Die Stufen hinab und wieder hinauf
Die Stabilität der Persönlichkeit, die Widerstandskraft (Resilienz) sowie die Tragfähigkeit des engeren persönlichen Umfeldes (Beziehung, Familie, Freunde) sind entscheidende Faktoren für den Verlauf. Die eigenen Vorstellungen und die Erwartungen des Umfeldes sowie gesellschaftliche Normvorstellungen und Werthaltungen laden die oft selber nicht verursachte Arbeitslosigkeit enorm auf, sodass sie für jede/n Einzelne/n bei längerer Dauer zur schweren Belastung werden kann. Ein vielfältiges und auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmtes Unterstützungsangebot sichert den „Sozialstandort“ und die Lebensqualität der arbeitslosen Menschen, denen wir keinen Arbeitsplatz anbieten können.
Endet das Dienstverhältnis überraschend, etwa bei Kündigung oder rascher Betriebsschließung, kann ein Schockempfinden auftreten. Erleichterung kann sich als Gefühl einstellen, wenn die Belastungen des Arbeitsalltages wegfallen. Aber Untätigkeit ist nicht Freizeit, diese freie Zeit kann aufgrund einer unsicheren Zukunftsperspektive nicht genossen werden. Bei längerer Arbeitslosigkeit ist es unmöglich zu entspannen. Hoffnung kennzeichnet meist die erste Phase. Auf Bewerbungen werden Einladungen zu Bewerbungsgesprächen erwartet oder zumindest eine Antwort. Das Interesse an passenden Stellenausschreibungen ist hoch, die Auseinandersetzung damit nährt die Hoffnung, bald wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Materielle Einschränkungen werden nötig, wenn das Geld knapp wird. Das Arbeitslosengeld ist deutlich niedriger als das Einkommen, größere Ausgaben können nicht geplant werden. Enttäuschung aufgrund fehlender Antworten auf Bewerbungen stellt sich ein. Das Selbstvertrauen sinkt und Zweifel an den eigenen Fähigkeiten beginnen, das Selbstwertgefühl leidet. Unzufriedenheit mit der schwierigen oder ausweglos erscheinenden Lage führt zu Niedergeschlagenheit und steigert die Verunsicherung.
Rückzug ist die Folge der materiellen Einschränkungen aber auch eines beginnenden Schamgefühls, man schämt sich für die Unterstützungsbedürftigkeit oder wird beschämt. Die Teilnahme an geselligen Treffen wird seltener, Kontakte eher gemieden. Stress und Druckgefühl steigen aufgrund eigener Vorstellungen und Hoffnungen sowie aufgrund der Erwartungen des Umfeldes. Das Zeitgefühl schwindet, wenn die Strukturierung des Tagesablaufs einbricht. Erinnerungslücken treten vermehrt auf. Pseudo-Beschäftigungen werden mehr, „Man weiß bald nicht mehr, was man tun soll, um überhaupt etwas zu tun.“
Unausgeglichenheit steigt aufgrund geringerer geistiger und körperlicher Herausforderungen, weniger Ausdauer, Motivation, selbst banale Aufgaben werden immer anstrengender und es wird schwieriger Entscheidungen zu treffen. Beziehungsprobleme können auftreten oder zunehmen. Einsamkeit stellt sich als Folge des Rückzuges bei Alleinstehenden ein. Der Arbeitsplatz war ja auch eine zentrale Lebenssphäre und wichtig für menschliche Kontakte. Angstzustände plagen aufgrund der Unsicherheit, der Pessimismus nimmt zu. Arbeitslose Menschen entwickeln Schuldgefühle, sie suchen die Ursachen, die oft mit Schuld gleichgesetzt werden bei sich selbst. Sie fühlen sich nutzlos, als Menschen „zweiter Klasse“. Hoffnungslosigkeit wächst sich zu Resignation aus, „für mich gibt’s keinen Arbeitsplatz“.
Als psychosomatische Krankheiten können Kopfschmerzen, Herz-Kreislaufbeschwerden, Verdauungsprobleme oder allgemeines Unwohlsein auftreten. Arbeitslosigkeit ist purer Stress, kann Krankheiten verursachen und zu Burn Out oder Depression führen, wie belastende Arbeit. Arbeitsunfähigkeit als Krankheit in der Arbeitslosigkeit, kann sich aufgrund der psychischen Überlastung und der körperlichen Folgeerscheinungen ergeben.
Wieder hinauf mit Unterstützung
Je nach Dauer der Arbeitslosigkeit sind differenzierte Unterstützungsangebote erforderlich, die auf die jeweilige Stufe abgestimmt sind. Die Vielfalt im Angebot trägt wesentlich zum Erfolg bei. Zu Beginn bei der selbstgestalteten aktiven Arbeitssuche sind oftmals Tipps aus einem Leitfaden ausreichend. In einer Beratung ist eine intensivere Auseinandersetzung mit der Situation möglich. Dabei muss Klarheit über die eigene Lage gegeben sein und die Bedürfnisse müssen formuliert werden können, ähnlich wie beim Coaching, das noch stärker auf die Persönlichkeit eingeht und direktiver arbeitet. Die Terminvereinbarung muss selbst gecheckt werden.
In einem Kursangebot ist ein bestimmter zeitlicher Rahmen, oftmals mit individuellen inhaltlichen Passagen zur Strukturierung des Tagesablaufes die nächste Stufe in der Betreuungsintensität. In sozialökonomischen Betrieben ist die Nähe zu den Anforderungen in der Arbeitswelt kennzeichnend, die Leistungsfähigkeit kann hier bis zu diesem Niveau aufgebaut werden. Ist der Betreuungsbedarf höher und soziale Problemstellungen einschränkender, kann dies in einem Arbeitstraining bearbeitet werden, auch grundlegende Arbeitskompetenzen können trainiert werden. In Angeboten zu Tagesstruktur sind sowohl Beschäftigungs- als auch Freizeitelemente beinhaltet, die Konfrontation mit Arbeitsanforderungen und Fremdeinschätzungen soll bewältigt werden können.
Erfahrungen von sinnvoll-tätig-sein zu sammeln ist Thema bei Ergotherapie, um wieder einen positiven Zugang zur Arbeit zu ermöglichen. Etwas geschaffen zu haben, bewirkt eine enorme Bestärkung von Menschen nach tiefen Krisen. Um Angstzustände zu überwinden und psychosomatischen Krankheiten an der Wurzel zu behandeln, ist Psychotherapie erforderlich.
Letztendlich kann Arbeitslosigkeit als erlebte Folge der Ausweg- und Perspektivenlosigkeit auch in die Arbeitsunfähigkeit führen. Um diese psychische Krankheitsform zu überwinden, ist jedenfalls eine medizinische Behandlung erforderlich.
Christian Winkler
Geschäftsführer der Bischöflichen Arbeitslosenstiftung Linz