Arbeitslosen Menschen den Weg ebnen
Zu diesen Fragen haben wir ExpertInnen um ihre Wahrnehmungen und Einschätzungen gefragt. Die Antworten reichen von bedarfsgerechter Unterstützung bei der Arbeitssuche, keine Sanktionen im ersten Halbjahr der Arbeitslosigkeit, mehr Flexibilität von beiden Seiten, bis zu einer Arbeitsmarktreform für die Menschen, nicht gegen sie.
„Meine Vorschläge: Nur Mindestlohn-Jobs mit 1.700 Euro netto sind verpflichtend anzunehmen. Das erste halbe Jahr der Arbeitslosigkeit muss sanktionsfrei gestellt werden, damit arbeitslose Menschen genügend Zeit haben eine passende Arbeit zu finden.“
Es gibt viele arbeitslose Menschen: etwa eine Million im Jahr ist davon direkt betroffen. Und neuerdings gibt es viele offene Stellen. Finden die Arbeitslosen nicht zu den offenen Stellen? Liegt es an der Ausbildung, an der Infrastruktur, an den fehlenden Babyboomern oder an einer verwöhnten Generation Z, die nicht mehr bereit ist für ihre Karriere sämtliche Arbeitsbedingungen zu akzeptieren? Schließlich ist es ja (angeblich) ein Markt, der Arbeitsmarkt: Angebot und Nachfrage. Laut geltendem Gesetz muss man aktuell praktisch jede Arbeit annehmen, die voll sozialversichert und die kollektivvertraglich bezahlt ist. Weitere Bedingungen darf man - unter Androhung des Verlusts sämtlicher Geldleistungen für mehrere Wochen - nicht stellen! Von der Arbeitgeberseite hingegen verlauten Aussagen, etwa: „Ich stelle niemanden ein, der vom AMS geschickt wird. Das beweist aber, dass jemand nicht selbst aktiv ist.“
Wolfgang Schmidt, Verein AMSEL Steiermark
„Es braucht gute und fair bezahlte Arbeitsmöglichkeiten, damit Menschen gesund bleiben und dauerhaft ihre Existenz sichern können. Arbeit um jeden Preis kann keine Lösung sein.“
Fakt ist, dass viele offene Arbeitsstellen und die Situation von arbeitslosen Menschen sehr oft nicht zusammenpassen: Frauen haben vielfach Kinder oder alte Angehörige zu betreuen und brauchen daher Arbeitszeiten, mit denen das vereinbar ist. Viele haben kein eigenes Auto und der öffentliche Verkehr ist gerade im ländlichen Raum schlecht ausgebaut. Zudem können gesundheitlich beeinträchtigte Menschen die verlangte Leistung bei allem guten Willen nicht bringen. Trotz absehbarem demografiebedingtem Fachkräftemangel wurde in den letzten 10 Jahren immer weniger in die Lehrlingsausbildung investiert. Für längere Zeit arbeitslose Menschen bedarf es großer Anstrengung und guter individueller Begleitung, um wieder „reinzukommen“. Die wichtigste Frage ist dabei an die Betroffenen: „Was brauchst DU?
Anna Wall-Strasser, Bundesvorsitzende KAB Österreich
„Mein Appell an die Unternehmen lautet: Menschen eine Chance geben und dadurch selbst die Chance auf eine motivierte Arbeitskraft bekommen.“
Die Entwicklung am Arbeitsmarkt ist erfreulich. Die Zahl der Beschäftigten hat im Juli die 700.000er Marke überschritten. Jedoch ist es nach wie vor für Personen ohne formale Ausbildung oder auf Grund gesundheitlicher Einschränkungen besonders schwierig eine passende Arbeitsstelle zu finden. Daher braucht es umfassende Beratung und zielgerechtes Coaching bei der Arbeitssuche. Um verbesserte Chancen zu geben, bietet das AMS OÖ arbeitsplatznahe Qualifizierungen und Reha-Programme an. Damit sich Arbeitssuchende und Firmenverantwortliche persönlich kennen- und schätzen lernen, werden Jobbörsen organisiert und Arbeitserprobungen forciert.
Gerhard Straßer, Landesgeschäftsführer AMS OÖ
„Wenn sich beide Seiten als flexibel erweisen und guten Willens sind, können sofort 5 bis 10 % der arbeitslosen Menschen in OÖ in Beschäftigung gebracht werden.“
Die Chancen einen Job zu finden waren noch nie so gut wie heute, die Anzahl der Arbeitssuchenden sinkt und die Zahl der offenen Stellen explodiert. Dass beide Seiten dennoch nicht immer zusammenkommen, liegt meistens an den vom Betrieb nachgefragten Qualifikationen, über die Arbeitslose oft nicht verfügen. Deswegen hat eine gezielte Aufqualifizierung – am besten über ein „Training im Betrieb“ – besondere Priorität. Arbeitssuche ist auch kein Wunschkonzert, weshalb man dem jeweils anderen eine faire Chance geben und mitunter auch eine „zweitbeste“ Lösung akzeptieren sollte. Das lindert den Arbeitskräftemangel und gibt den Arbeitssuchenden eine neue Perspektive!
Mag.a Doris Hummer, Präsidentin Wirtschaftskammer OÖ
„Arbeitskräfteknappheit gilt manchen als wirtschaftliche Gefahr. In den 1970er Jahren nannte man sie Vollbeschäftigung. Sie war das wichtigste Ziel der Wirtschaftspolitik und die Voraussetzung für höhere Löhne und sozialen Fortschritt.“
In den letzten Jahrzehnten ist die Bevölkerung im Erwerbsalter stetig gewachsen, ab jetzt ist das nicht mehr der Fall. Das hat auch positive Seiten: Für viele Menschen mit keinem oder einem schlechten Job bedeutet es die Chance auf Einkommen und soziale Absicherung. Hunderttausende Frauen brauchen Jobs mit ausreichend Arbeitsstunden. Zehntausende Ältere wollen aus Beschäftigung und nicht aus Arbeitslosigkeit in Pension gehen. Zehntausende Arbeitslose verdienen ein akzeptables Jobangebot. Hunderttausende Beschäftigte in miesen Jobs sollen in produktive Betriebe mit guten Löhnen und Arbeitszeiten wechseln.
Dr. Markus Marterbauer, Chefökonom AK Wien
„Es braucht ein dauerhaftes, gut entlohntes und ausreichend subventioniertes Beschäftigungsprogramm für langzeitbeschäftigungslose Menschen. Eine Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien hilft nicht.“
Viele Unternehmen suchen dringend Arbeitskräfte und gleichzeitig finden viele arbeitslose Menschen trotz großer Anstrengung keine Arbeitsstelle. AMS und Politik müssen für alle Menschen, die Arbeit suchen, passende Arbeitsmarktzugänge schaffen. Laut Wifo sind das österreichweit etwa 370.000 Menschen, ein gewaltiges Potential für den Arbeitsmarkt. Die Unternehmen müssen im Wettbewerb um Personal ihre Arbeitsbedingungen überprüfen und attraktiver machen und auch jenen eine Chance geben, die schon länger beschäftigungslos sind. Und das AMS soll auf hochwertige Unterstützungs- und Qualifizierungsangebote setzen.
Mag. Josef Pürmayr, Geschäftsführer Sozialplattform
„Wichtig ist die bedarfsgerechte Unterstützung bei der Arbeitssuche. Dafür braucht es auch genügend Personal und Beratungszeit beim AMS.“
Ältere Menschen, gering Qualifizierte oder Menschen mit gesundheitlichen Problemen werden oftmals von den Betrieben nicht gewünscht oder abgelehnt. Für diese Menschen braucht es bedarfsgerechte bzw. längerfristige Förderangebote in Form von Höherqualifizierungen oder einer Jobgarantie. Ein Drittel der aktuell offenen Stellen kommt aus einem sehr prekären Bereich. Das AMS sollte jedoch nur auf Arbeitsstellen mit einem existenzsichernden Einkommen und guten Arbeitsbedingungen vermitteln. Nach wie vor gibt es - rechnerisch - zu wenige Arbeitsplätze. Trotz guter Arbeitsmarktlage kommen auf eine offene Stelle mehr als doppelt so viele Arbeitssuchende. Es bedarf einer raschen Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf mindestens 70 %, denn die massive Teuerung belastet arbeitslose Menschen überdurchschnittlich stark.
Mag.a Iris Woltran, Referentin AK Oberösterreich
„Der vermeintliche ‚Personalmangel‘ ist eine Themenverfehlung: Es gibt nicht zu wenig Arbeitskräfte, sondern zu viele schlecht bezahlte Jobs mit prekären Arbeitsbedingungen.“
Es braucht eine Arbeitsmarktreform für arbeitslose Menschen und nicht gegen sie. Das AMS sollte die Fähigkeiten und Wünsche der Arbeitssuchenden noch stärker berücksichtigen. Substandard-Jobs sollten erst gar nicht vermittelt werden dürfen. Eine Aufwertung der Niedriglohnbranchen würde den Beschäftigten auch gegen die brutale Teuerung helfen. Überdies muss das Arbeitslosengeld erhöht werden und mit der Inflation mitwachsen. Eine SORA-Studie zeigt, dass arbeitslose Menschen möglichst schnell wieder arbeiten wollen. Die Aufgabe der Politik ist es, sie am Weg dorthin bestmöglich zu unterstützen.
Barbara Blaha, Leiterin Momentum Institut
Der Textauszug stammt aus der Zeitschrift der Bischöflichen Arbeitslosenstiftung info 135 | September 2022.