Dei Verbum - die dogmatische Konstitution zur göttlichen Offenbarung
"Gottes Wort voll Ehrfurcht hörend und voll Zuversicht verkündigend, ...". Mit diesen Worten startet der Konzilstext in einen neuen Zugang und ein neues Verständnis der Offenbarung, und gleichzeitig erinnern diese Worte beinahe an eine Vorwegnahme der ersten Zeilen des Johannesevangeliums. Das Konzil bekennt sich allein durch die Aussage, dass sich Gottes Offenbarung in Wort und Tat zeigt, zur Kernaussage, nämlich dazu, Offenbarung als "lebendiges Wort" erfahren zu dürfen.
Das Konzil stellt sich somit gleichzeitig gegen einen Buchstabenglauben und so unterscheidet der Text auch zwischen "Offenbarung selbst" und den Orten, an denen sie zum Ausdruck kommt. Diese Aussage kann nur einer Begründung entspringen und diese ist klar an der Inkarnation Gottes, an seiner Selbstmitteilung - Jesus Christus - als Mittler zwischen Mensch und Gott festzumachen. Dieses "lebendige Wort" zeigt aber nicht nur die Nähe Gottes, derer wir uns sicher sein dürfen, sondern setzt uns vielmehr in eine Art dialogischen Prozess zwischen Gott und Mensch - einer Herausforderung, der wir uns stellen dürfen und müssen im Sinne dessen, dass das Wort Gottes auch durch uns lebendig wird.
Diese skizzierte theologische Grundhaltung des "lebendigen Wortes" lässt somit auch auf das neue Inspirationsverständnis des Konzils schließen: es deklariert klar einen christologischen Zugang auch zu den Schriften des Alten Testaments und zur achtenden Anerkennung der jüdischen Wurzeln.
Auch wenn sich die r.k. Kirche dazu bekennt, im Zuge der exegetischen Schriftauslegung ein wichtiges "Wächteramt" zu übernehmen, finden wir trotzdem im wahrscheinlich bedeutendsten Kapitel der Konstitution - Kapitel 6 - Meilensteine in Bezug auf die Ökumene. "Es hebt die Schrift als Norm und Quelle des gesamten christlichen Lebens hervor. Die zentrale Stellung der Schrift für das Leben der Kirche hatte in den Dokumenten des kirchlichen Lehramts bis dahin kein Rolle gespielt", so kommentiert der Dogmatiker Hünermann berechtigt. Unter dem Blickwinkel, dass noch heute Schrift, Tradition und Lehramt die wesentlichen Knackpunkte der ökumenischen Diskussionen darstellen, eröffnet dieses Dokument dahingehend eine wertschätzende und ernstzunehmende Gesprächsbereitschaft (in der Fortführung des Dekrets über den Ökumenismus) ohne die mit Sicherheit Folgeergebnisse wie beispielsweise die Enzyklika "Ut unum sint" von Johannes Paul II. im Jahr 1995 nicht möglich gewesen wären.
Der resultierende Auftrag an uns Christinnen und Christen aus Dei Verbum sei abschließend noch einmal zusammengefasst mit den eingangs erwähnten ersten Worten des Johannesevangeliums: "Alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis. (Joh 1,3-5a)."
In diesem Sinne wünsche ich uns lebendig zu sein und das Licht unseres Glaubens mutig strahlen zu lassen - ein Aktivwerden, das in dieser weltpolitisch düsteren Zeit täglich neue Brisanz erhält.
Daniel Neuböck