"Bitter" - Lesung mit Ludwig Laher
Damals
- Kollektiver Jubel beim Einzug in Jerusalem.
- Kollektives "Ans Kreuz mit ihm!!!" ein paar Tage später.
Unglaublich, die Stärke und Dynamik einer Menschenmasse. Sie kann gefährlich werden. In der bevorstehenden Karwoche wird uns wieder vor Augen geführt, wie schnell der einzelne Mensch als Teil einer Menschenmasse selbständiges Denken ausschaltet und sich der eigenen Verantwortung entzieht. Vom kollektiven Jubel zum kollektiven "Verhetzt sein" war es nur ein kleiner Schritt. Das Opfer damals: Jesus - Querdenker und Systemkritiker, von den damaligen Machthabern durch Todesurteil aus dem Verkehr gezogen.
Heute: Es müssen nicht immer die lauten Beispiele aus der NS-Zeit sein, die Macht und Dynamik einer Menschenmasse verdeutlichen. Auch kollektives Schweigen birgt eine große Gefahr in sich. So gibt es auch in unseren Tagen Todesurteile, die kollektiv zur Kenntnis genommen werden. Menschen, die nicht ins System passen, werden ihrer Lebenschance beraubt - z.B. ungeborene Kinder mit Diagnose "Down-Syndrom". Es wird öffentlich kaum hinterfragt, warum ihnen ihr Recht auf Leben genommen wird.
Was hat dies alles mit der Lesung Ludwig Lahers zu tun?
"Wie der Mensch mit dem Menschen umgeht" zieht sich wie ein roter Faden durch das literarische Schaffen Ludwig Lahers. Das Thema ist zeitlos: Das Individuum "Mensch" streift in den unterschiedlichsten Systemen seine Menschlichkeit ab. Dazu einige Beispiele:
Im Roman "Und nehmen was kommt" steht der Lebens- und Leidensweg einer jungen Roma aus der Ostslowakei im Mittelpunkt. Unglaubliches mitten in Europa, in EU-Zeiten.
"Verfahren" ist für eine junge Kosovo-Serbin der Neuanfang in Österreich. Inmitten eines demokratischen Systems gerät sie in die Mühlen eines unmenschlichen Asylrechts. Der gleichnamige Roman wurde 2011 für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Der Roman "Einleben" beschreibt die Beziehung zwischern Steffi, einem Kind mit Down-Syndrom, und ihrer Mutter. Statistisch gesehen dürfte es Steffi gar nicht geben. Wie erwähnt, es ist üblich geworden, in Fällen wie diesen eine Abtreibung nahe zu legen.
Mit der vom Kath. Bildungswerk organisierten Lesung aus dem neu erschienen Roman "Bitter" hinterließ Ludwig Laher ein nachdenkliches Publikum. Friedrich Kranebitter, alias "Bitter", österreichischer Nationalsozialist und hochrangiger Gestapo-Funktionär war durch die Anordnung von Massenhinrichtungen für die Ermordung von bis zu 40.000 Menschen verantwortlich. Unter anderem wurden auch sechzig Kinder, die als Patienten in einem Kinderspital lagen, exekutiert.
Kurz nach Kriegsende erhielt Bitter wieder einen ehrenwerten Platz in der Gesellschaft.
Auf seiner Parte war 1957 zu lesen: "Sein Leben war nur aufopfernde Liebe und treueste Pflichterfüllung."
Danke allen, die durch ihr Kommen einen öffentlichen Schritt gegen das Vergessen getan haben, unter ihnen Pfarrer Mag. Markus Menner, Pfarrer Josef Steinkellner und Ostermiethings PGR-Obmann Johann Schmied.
Danke Christian Münzker und Christina Schernberger für die musikalischen "Denkpausen".
Danke Ludwig Laher, der sich nach der Lesung lange für persönliche Gespräche und Fragen Zeit nahm. (mf)
