Carl Philipp Emanuel Bach: Sinfonia in e, Wq 177 H. 652
Der Komponist
Carl Philipp Emanuel Bach wurde am 8. März 1714 in Weimar als zweiter Sohn von Hofkapellmeister Johann Sebastian Bach (1685–1750) und dessen erster Frau Maria Barbara (1684–1720) geboren. Einer der Taufpaten des kleinen Carl Philipp Emanuel war Komponist Georg Philipp Telemann (1681–1767). Ihm verdankt Johann Sebastian Bachs wohl berühmtester Sohn auch seinen zweiten Vornamen.
1717 zog die gesamte Familie Bach nach Köthen, wo Johann Sebastian Bach als Kapellmeister am Hof des jungen Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen tätig war. Seine Frau Maria Barbara, Carl Philipp Emanuels leibliche Mutter, verstarb 1720. Bereits 1721 heiratete der Witwer die junge Sopranistin Anna Magdalena (1701–1760). 1723 führte der Weg der Familie weiter nach Leipzig – denn Vater Bach wurde als Nachfolger von Johann Kuhnau (1666–1722) Thomaskantor und Lehrer an der Thomasschule, die auch Carl Philipp Emanuel besuchte.
Wie alle Bachsöhne erhielt auch Carl Philipp Emanuel schon früh Klavier- und Orgelunterricht, sodass dieser bereits mit zarten 15 Jahren regelmäßig an den Aufführungen seines Vaters mitwirkte – sowohl in den Kirchen als auch im Collegium Musicum. Seine musikalische Ausbildung erhielt Carl Philipp Emanuel einer autobiographischen Skizze zufolge ausschließlich von seinem Vater: „In der Komposition und im Clavierspielen habe ich nie einen andern Lehrmeister gehabt, als meinen Vater.“[1]
An der Universität Leipzig begann Carl Philipp Emanuel Bach ab 1731 ein Jurastudium – denn Vater Johann Sebastian Bach legte großen Wert auf eine umfassende Bildung seiner Kinder. In dieselbe Zeit fallen Carl Philipp Emanuels erste Kompositionen, für die er sich später offenbar schämte, wie folgender Brief an Johann Joachim Eschenburg vom 21. Januar 1786 zeigt: „Ich vergleich mich gar nicht mit Händeln, doch habe ich vor kurzem ein Ries u. mehr alte Arbeiten von mir verbrannt u. freue mich, dass sie nicht mehr sind.“[2]
Nachdem sich Carl Philipp Emanuel Bach 1732 erfolglos als Organist an der Wenzelskirche in Naumburg beworben hatte, wechselte er 1734 an die Brandenburgische Universität in Frankfurt an der Oder, wo er 1738 seine juristischen Studien abschloss. Neben seinem Jurastudium war Bach Mitglied des dortigen Collegium Musicum, mit dem er eigene Kompositionen und Werke seines Vaters aufführte.
Seine Akademikerlaufbahn gab Carl Philipp Emanuel schließlich auf, um sich ganz der Musik zu widmen. Denn bereits im Jahr seines Studienabschlusses wurde Bach vom preußischen Kronprinz Friedrich – dem späteren „Friedrich den Großen“ – als Cembalist in die Hofkapelle nach Ruppin berufen. 1741 stellte der inzwischen zum preußischen König gekrönte Friedrich den jungen Bach als Konzertcembalist in der Hofkapelle fest an. In den 28 Jahren seines Dienstes am preußischen Hof avancierte Carl Philipp Emanuel Bach zu einem der bekanntesten „Clavieristen“ Europas.
1744 heiratete Carl Philipp Emanuel Bach Johanna Maria Dannemann, die Tochter eines Berliner Weinhändlers. Aus dieser Ehe entstammen die drei Kinder Johann August [Adam] (1745–1789), Anna Carolina Philippina (1747–1804) und der nach dem berühmten Großvater benannte Johann Sebastian [Samuel], der unter tragischen Umständen während eines Italien-Aufenthaltes starb (1748–1778).
1753 veröffentlichte Carl Philipp Emanuel Bach seine musiktheoretische und musikpraktische Schrift mit dem Titel „Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen“, die europaweit zu einem einflussreichen Standardwerk für das Klavierspiel und den Generalbass dieser Zeit wurde. Darin thematisiert Bach nicht nur technische Fragen, sondern auch den von ihm geprägten empfindsamen Stil: „Aus der Seele muß man spielen, und nicht wie ein abgerichteter Vogel. [...] [E]in Musickus nicht anders rühren kan, er sey dann selbst gerührt.“[3]
Carl Philipp Emanuel Bach blieb bis 1767 im königlichen Dienst, wo er einige seiner bedeutendsten Werke – u.a. die „Württembergischen Sonaten“ und die „Berliner Sinfonien“, zu denen auch die Sinfonia in e, Wq. 177 H. 652, zählt – komponierte.
Nachdem die Bewerbung um das Thomaskantorat in Leipzig als Nachfolger seines Vaters erfolglos geblieben war, übernahm Carl Philipp Emanuel Bach 1768 eines der angesehensten musikalischen Ämter Deutschlands, nämlich das Amt seines zuvor verstorbenen Paten Georg Philipp Telemann als städtischer Musikdirektor und Kantor am Johanneum in Hamburg. Mit einem Jahrespensum von rund 200 Aufführungen an den fünf Hauptkirchen Hamburgs, zahlreichen Kompositionen für verschiedene Anlässe und der Veranstaltung öffentlicher Konzerte präsentierte sich das Amt sehr arbeitsintensiv. Unter seiner Direktion avancierte Hamburg – wie schon unter Telemann – zu einem bedeutsamen Musikzentrum.
In seinen letzten Lebensjahren beschäftigte sich Carl Philipp Emanuel Bach intensiv mit dem Werk seines Vaters. Ihm ist auch die Bewahrung und Überlieferung zahlreicher Werke seines Vaters zu verdanken – ohne Carl Philipp Emanuel Bachs Arbeit wäre sein Vater heute wohl kaum so bekannt. Selbst hat Carl Philipp Emanuel Bach in seinen Lebensjahren über tausend einzelne Werke komponiert. Dabei umfasst sein umfangreiches Œuvre alle Gattungen mit Ausnahme der Oper – Schwerpunkte liegen aber in der geistlichen Vokalmusik und der Musik für Tasteninstrumente.
Mit seiner Musik ließ er die barocke Klangwelt, mit der er aufgewachsen war, hinter sich und etablierte den empfindsamen Stil, mit dem er Einfluss auf nachfolgende Komponistengenerationen nahm und für Komponisten wie Haydn, Mozart oder Beethoven zum Vorbild wurde, wie schriftliche Zeugnisse belegen: „[...] und wer mich gründlich kennt, der muss finden, dass ich dem Emanuel Bach sehr vieles verdanke, dass ich ihn verstanden und fleissig studirt habe“[4], verriet Joseph Haydn. Und Mozart erklärte in der ihm eigenen Art: „Er ist der Vater; wir sind die Bubn. Wer von uns was Rechts kann, hats von ihm gelernt; und wer das nicht eingesteht ist ein ...“[5] Und selbst Beethoven erklärte: „Von Emanuel Bachs Klavierwerken habe ich nur einige Sachen, und doch müssen einige jedem wahren Künstler gewiß nicht allein zum hohen Genuß, sondern auch zum Studium dienen [...].“[6]
Carl Philipp Emanuel Bach starb am 14. Dezember 1788 als geschätzter und den Bekanntheitsgrad seines Vaters weit überragender Komponist in Hamburg. Begraben ist der „Hamburger Bach“ im Gewölbe unter dem Hamburger Michel.
Das Werk
Der hochbegabte, nahezu geniale Sohn Johann Sebastian Bachs ist heute in der öffentlichen Wahrnehmung nicht annähernd so bedeutsam wie sein Vater. Zu Lebzeiten übertraf Carl Philipp Emanuel Bach seinen Vater jedoch an Popularität und Bedeutung. Über tausend Werke – darunter Oratorien, Konzerte, Sonaten und Sinfonien – hat der zwischen Spätbarock und Klassik angesiedelte Künstler und Wegbereiter für Komponisten der Wiener Klassik in fast sechzig Jahren Schaffenszeit komponiert.
Entstehung der Sinfonie
Das Werkverzeichnis Carl Philipp Emanuel Bachs enthält achtzehn Sinfonien – acht davon entstanden in seiner Zeit als Cembalist am Hofe Friedrichs II. von Preußen (1738–1768). Das höfische Umfeld dürfte offenbar eine kreative Atmosphäre geschaffen haben, in der sich der Bachsohn kompositorisch entfalten konnte.
Die „Sinfonia in e“, Wq 177 bzw. H.652, zählt zu den acht „Berliner Sinfonien“ und gilt bis heute als Höhepunkt seiner frühen Sinfonien. Komponiert wurde die „Sinfonia in e“ im Jahr 1756 für Streichorchester (Violine 1, Violine 2, Viola und Basso continuo) – später erstellte Carl Philipp Emanuel Bach eine Fassung für Streichorchester und zusätzliche Bläsern (Horn 1, Horn 2, Oboe 1, Oboe 2, Flöte 1, Flöte 2, Violine 1, Violine 2, Viola und Basso continuo), die als Wq 178 bzw. H. 653 ins Werkverzeichnis aufgenommen wurde.
Äußerungen des Komponisten über seine Sinfonien sind leider wenige erhalten, aber Carl Philipp Emanuel Bach schien sich der besonderen Bedeutung dieser Komposition bewusst gewesen zu sein, denn bei der „Sinfonia in e“ handelt es sich um die einzige seiner „Berliner Sinfonien“, die noch zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurde. Denn bereits 1759, drei Jahre nach der Komposition, wurde das Werk mit der Widmung „alle spese della vedova di Balth. Schmid in Norimberga“ in seiner Originalfassung für Streichorchester bei seinem Nürnberger Verleger Balthasar Schmid publiziert.
Auch wenn Carl Philipp Emanuel Bach mehr Ruhm durch seine Fantasien, Klavierkonzerte und Klaviersonaten erlangte, belegen mehrere Kritiken seiner Sinfonien, dass er auch auf diesem Feld geschätzt wurde – am deutlichsten wird dies in Charles Burneys musikalischem Reisetagebuch aus dem Jahr 1771, in dem dieser berichtet, dass ihn der angesehene Opernkomponist Johann Adolf Hasse (1699–1783) in Wien explizit auf Carl Philipp Emanuel Bachs „Sinfonia in e“ aufmerksam gemacht habe:
„Da er [Hasse] nahe bey Hamburg gebürtig ist, sagte er mir, es freute ihn, daß ich über diese Stadt reisen wollte, nicht nur deswegen, weil es sein Vaterland wäre, sondern weil ich dort den grossen Emanuel Bach, den er sehr verehrte, sehen und die besten Organisten und Orgeln in der ganzen Welt zu hören bekommen würde, wofern solche nicht, seit der Zeit, daß er dort gewesen, sehr aus der Art geschlagen wären. Vor allen Dingen empfahl er mir sehr, ich möchte Bach anliegen, daß er mir auf den Clavier vorspielte, und daß ich mich um eine von seinen Sinfonien, aus dem Emoll bemühen sollte, welche er für die Beste hielt, die er in seinem Leben gehört hätte.“[7]
Durch den Musikgelehrten Burney entwickelte sich in England auch eine regelrechte Begeisterung für Carl Philipp Emanuel Bach – der Geistliche Thomas Twining erfand dafür in einem Brief vom 13. Oktober 1774 an Burney sogar einen humorvollen Namen: „I find the Carlophilipemanuelbachomania grow upon me so, that almost every thing else is insipid to me.“[8]
Aufbau der Sinfonie
Wie seine anderen Sinfonien besteht auch die „Sinfonia in e“, die rasch den Beinamen „Fandango“ erhielt, aus drei Sätzen (Allegro assai – Andante moderato – Allegro).
Das einleitende Allegro Assai, das eine deutliche Nähe zu kontrapunktischen Verfahren aufweist, ist geprägt von starken Kontrasten und explosiver Spannung. Mit einem mächtigen Unisono beginnt der stürmisch-mitreißende Eröffnungssatz. Es folgt ein rhythmisches Feuerwerk voll leidenschaftlichem Ausdruck mit aufregend-antreibenden Rhythmen, unvermittelten Pausen, immer wieder aufblitzenden Cantabilestellen und starken dynamischen Kontrasten.
Ganz anders präsentiert sich der zweite Satz im Andante moderato, der intim-zärtliche Sanftheit atmet und ins Zentrum rückt, was für Carl Philipp Emanuel Bach und seine Zeitgenossen von großer Bedeutung war – die Musik als Sprache der Empfindungen. Für gewöhnlich weisen Bachs Sinfonien wenig erkennbare Verbindungen zu anderen Werken auf, der langsame G-Dur-Satz der „Sinfonia in e“ ist der einzige Satz in Bachs Sinfonien, der als Teil eines anderen Werkes auftaucht. Bach verwendete ihn nämlich ein Jahr später als mittleren Satz der Klaviersonate in g-Moll, Wq 62/18 bzw. H. 118.
Im finalen Allegro-Satz verbinden sich die beiden ersten Sätze zu einer Einheit – gleichermaßen anmutig und aufbrausend präsentiert sich in den vielfach eingesetzten punktierten Rhythmen kraftvolle und lebendige Fröhlichkeit.
Anmerkungen:
[1] Burney, Charles (1773): Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. Band 3: Durch Böhmen, Sachsen, Brandenburg, Hamburg und Holland. Hamburg: Bode. S. 198.
[2] Suchalla, Ernst (Hrsg.) (1994): Carl Philipp Emanuel Bach. Briefe und Dokumente. Kritische Gesamtausgabe. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Nr. 529.
[3] Bach, Carl Philipp Emanuel (1759): Carl Philipp Emanuel Bachs Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen mit Exempeln und achtzehn Probe-Stücken in sechs Sonaten erläutert. Erster Theil. Zweyte Auflage. Berlin: Eigenverlag. S. 105ff.
[4] Allgemeine musikalische Zeitung, Band 11: Nr. 41 (12. Juli 1809). Leipzig: Breitkopf und Härtel. S. 646f.
[5] Jahn, Otto (1859): Wolfgang Amadeus Mozart. Band 4. Leipzig: Breitkopf und Härtel. S. 3.
[6] Storck, Karl (1909): Beethovens Briefe. Zweite verbesserte Auflage. Stuttgart: Greiner und Pfeiffer. S. 175.
[7] Bode, Johann Joachim Christoph (Hrsg.) (1773): Carl Burney’s der Musik Doctors Tagebuch seiner Musikalischen Reisen. Band 2: Durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien. Hamburg: Bode. S. 256f.
[8] Ribeiro, Alvaro (Hrsg.) (1991): The Letters of Dr Charles Burney. Band 1: 1751–1784. Oxford: Oxford University Press. S. 192.
Quellenangaben:
Fisher, Stephen C. (2008): Introduction. In: Krüger, Ekkehard / Schwinger, Tobias (Hrsg.) (2008): Carl Philipp Emanuel Bach. The Complete Works. Band III/1: Berlin Symphonies. Los Altos/California: The Packard Humanities Institute. S. xi-xix.
Leisinger, Ulrich (2010): Vorwort. In: Leisinger, Ulrich (Hrsg.) (2010): Carl Philipp Emanuel Bach: Sinfonia in e. Stuttgart: Carus-Verlag. S. 3.
Wagner, Günther (1994): Die Sinfonien Carl Philipp Emanuel Bachs: Werdende Gattung und Originalgenie. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler.
Stefanie Petelin | 10.03.2019