehe deinen Weg eben allein und komme gut bei Gott an. Das würde ich in Kauf nehmen, weil es ja nur der Erpressungsversuch einer kleinen Gruppe an der großen Gemeinschaft ist, und diese muss sich das nicht bieten lassen.
(ausgewählt und zusammengefasst von Hildebrand Harand)