musica sacra-Konzert: „Erschallet, ihr Himmel, erfreue dich, Erde“

Unter der Leitung von Wolfgang Kreuzhuber musizierten Martina Daxböck (Sopran), Martha Hirschmann (Alt), Bernd Lambauer (Tenor), Gerd Kenda (Bass), der Chor des Konservatoriums für Kirchenmusik der Diözese Linz sowie das Barockensemble Linz mit Konzertmeisterin Petra Samhaber-Eckhardt vier Kantaten zur Osterzeit.
Drei österreichische Erstaufführungen von Graupner im Dialog mit Bach
Die ersten drei im Konzert zu hörenden Kantaten („Erschrocknes Zion, sey erfreut“, „Mein Jesus nahe doch zu mir“ und „Ein Herz, das seinen Jesum lebend weiß“) wandten sich dabei dem „Triduum Paschale“ zu, das sich bis Ende des 19. Jahrhunderts aus dem ersten (Ostersonntag), zweiten (Ostermontag) und dritten (Osterdienstag) Ostertag zusammensetzte, die vierte Kantate („Halleluja. Denn der allmächtige Gott hat das Reich eingenommen“) spannte den Bogen schließlich bis zum Fest Christi Himmelfahrt. Graupner – zu Lebzeiten bekannter und beliebter als Bach, lange Zeit vergessen, heute leider immer noch vielfach unentdeckt und unterschätzt – zeigte sich bei diesem musikalischen österlichen Zusammentreffen durchaus in der Lage, seinem inzwischen viel berühmteren Kollegen auf Augenhöhe zu begegnen.
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Um die AudioDatei abspielen zu können, aktualisieren Sie bitte Ihren Browser oder installieren Sie eine aktuelle Verison des Flash plugins.Feature zum Konzert „Erschallet, ihr Himmel, erfreue dich, Erde“ im Rahmen der Reihe musica sacra – musik in linzer kirchen – Querschnitt des Programms | Gestaltung: Konservatorium für Kirchenmusik der Diözese Linz/Stefanie Petelin | Konzertmitschnitt: Simon Eitzlmayr
Gleich drei österreichische Erstaufführungen von Graupner-Kantaten gab es zum Ende der Osteroktav in der Linzer Minoritenkirche zu erleben. Eine der drei Kantaten („Mein Jesus nahe doch zu mir“) musste sogar erst aus dem in der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt aufbewahrten Autograph übertragen werden, um nun nach etwa dreihundert Jahren Archivdasein erstmals wieder aufgeführt werden zu können. Die drei Kantaten gewähren Einblick in die Einzigartigkeit, Vorwärtsgewandtheit und den Personalstil des Komponisten.
Kritik: „Musikalische Entdeckungsreise wie aus einem Guss“
In seiner Konzertkritik (Oberösterreichisches Volksblatt, 26. April 2022, „Musikalische Entdeckungsreise“) lobte Paul Stepanek diese „ausgeklügelte musikalische Entdeckungsreise“, die die „formal und inhaltlich außerordentliche Originalität von Werken des fast in Vergessenheit geratenen Barock-Komponisten Christoph Graupner“ zum Thema hatte und einen „lebhaften Eindruck von initiativer Aufführungspraxis der Barockmusik“ vermittelte.
Besonders hob der Kulturkritiker die Zusammenarbeit zwischen dem Chor des Konservatoriums für Kirchenmusik der Diözese Linz, dem Barockensemble Linz und dem Solist:innenensemble unter der Leitung von Wolfgang Kreuzhuber hervor, die sich „[...] wie aus einem Guss gestaltete“. Bei der „virtuose[n] Bewältigung der an Koloraturen überreichen Kantaten Graupners“ erwies sich laut Stepanek „[die ausdrucksstarke Sopranistin Martina Daxböck] [a]ls erste unter Gleichen“. Für die empathische Führung des Orchesters wurde Petra Samhaber-Eckhardt gewürdigt. Letzlich betonte Stepanek, dass sich „alle Kräfte [aus]zeichneten“, belobigte aber insbesondere Molly Mc Dolan und Ana Inés Feola an den Oboen, Martin Weichselbaumer und Thomas Schatzdorfer an den Trompeten, Sebastian Pauzenberger an der Pauke sowie Peter Trefflinger am Cello und Gerhard Raab an der Orgel, die sich „mit Können und Hingabe dem dezenten, aber stets präsenten Basso Continuo“ widmeten. Auch der Chor des Konservatoriums für Kirchenmusik wurde für das souveräne Meistern seiner Aufgaben mit Lob bedacht. Zusammenfassend führte der Kritiker aus: „Jedenfalls hat das Konservatorium für Kirchenmusik und sein Gründer und Direktor Wolfgang Kreuzhuber alles getan, um für eine mögliche Renaissance Graupners einen tatkräftigen Beitrag zu leisten. Der ausgiebige Applaus wusste dies zu würdigen.“
Christoph Graupner: Erschrocknes Zion, sey erfreut
Christoph Graupner komponierte „Erschrocknes Zion, sey erfreut“, GWV 1128/24, für den ersten Ostertag des Jahres 1724 nach einem Text seines Schwagers Johann Conrad Lichtenberg (1689–1751). In der groß besetzten Festkantate bedenkt Graupner Sopran und Bass mit größeren Arien, der Tenor erhält ein typisch graupnersches Dictum, das den dramaturgischen Höhepunkt der Kantatenkomposition markiert, dem Chor ist neben virtuos angelegten Rahmensätzen noch ein schlichter Choral zugedacht. Der Eingangschor („Erschrocknes Zion, sey erfreut“) mit seiner unkonventionell angelegten Fuge besticht durch die musikalische Ausdeutung der Freude über das für Urchrist:innen erschreckende leere Grab. Konsequent führt Graupner die Textverarbeitung Satz für Satz und Zeile für Zeile durch und präsentiert damit seine Fähigkeit zum bunten und aufregenden Spiel mit vertonten Effekten und Affekten. Anschließend bekräftigt eine beschwingte, menuettartige Arie („Mein Hertz ist froh, mein Heyl ist auferstanden“), die dem Bass unerwartete Virtuosität abverlangt, die Freude über das österliche Geschehen. Darauf folgt – ungewöhnlicherweise nachgestellt – ein Bass-Recitativo („Sieh, schwaches Fleisch“), das zum ohne vorausschlagenden Akkord der Instrumente beginnenden Dictum des Tenors („Ich war todt und siehe, ich bin lebendig“) überleitet: Anders als in der Barockzeit üblich vertraut Graupner die Stimme Jesu Christi hier nicht dem Bass, sondern dem Tenor an – möglicherweise aus der Idee heraus, dass hier der (oftmals nicht gleich erkannte) Auferstandene zu Wort kommt. Beantwortet wird dieser Siegesruf Christi stellvertretend für die Gemeinde mit dem schlichten Choralsatz („Drum wir auch billig frölig seyn“). Daran schließt eine der schönsten Tonschöpfungen Graupners an, in der der Sopran in einer Arie („Jesus lag in Todesbanden, aber Er ist auferstanden“) mit eingebettetem Recitativo ganz persönlich die Bedeutung des Ostergeschehens reflektiert. Begleitet vom gezupften Streichorchester tritt der Sopran darin mit einer Violetta als Soloinstrument (im Konzert von Peter Trefflinger am Cello gespielt) in einen Dialog voll österlicher Freude. Der festliche Lobpreis des Finalsatzes („Jesu, Jesu, Dir und niemand mehr“) ist schließlich ähnlich angelegt wie der Eingangschor.
Christoph Graupner: Mein Jesus nahe doch zu mir
Die Kantate „Mein Jesus nahe doch zu mir“, GWV 1129/14, komponiert für den zweiten Ostertag des Jahres 1714, zeigt deutlich Graupners Vorliebe für die Solostimmen Sopran und Bass, für die ein überwiegender Teil seiner Kantaten jeweils eine virtuose Arie mit Rezitativ, in der Regel wie bei „Erschrocknes Zion, sey erfreut“ von einem Tenorrezitativ ergänzt, vorsieht. Die in einem Satz komponierte Kantate nach einem Text von Georg Christian Lehms (1684–1717), der zwischen 1710 und 1717 als Hofpoet am Darmstädter Hof für die Texte der „Kirchen-Music“ verantwortlich zeichnete, besteht aus drei unterschiedlich gefärbten Abschnitten, die fließend ineinander übergehen. Mit einfachen, aber sehr wirkungsvollen Gestaltungsmitteln deutet Graupner den in der Sammlung „Texte zur Music, wie solche in der Hochfürstl. Schloß-Kirche zu Darmstadt vom Neuen Jahr 1714 biß künfftige Ostern sollen musiciret werden“ abgedruckten Kantatentext in diesem Kleinod der Solokantaten der Barockzeit aus. Graupner präsentiert in dieser Kantate, die neben den virtuosen Koloraturen der beiden Solostimmen besonders durch ein zartes Trio aus zwei Violinen und Sopran beeindruckt, einmal mehr seine stilistische Eigenheit.
Johann Sebastian Bach: Ein Herz, das seinen Jesum lebend weiß
Erstmals erklang Johann Sebastian Bachs Kantate „Ein Herz, das seinen Jesum lebend weiß“, BWV 134, am dritten Ostertag des Jahres 1724 in der Leipziger Nikolaikirche. Die heutige Form der Kantate ist Ergebnis eines mehrjährigen Entstehungs- und Bearbeitungsprozesses: Denn bei dieser Osterkantate handelt es sich um eine Parodie der für den Köthener Hof entstandenen und am Neujahrstag 1719 uraufgeführten Glückwunschmusik „Die Zeit, die Tag und Jahre macht“, BWV 134a. Möglicherweise ist es Bachs hohem Arbeitspensum nach seinem Amtsantritt 1723 in Leipzig geschuldet, dass er den Notentext der Vorlage unverändert übernahm und lediglich den fünften und sechsten Satz des ursprünglich achtsätzigen Werks strich. Der unbekannte Librettist, der den Kantatentext an den geistlichen Anlass anpassen musste, stand vor der Herausforderung, den neuen Text metrisch exakt in die Vorlage einzufügen, damit das Gros des Köthener Aufführungsmaterials – abgesehen von den Vokalstimmen und der transponierten Orgelstimme – für die Erstaufführung 1724 verwendet werden konnte. Für eine Wiederaufführung 1731 überarbeitete Bach die Rezitative grundlegend, um 1735 griff er im Rahmen einer neuen, reinschriftlichen Partitur abermals in den Notentext ein. Offen bleiben muss, ob diese letzte, autorisierte Fassung vom Komponisten klanglich je im Zuge einer dritten Aufführung der Kantate realisiert wurde oder ob die Reinschriftpartitur lediglich Ausdruck einer besonderen Wertschätzung der Kantate und des damit verbundenen Wunschs ist, diese adäquat und endgültig zu archivieren.
Bachs Kantate beginnt nicht mit einer instrumentalen Sinfonia oder einem Chorsatz, sondern mit einem einfachen Secco-Rezitativ („Ein Herz, das seinen Jesum lebend weiß“), in dem Alt und Tenor – wie auch im dritten („Wohl dir, Gott hat an dich gedacht“) und fünften („Doch würke selbst den Dank in unserm Munde“) Satz – abwechselnd das Wort ergreifen. Abgesehen vom fehlenden Schlusschoral ist Bachs Werk formal dem Kantatenschema dieser Zeit verpflichtet. Das Gesangsensemble wächst in dieser Kantate zusehends: Während der zweite Satz als Tenorarie („Auf, Gläubige, singet die lieblichen Lieder“) angelegt ist, folgt im vierten Satz ein großes virtuoses Duett für Alt und Tenor („Wir danken und preisen dein brünstiges Lieben“), um schließlich im sechsten Satz („Erschallet, ihr Himmel, erfreue dich, Erde“) alle Sänger:innen in einem vierstimmigen Schlusschor in Form eines prächtigen Lob- und Jubelgesangs zu vereinen. Der ursprünglich weltliche Charakter der Parodievorlage blitzt nicht nur auf textlicher, sondern auch auf musikalischer Ebene immer wieder auf: Deutlich zeigt sich dies beispielsweise in der dialogischen Anlage der Rezitative für Alt und Tenor, die in der Köthener Serenata allegorisch „Göttliche Vorsehung“ und „Zeit“ verkörperten.
Christoph Graupner: Halleluja. Denn der allmächtige Gott hat das Reich eingenommen
Ein coronabedingt verspätetes Jubiläum feiert Christoph Graupners Kantate „Halleluja. Denn der allmächtige Gott hat das Reich eingenommen“, die vor 300+1 Jahren erstmals erklang. Komponiert wurde das wie „Erschrocknes Zion, sey erfreut“ auf einem Text von Johann Conrad Lichtenberg basierende Werk für das Fest Christi Himmelfahrt des Jahres 1721, das nach alter theologischer Tradition das Ostergeschehen mit der endgültigen Thronbesteigung Jesu Christi krönt. Graupners Kantate ist dabei streng symmetrisch aufgebaut – das eröffnende, freudige Halleluja kehrt am Schluss der Kantate wieder. Voll Händelschem Schwung präsentiert sich der Eingangschor („Halleluja“) nach einem einleitenden kurzen Adagio: So wird sprichwörtlich „mit Pauken und Trompeten“ die Freude über die Himmelfahrt Christi zum Ausdruck gebracht. Ein daran anschließendes elegantes Menuett erklärt den Grund dieser überschwänglichen Hallelujarufe: „Denn der allmächtige Gott hat das Reich eingenommen.“ Auf ein knappes Recitativo („Frolocke, auserwählte Schaar“) folgt eine von Graupners eindrucksvollsten Arienkompositionen, die sogenannte „Sternen-Arie“ („Sammlet euch, zerstreute Sinnen“), in der Graupner tief in die musikalische Trickkiste greift: Affektenreich und ungewöhnlich orchestriert präsentiert sich die Arie, die dem Sopran hohe Virtuosität und ausdrucksstarke Interpretation abverlangt. Ein ausgiebiges Recitativo des Basses („Der Hoffnung Ziel, das Jesus mir gesetzt“) führt den Gedanken weiter, wie das christliche Leben auf Erden bis zur Vollendung im Himmel zu gestalten sei. Dies bestärkt die daran anschließende, operninspirierte Bass-Arie („Gerne will ich alles leydten“). Der Tenor leitet in seinem Recitativo („Ich bin in Jesu Todt getauft“) mit dem Hinweis auf das Taufgedächtnis und die Kraft des Heiligen Geistes zum prächtigen Dankeschor („So dancket nun dem lieben Herrn“) über, bevor dieser nach einem dreimaligen „Amen“ final noch einmal die Hallelujarufe des Eingangschors aufnimmt.
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Unser Dank gilt Marco Schneider und Johanna Schatz vom CoroCantiamo Erlangen für die Überlassung des Notenmaterials von Graupners unveröffentlichter Kantate „Halleluja. Denn der allmächtige Gott hat das Reich eingenommen“, die diese Konzertaufführung erst möglich gemacht hat. Dank gebührt auch der Katholischen Kirche in Oberösterreich, die als Patin für dieses Konzert fungiert hat.
Quellenangaben:
Rimek, Tobias: Vorwort. In: Rimek, Tobias (Hrsg.) (2014): Johann Sebastian Bach: Ein Herz, das seinen Jesum lebend weiß. Stuttgarter Bach-Ausgaben. Urtext. Stuttgart: Carus.
Schneider, Marco: Vorwort und Kritischer Bericht. In: Schneider, Marco (2009): Christoph Graupner: Erschrocknes Zion, sey erfreut. Dundee: Prima la musica!
Schneider, Marco (2014): ... und siehe ich bin lebendig. Kantaten zum Osterfestkreis von Christoph Graupner (1683–1760). Nürnberg: more recording+production.