Johann Christoph Bach: Herr, wende dich und sei mir gnädig
Der Komponist
Johann Christoph Bach I – der älteste Sohn des die Arnstädter Linie der Bachfamilie begründenden Organisten Heinrich Bach (1615–1692) und seiner Frau Eva – wurde am 8. Dezember 1642 in Arnstadt getauft.
Johann Christoph Bach erhielt – wie auch sein Bruder Johann Michael Bach (1648–1694), der „Gehrener Bach“ und Vater von Johann Sebastian Bachs erster Frau Maria Barbara – Unterricht bei seinem Vater. Ab November 1663 wirkte er als Organist an der Schlosskirche Arnstadt. Zwei Jahre später berief ihn der Eisenacher Rat nach einem erfolgreichen Probespiel im Dezember 1665 zum Stadtorganisten an der Eisenacher Georgenkirche (Hofkirche) und zum Cembalisten in der Hofkapelle des Herzogs Johann Georg von Sachsen-Eisenach. Daneben wirkte er als Organist an St. Nicolai, wofür er von der Stadt Eisenach entlohnt wurde. In Eisenach prägte er gemeinsam mit seinem Cousin Johann Ambrosius Bach (1645–1695) – dem Vater Johann Sebastian Bachs – das Eisenacher Musikleben.
1667 heiratete Bach die Stadtschreibertochter Maria Elisabeth Wedemann aus Arnstadt. Ihrer Ehe entstammen acht Kinder, unter anderem die musikbegabten Söhne Johann Nicolaus Bach (1669–1753), Johann Christoph Bach II (1676–um 1730) und Johann Friedrich Bach (1682–1730). Letzterer war übrigens 1708 Johann Sebastian Bachs (1685–1750) Nachfolger als Organist an der Divi-Blasii-Kirche in Mühlhausen.
1686 scheiterte eine von ihm bereits angenommene Berufung zum Stadtorganist in Schweinfurt an den Einsprüchen des Eisenacher Hofes und der Stadtbehörde, die ihn mit einem von ihm lange angestrebten Orgelneubau von Georg Christoph Stertzing in der Eisenacher Georgenkirche gemäß seinen Wünschen und Entwürfen zu entschädigen versuchten. Er starb jedoch vor der Fertigstellung der damals größten Orgel Thüringens.
Trotz seines Erfolgs als Musiker – er war wohl der bedeutendste Bach vor Johann Sebastian – hatte Johann Christoph Bach immer wieder große finanzielle Schwierigkeiten. 1694 wurde er als „nothdürfftige Person“ zum Almosenvorsteher in Eisenach ernannt und bezog eine Dienstwohnung in der sogenannten Eisenacher Münze. 1700 erfolgte eine Beförderung zum „Cammer-Musicus“ am Eisenacher Hof. Offizielle kompositorische Verpflichtungen scheint er in dieser Funktion nicht gehabt zu haben.
Die Eisenacher Ratsakten, aber auch andere zeitgenössische Dokumente seines Lebens und Wirkens, vermitteln ein ambivalentes Persönlichkeitsbild: Der sensible, reizbare und rechthaberische Künstler fühlte sich künstlerisch unterfordert und von der Kleinheit der Eisenacher Verhältnisse eingeengt. Stets bedrängt von wirtschaftlichen und finanziellen Nöten und von einer Wohnung in die andere umziehend verfasste die schwierige Künstlernatur zahlreiche Denk- und Bittschriften. Johann Christoph Bach lag lange Zeit mit dem Eisenacher Rat in Streit, trotz seines unbequemen und streitbaren Wesens war der Musiker jedoch in der Stadt anerkannt und geschätzt, was auch zahlreiche finanzielle und materielle Zuwendungen des Hofes belegen.
Johann Christoph Bach starb am 31. März 1703 in Eisenach und wurde am 2. April 1703 dort begraben.
Die Zahl der erhaltenen Kompositionen Johann Christoph Bachs ist nicht sehr groß – neben choralgebundener und freier Orgelmusik, Variationenwerke für Cembalo existieren auch Vokalkompositionen, zumeist Werke für besondere Anlässe wie Hochzeiten, Begräbnisse und Ratswahl (Kantaten, Arien, Motetten). Die meisten überlieferten Werke entstammen dem altbachischen Archiv. Einige von Johann Christoph Bachs Werke wurden lange fälschlicherweise Johann Sebastian Bach zugeschrieben – inzwischen sind diese jedoch als Werke des Arnstädter Bachs anerkannt.
Johann Christoph Bach ragt als geniale Komponistenbegabung unter den älteren Vertretern der Bachfamilie hervor – das belegt schon die Tatsache, dass ihn sowohl Johann Sebastian Bach als auch dessen Sohn Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788) sehr verehrten, seine Kompositionen studierten und aufführten. Vor allem seine Motetten und Kantaten zeichnen sich durch besondere satztechnische Kunstfertigkeit und eine harmonisch reiche und differenzierte Tonsprache aus.
Johann Sebastian Bach, der möglicherweise bei seinem Onkel zweiten Grades die erste Bekanntschaft mit Tasteninstrumenten machte, charakterisierte Johann Christoph Bach in seiner Familienchronik von 1735 als „profonde[n] Componist[en]“, und auch Carl Philipp Emanuel Bach ergänzt später in dieser Genealogie zu seinem Vorbild: „Dies ist der große und ausdrückende Componist.“
Das Werk
Sowohl Johann Sebastian Bach als auch dessen Sohn Carl Philipp Emanuel Bach verehrten Johann Christoph Bach sehr, zum Beispiel für seine „bewußte Mischung der alten Tonarten mit dem neuen harmonischen System, oft in überraschendem harmonischen Reichthum“[1].
Entstehung der Kantate
Dass Johann Christoph Bach heute fast vergessen ist, liegt vermutlich an der geringen Anzahl der überlieferten Werke des aus der Arnstädter Linie des Musikergeschlechts Bach stammenden Komponisten. Was sich jedoch bis in unsere Zeit erhalten hat, ist von höchster Qualität – so auch die als „Dialogus“ bezeichnete Kantate „Herr, wende dich und sei mir gnädig“ aus dem Jahr 1676.
Überliefert ist die Kantate des wahrscheinlich bedeutendsten Musikers der Familie Bach vor Johann Sebastian Bach durch einen handschriftlichen Stimmensatz in der Musikabteilung der Staatsbibliothek preußischer Kulturbesitz in Berlin, der sich ursprünglich in den Beständen der Michaeliskirche Erfurt befand.
Auf dem Umschlag der einzigen Quelle ist zu lesen:
„Dialogus | Herr wende dich und sey mir gnädig | à 9
C.A.T.B. | 2 Violini | 2 Bracc | 1 Violon | con basso continuo
di Christoph Bach | A. | Anno 1676.“
Der Hinweis „A.“ steht dabei für den Schreiber der Stimmen, Johann Christian Appelmann.
Aufbau der Kantate
Die für Sopran, Alt, Tenor, Bass, Streicherensemble und Basso continuo komponierte Kantate „Herr, wende dich und sei mir gnädig“ ist in einem Satz konzipiert.
Der musikalische Dialog in der Kantate entfaltet sich dabei zwischen den drei solistischen Oberstimmen und dem Basssolisten: Die drei Oberstimmen repräsentieren in den ersten vier Abschnitten die Jedermann-Rolle des reumütigen Sünders, der Basssolist antwortet als trostreiche „göttliche Stimme“.
Der Text der Kantate „Herr, wende dich und sei mir gnädig“ ist aus verschiedenen Bibelversen zusammengestellt – der Urheber dieser Kompilation ist unbekannt, es ist aber durchaus denkbar, dass es sogar der Komponist Johann Christoph Bach selbst war. Der erste Abschnitt des Dialogs bezieht sich auf die Bibelstellen Ps 86,16 und Ps 86,3 sowie auf Ijob 17,1. Der daran anschließende zweite Abschnitt nimmt Ijob 16,22 in den Blick, der dritte Abschnitt wiederum rückt Ps 102,24 in den Fokus. Nach dem vierten Abschnitt bestehend aus Ps 102,25 und Ps 86,1 endet der Kantatentext mit textlichen Bezügen zu Ps 118,18 und Ps 115,17f.
Text der Kantate
Symphonia |
instrumental |
Soprano, Alto, Tenore |
Herr, wende dich und sei mir gnädig denn ich rufe täglich zu dir; mein Odem ist schwach und meine Tage sind abgekürzt, das Grab ist da; |
Basso |
Laß dir an meiner Gnade begnügen. |
Soprano, Alto, Tenore |
meine Gestalt ist jämmerlich und elend, und ich gehe hin des Weges, der demütiget auf dem Auge meine Kraft meine Tage sind dahin wie ein Schatten, und meine Kräfte |
Basso |
Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Laß dir an meiner Gnade begnügen. |
Soprano, Alto, Tenore |
Mein Gott, nimm mich nicht weg in der Hälfte meiner Tage; stärke deinen Knecht, denn ich bin elend und arm; neige deine Ohren und erhöre mich! |
Basso |
Ich habe dich erhöret zur angenehmen Zeit und will deinen Tagen noch viel Jahr zusetzen; denn siehe, ich decke dich unter dem Schatten meiner Hände und habe dir am Tage des Heils geholfen. Laß dir an meiner Gnade begnügen. |
Soprano, Alto, Tenore |
Der Herr züchtiget mich wohl, aber er gibt mich dem Tode nicht, denn die Toten werden dich, Herr, nicht loben, noch die hinunterfahren in die Hölle, |
Soprano, Alto, Tenore, Basso |
sondern wir loben den Herrn Die Toten werden dich, Herr, nicht loben, |
Choral (Chor) |
Frisch auf, mein Seel, und zage nicht,
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Anmerkungen:
[1] von Liliencron, Rochus (1875): Bach, Johann Christoph. In: Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Hrsg.) (1875): Allgemeine Deutsche Biographie. Band 1. Berlin: Duncker & Humblot. S. 729. (Online-Version unter: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bach,_Johann_Christoph_(Musiker)&oldid=3479848 [Stand: 03/2019])
Quellenangaben:
Bach, Johann Sebastian (1735): Ursprung der musicalisch-Bachischen Familie.
Bergmann, Hans (1987): Vorwort. In: Bergmann, Hans (Hrsg.) (1988): Johann Christoph Bach: Herr, wende dich und sei mir gnädig. Stuttgart: Carus. S. 3–4.
Campbell, Richard (2009): Johann Christoph Bach. In: John Eliot Gardiner (2011): Johann Christoph Bach: Welt, gute Nacht (Audio-CD). London: Soli Deo Gloria.
Gurlitt, Willibald (1953): Bach, Johann Christoph. In: Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Hrsg.) (1953): Neue Deutsche Biographie. Band 1. Berlin: Duncker & Humblot. S. 483. (Online-Version unter: https://www.deutsche-biographie.de/pnd120327112.html#ndbcontent [Stand: 03/2019])
von Liliencron, Rochus (1875): Bach, Johann Christoph. In: Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Hrsg.) (1875): Allgemeine Deutsche Biographie. Band 1. Berlin: Duncker & Humblot. S. 729. (Online-Version unter: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bach,_Johann_Christoph_(Musiker)&oldid=3479848 [Stand: 03/2019])
Wilhelm, Jens Philipp (2000): „Dieß wunderbarste Räthsel aller Zeiten“ (R. Wagner): Johann Sebastian Bach. Katalog zu der Mannheimer Ausstellung des Bachhauses Eisenach (25.2. –26.3.2000). (Online-Version unter: http://www.jwilhelm.de/bach2.pdf [Stand: 03/2019]
Stefanie Petelin | 24.03.2019