mehr wahrnehmen
Unsere Wahrnehmung bildet das Fundament für alles, was wir denken, tun, glauben, wissen oder lieben, sagt der Neurowissenschaftler Beau Lotto.
Unser 17-jähriger Sohn Max ist Autist. Er nimmt Umweltreize anders wahr als wir neurotypische Menschen. Max filtert nicht, er hört alles, sieht alles, riecht alles. Ein leiser Ton aus dem Radio in einem Menschengewirr und er juchheizt, weil ihm das Lied, das auf den Ton folgen wird, gefällt. Ein hervorblitzendes Haarbüschel auf einem Foto voller Leute erfreut ihn, weil er daran eine Freundin erkennt. Max nimmt viele Dinge wahr, die wir übersehen oder überhören. Auch Stimmungslagen. „Mama, was ist los?“ Nur weil ich kurz ins Leere geblickt habe. Max kann man nichts vormachen. Wir sagen, er checkt einfach alles – und das in Sekundenschnelle. Dadurch ist Max auch sehr gestresst. Er muss alles wissen, alles und jeden kontrollieren. Er setzt uns mit seinen nie enden wollenden Fragen unter Druck.
Max benötigt auch viel Programm, da er sich nicht allein beschäftigen kann. Er drängt in die Öffentlichkeit. Denn anders als die meisten Autisten benötigt Max aufgrund seines ausgeprägten ADHS viele Reize, um zur Ruhe zu kommen. Eine für uns alle sehr herausfordernde Kombination. Wenn Max viel beobachten, also viel wahrnehmen kann, wird er ruhig. Er ist mehr bei sich, wird klarer im Kopf, ist nicht so getrieben. Das bedeutet: Je lauter, desto besser für ihn.
Wir wiederum würden mehr Ruhe benötigen. Denn ich nehme nur mehr den Stress, den Lärm, den Druck wahr. Ich möchte aber auch wieder das Schöne, das Leichte entdecken. So müssen wir uns bewusst Verschnaufpausen gönnen. Das Schöne, Positive wahrnehmen kann ich gut, wenn ich achtsam bin, wenn ich mich auf das hier und jetzt konzentriere. Beim Laufen geht das ganz gut: Ich nehme wahr, wie mein Körper warm wird, wie meine Gedanken zur Ruhe kommen, wie schön die Natur ist. Beim „Sitzen“ wiederum spüre ich meine Atmung, ich höre den Tinnitus und spüre, wie ich durch das bewusste Wahrnehmen ruhiger und gelassener werde. Das Lenken auf das mehr Wahrnehmen des Positiven tut mir gut und das habe ich durch Max gelernt. Das ist unsere „Überlebensstrategie“. Mein Mann kann das wesentlich besser als ich, aber ich bemühe mich, eine gute Schülerin zu sein. Denn es liegt an mir, das wahrzunehmen, was mir guttut. Ja, es hängt sogar die Qualität meines Lebens davon ab, wie Sadhguru sagt.
Weitere Informationen:
Themenschwerpunkt „Autismus“ (u.a. mit Familie Kubik) in der KirchenZeitung der Diözese Linz