Arbeits-Los
Streichen, kürzen, sperren. Das sind die Tätigkeitswörter, die eine Gesellschaft bemüht,
in der Arbeitslose als Personen gedacht werden, die selbst nicht tätig sind. Das ist in vielerlei Hinsicht falsch. Jetzt gibt es sogar Vorschläge, die den Zuverdienst zum Arbeitslosengeld der angeblich "Untätigen" streichen wollen. "Für uns bei der Straßenzeitung Kupfermuckn und besonders beim Trödlerladen wäre das eine Katastrophe", schreiben Betroffene. Im neuen Sozialhilfegesetz wurde der Zuverdienst bereits abgeschafft, mit katastrophalen Folgen.
Zuverdienst hilft bei Schuldenregulierung
In der Schuldenberatung sind 40 Prozent der Ratsuchenden arbeitslos. Ohne Zuverdienst können viele ihre Schulden nicht regeln, und ohne Schuldenregelung keine Arbeit wegen einer Lohnpfändung finden. Gerade Menschen, die auf Grund schwerer psychischer Erkrankungen lange arbeitslos sind oder gar keinen Job finden können, sind in vielen Fällen von geringen Nebeneinkünften abhängig – das hilft auch der Tagesstrukturierung und Selbstwirksamkeit. Sozialpolitisch ist die Sache somit recht eindeutig. Aber auch arbeitsmarktpolitisch muss man genau hinsehen.
Zuverdienst verkürzt die Arbeitslosigkeit
Die viel beachtete Wifo-Studie dazu zeigt, dass bei langzeitarbeitslosen Menschen der Zuverdienst die Arbeitslosigkeit verkürzt. Der Zuverdienst ist bei dieser Gruppe auch arbeitsmarktpolitisch sinnvoll. Zum Zeitpunkt der Wifo-Studie im Jahr 2010 gab es in Österreich rund 50.000 langzeitarbeitslose Menschen, aktuell sind es mit 114.640 mehr als doppelt so viele. Der Effekt könnte also jetzt noch für viel mehr Menschen relevant sein.
Die veröffentlichten Daten der Statistik Austria zeigen, dass die Zahl der Menschen mit Sozialhilfe nicht angestiegen ist in der Corona-Zeit. Der Grund waren die sozialen Maßnahmen in den vorgelagerten Systemen der Notstandshilfe oder des Arbeitslosengeldes. Wer dort streicht und kürzt, erhöht die Zahl der Betroffenen in der Sozialhilfe. Es kann vernünftigerweise kein Ziel sein, möglichst viele in die Sozialhilfe zu treiben.
Arbeitslosengeld muss vor Armut schützen
Die Höhe des Arbeitslosengeldes steht in keinem direkten Zusammenhang mit der Höhe der Arbeits-losigkeit. Wäre das so, müsste in den Ländern mit dem niedrigsten Arbeitslosengeld auch die niedrigs-te Arbeitslosigkeit zu verzeichnen sein. Das trifft nicht zu. Das Arbeitslosenversicherungssystem erklärt nur einen Bruchteil der Arbeitslosigkeit, während andere Faktoren wie Bildungs-, Finanz- und Wirtschaftspolitik die zentrale Rolle spielen. Die Lösung eines Problems muss nicht dort zu finden sein, wo das Problem sichtbar wird.
Lückenlose Erwerbsbiografien samt lebenslangen 40-Stunden-Anstellungen dürften zukünftig die Ausnahme, nicht die Regel darstellen. Auf diese Herausforderungen muss sich auch das Sozialsystem einstellen. Arbeitslosengelder und ein unteres Netz, das vor weiterem sozialem Abstieg schützt, sind eine zukünftige Versicherung gegen Armut in einer sich verändernden Ar-beitswelt, die nicht mehr dem Arbeitnehmerbild der 60er- und 70er-Jahre entspricht.