HIMMELsträume
„Stell dich bei Dämmerung vor ein großes Wohnhaus und warte, bis 13 Fenster erleuchtet sind.”
Klingt sinnlos? Vielleicht. Irgendwann stand dieser Vorschlag in einem Adventskalender. Jeden Tag gab es eine Aufgabe, eine merkwürdiger als die andere, aber alle drehten sich ums Warten.
Ich bin eine schlechte Warterin. Werde ungeduldig, sobald sich die kleine Sanduhr auf meinem Computerbildschirm dreht. Der Bus zwei Minuten über der Zeit immer noch nicht um die Ecke biegt. Die Viertelstunden im Wartezimmer des Arztes sich wie Kaugummi ziehen.
Und nun soll ich freiwillig in einer zugigen Straße stehen und auf ein Haus schauen? Ich versuche es. Weil es so absurd klingt. Ich lasse die Autos an mir vorbei rauschen. Richte meinen Blick auf die Fenster, rieche die frostige Nachtluft. Schaue, was geschieht. Halte die Leere aus. Eine Art Open-air-Meditation, ein Alltagsexerzitium.
Ich beginne übers Warten nachzudenken. Warum es so störend ist, wenn mein Tagesablauf durchkreuzt wird. Ein Loch sich auftut, ein leerer Moment.
Vielleicht würde die Sehnsucht sich Raum nehmen. Ich müsste meinen Schritt ihr anpassen. Es zulassen, bedürftig zu sein. Zugeben, dass ich nicht alles habe, was glücklich macht. Ließe Himmelsträume auftauchen, und die Vernunft wischte sie nicht weg.
Und plötzlich, während ich da in der Kälte stehe und noch lange keine 13 Lichter brennen, habe ich eine Ahnung, wie es sein könnte, wenn ich auf Anderes, auf Größeres warte. Nein, mehr noch, habe einen Vorgeschmack darauf, wie es sein wird: Wie es sein wird, wenn der Tag nicht mehr mit Schreckensmeldungen im Radio beginnt. Wenn ich mit einem verlorenen Freund Frieden finde. Wenn ich Gott tatsächlich in jenem Kind im Stall entdecke.
(Susanne Niemeyer, Redakteurin bei Andere Zeiten e.V.)
Quellenangabe:
Text: Niemeyer, Susanne: Wart mal. (Adventliche) Gedanken übers Warten. In: Pfarrbriefservice.de [Stand: 12/2018]