Sonnengesang politisch
Das päpstliche Rundschreiben ist dadurch mehr als nur eine Umweltenzyklika. Die Sozialenzyklika „Laudato si’. Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ (LS) stellt die Frage: „Welche Art von Welt wollen wir denen überlassen, die nach uns kommen, den Kindern, die gerade aufwachsen?“, (160) ins Zentrum und fährt fort: „Diese Frage betrifft nicht nur die Umwelt in isolierter Weise, denn es ist unmöglich, das Problem fragmentarisch anzugehen“ (160). Das stellt die Frage nach dem Sinn unserer Existenz und ihrer Werte als Grundlage des sozialen Lebens: „Wozu gehen wir durch diese Welt, wozu sind wir in dieses Leben gekommen, wozu arbeiten wir und mühen uns ab, wozu braucht uns diese Erde? … Wenn diese grundlegende Frage nicht im Hintergrund mitschwingt, glaube ich nicht, dass unsere ökologischen Bemühungen bedeutende Wirkungen erzielen können“ (160). Neu ist, dass sich die Sozialenzyklika nicht nur auf die Aussagen früherer Päpste bezieht. Sie nimmt auch Bezug auf Bischofskonferenzen aller Kontinente, eine einzige Kirchenlehrerin Thérèse von Lisieux, Philosophen, Theologen (katholisch, orthodox und protestantisch) und einen muslimischen Mystiker.
Befreiungstheologie: Sehen – urteilen – handeln
Das Schreiben führt die Gedanken des Apostolischen Schreibens Evangelii Gaudium (2013) fort. Der Aufbau folgt dem Dreischritt „Sehen – urteilen – handeln“. Mit diesem befreiungstheologischen Zugang werden Lebensnöte wahrgenommen und mithilfe der Bibel wird zu einer neuen befreiten Lebenswirklichkeit beigetragen. Die Entscheidung für den Dreischritt ist kirchenpolitisch bedeutsam, denn die Befreiungstheologie wurde von den vorherigen Päpsten nicht gefördert (siehe Bischofsernennungen in Lateinamerika).
Klimawandel – ein Teil der einen Krise
Der Klimawandel mit seinen Folgen wie Wassermangel, Artensterben etc. wird als wissenschaftlich erforschtes Faktum beschrieben. Gründe sind der rücksichtslose Ressourcenverbrauch der Wegwerfkultur und der achtlose Umgang mit Wasser, Luft und Boden. Bedingt sind sie durch die herrschende Wirtschafts-, Politik- und Alltagskultur. Alle drei Bereiche verfehlen ihr eigentliches Ziel: die Sorge um das gemeinsame Haus. Denn sie orientieren sich am technokratischen Paradigma, das anderen Menschen bzw. Lebewesen keinen eigenständigen Wert beimisst. Sie werden nur als Ressource betrachtet, die mir nützlich ist oder eben auch nicht. Diese Haltung endet in einem selbstzerstörerischen Individualismus. Zudem wurde das technokratische Paradigma in alle Lebensbereiche übernommen.
Green Growth als Lösung?
Der Text grenzt sich von „Green Growth“ ab, das Produktions- und Wirtschaftsweise sowie die sozialen Voraussetzungen kaum thematisiert. Green Growth bleibt dem technokratischen Paradigma – mehr Ressourceneffizienz und/oder technologische Neuerungen – treu. LS geht noch weiter: „Darum ist die Stunde gekommen, in einigen Teilen der Welt eine gewisse Rezession zu akzeptieren und Hilfen zu geben, damit in anderen Teilen ein gesunder Aufschwung stattfinden kann“ (193). Der erste Aspekt wird in der Entwicklungszusammenarbeit kaum diskutiert.
Wozu Politik?
Die gesamte Gesellschaft und insbesondere auch die Politik haben die Aufgabe, das Gemeinwohl – das gute Zusammenleben – zu sichern, also ausbeuterischen Tendenzen an Menschen und Umwelt Grenzen zu setzen. Das Prinzip des Gemeinwohls geht vom Respekt vor der menschlichen Person aus und davon, dass die Güter der Erde für alle gleichermaßen bestimmt sind. Das bedeutet, Kapital ist sozialpflichtig, was die politisch Verantwortlichen (wieder) einfordern müssen. Aktuell ordnet sich die Politik jedoch der Wirtschaft unter, wie im Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium bereits festgehalten wurde. Wie auch im aktuellen Diskurs um das gute Leben werden die ökologische und die soziale Frage in der Enzyklika gemeinsam behandelt. LS spricht nicht von multiplen Krisen, sondern von nur einer Krise. Deswegen sind „ganzheitliche Lösungen zu suchen, welche die Wechselwirkungen der Natursysteme untereinander und mit den Sozialsystemen berücksichtigen. Es gibt nicht zwei Krisen nebeneinander, eine der Umwelt und eine der Gesellschaft, sondern eine einzige und komplexe sozio-ökologische Krise“ (139). LS richtet sich, anders als Evangelii gaudium, an alle Menschen. Sie knüpft damit an die 1963 erschienene Sozialenzyklika Johannes’ XXIII. „Pacem in terris“ (PT) an, die vor dem Hintergrund des Kalten Krieges eine Weltautorität einmahnt, die den Frieden sichern sollte. Auch in LS wird ein international anerkanntes Gremium gefordert, das global gültige Regeln entwickelt und diese auch sanktioniert. Seine Legitimität muss es aus demokratischen Prozessen erhalten und dialogisch arbeiten. Ein qualitätsvoller Dialog hat transparent zu sein und ist mit allen Beteiligten und Betroffenen und jenen, die ökologische Folgen abschätzen können, also den WissenschafterInnen, zu führen wie auch mit den Religionen. Die konsumistische Weltsicht neigt dazu, alle Kulturen gleichförmig zu machen. LS fordert, das historische, künstlerische und kulturelle Erbe zu pflegen, also all das, was vor Ort identitätsstiftend ist. Als Beispiel werden die UreinwohnerInnen angeführt, die nicht nur wegen ihres Status als Minderheit besonders beachtet werden müssen, sondern weil sie gleichwertige GesprächspartnerInnen sind. LS stellt uns vor die Herausforderung, die Weltsicht unseres Kulturkreises entgegen den Gewohnheiten nicht absolut zu setzen. Auf individueller Ebene braucht es einen anderen Lebensstil, eine neue Alltagsökologie. Neben einer Änderung der Konsumkultur hin zu sozialverträglichen und ökologischen Produkten gehören Mäßigung/Genügsamkeit und Zeiten der Achtsamkeit und des Staunens ebenso dazu. Es ist Zeit, „einen kleineren Gang einzulegen“ (114).
Die Schöpfung, ein Geschenk
Die Gegenerzählung zum herrschenden Umweltverständnis und Menschenbild ist die Schöpfungsgeschichte. In den biblischen Schöpfungstexten findet sich die Grundhaltung für ein gutes Miteinander zwischen den Menschen, der Umwelt und Gott: Die Schöpfung ist Geschenk Gottes. Wir Menschen können uns hier auch aufgrund unserer Körperlichkeit nicht herausnehmen: „(…) die Welt, die nach göttlichem Bild erschaffen ist, ist ein Gewebe von Beziehungen“. In Analogie zum trinitarischen Gottesbild geschieht Menschwerdung durch In-Beziehung-Treten, „um in Gemeinschaft mit Gott,mit den anderen und mit allen Geschöpfen zu leben. (…) alles ist miteinander verbunden, und das lädt uns ein, eine Spiritualität der globalen Solidarität heranreifen zu lassen, die aus dem Geheimnis der Dreifaltigkeit entspringt“ (240).
Ganzheitliche Ökologie
Aufgrund unserer gestalterischen Fähigkeiten, die sich in den technischen Entwicklungen der letzten 200 Jahre zeigen, tragen wir besondere Verantwortung. Sie nimmt mit der Machtfülle und den Entscheidungsbefugnissen zu. LS fordert, unser Handeln an einer ganzheitlichen Ökologie als neuem Paradigma von Gerechtigkeit in allen Lebensbereichen auszurichten. Die verschiedenen kleinen und größeren Initiativen sind Hoffnungszeichen. „Allerdings ist es zur Lösung einer so komplexen Situation wie jener, mit der sich die Welt von heute auseinandersetzen muss, nicht genug, dass jeder Einzelne sich bessert. (…) Auf soziale Probleme muss mit Netzen der Gemeinschaft reagiert werden, nicht mit der bloßen Summe individueller positiver Beiträge: (…) Die ökologische Umkehr, die gefordert ist, um eine Dynamik nachhaltiger Veränderung zu schaffen, ist auch eine gemeinschaftliche Umkehr.“ Die Idee des Verbunden-Seins und damit des Abhängig-Seins durchzieht die Enzyklika. Entsprechend muss die Lösung auch im Dialog, der im gemeinsamen Haus (oikos) stattfindet, entwickelt und umgesetzt werden im Vertrauen auf Gott. Ein tröstlicher Gedanke, nicht alles allein lösen zu müssen. Die Perspektive der Armen wird konsequent durchgezogen und eingefordert. Positiv auch die Betonung unserer Leiblichkeit, wodurch die vernachlässigte/vergessene Verbundenheit mit der Schöpfung wieder unterstrichen wird und wir Menschen auf den uns zustehenden Platz in der Schöpfung verwiesen werden mit allen Konsequenzen für unser Handeln – hoffentlich. Die Care-Perspektive klingt an, wird aber nicht weiter ausgeführt. LS ist Ermutigung für jene, die bereits auf dem Weg sind – wie weit sich ihre prophetisch mahnende Funktion entfaltet, muss sich noch zeigen.
Mag.a Lucia Göbesberger
Umweltreferentin der Diözese Linz
Erschienen in: Interesse. Soziale Information 2015/3