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Zu einem einsamen Mönch kamen eines Tages Menschen, die ihn fragten: „Welchen Sinn siehst Du in Deinem Leben der Stille und Meditation?“
Er antwortete, während er mit einem Eimer Wasser aus einem tiefen Brunnen im Klosterhof schöpfte: „Schaut in den Brunnen. Was seht ihr?“
„Wir sehen nichts!“, antworteten die Menschen nach einem Blick in den Brunnen.
Nach einer kurzen Pause forderte der Mönch erneut auf: „Schaut in den Brunnen. Was seht ihr jetzt?“
Wieder blickten die Menschen über den Brunnenrand hinunter in die Tiefe des Brunnens. Da antworteten sie: „Ja, jetzt sehen wir, wie sich der Himmel im Wasser spiegelt – und wir sehen uns selbst!“
Darauf sprach der Mönch: „Als ich vorhin Wasser schöpfte, war das Wasser unruhig. Jetzt ist das Wasser ruhig. Und genau das ist die Erfahrung der Stille und der Meditation: Man sieht sich selbst. Und nun wartet noch eine Weile.“
Nach einiger Zeit rief der Mönch erneut dazu auf: „Schaut in den Brunnen. Was seht ihr jetzt?“
Die Menschen blickten in den Brunnen und erkannten: „Nun sehen wir auf den Boden, die Steine, die da liegen. Wir sehen bis auf den Grund des Brunnens.“
„Schaut, das ist die Erfahrung der Stille und der Meditation. Man sieht den Himmel. Man sieht sich selbst. Und wenn man lange genug wartet, blickt man bis auf den Grund aller Dinge…“, erklärte der Mönch.
Diese Geschichte eines unbekannten Autors zeigt die Bedeutung des Ruhigwerdens und des Stillseins. Solange der Mönch das Wasser schöpfte, war es in Unruhe und deshalb unklar. Das ruhige Wasser aber spiegelt den Himmel und uns selbst, sodass wir uns und unsere Tiefe entdecken können. Stille macht uns fähig zum Aufnehmen, zum Wahrnehmen, zum Empfangen, zum Erkennen.
Je lauter und hektischer die Welt um uns herum ist, desto größer wird unsere Sehnsucht nach Ruhe und Stille. Denn Stille ist wichtig und tut einfach gut – schon zwei Minuten Stille am Tag haben verschiedene positive Aspekte. Stille wirkt nicht nur der Stressbelastung entgegen, sondern lädt auch unseren mentalen Akku wieder auf. Ganz zu schweigen von der Stille, die den Kreativitätsprozess fördert.
In unserer heutigen Zeit sind wir Stille aber häufig nicht mehr gewohnt. Für manch einen ist Stille genauso erdrückend wie Lärm. Je unruhiger wir sind, umso schwerer ist Stille und Schweigen zu ertragen. Dann ist Stille ganz schön laut, zum Beispiel, wenn die Stille uns unschöne Erinnerungen, negative Gedanken oder Sorgen, Ängste, Schuldgefühle oder Rachegelüste an die Oberfläche spült, die wir im Lärm der Zeit oft gut verdrängen und wegschieben können. Eine Beschäftigung damit kann aber auch entlastend und befreiend sein und uns ruhig und gelassen machen. So können sich diese Dinge am Boden absetzen und wir können das Leben ordnen.
Ruhig werden. Still sein. Nichts denken, nichts machen, nichts leisten, nur spüren, nur wahrnehmen, nur da sein. In der Stille können wir nicht nur uns selbst begegnen, wir können auch besser Gottes Klopfzeichen und seine leise Stimme hören, sodass er dann in uns neu geboren werden kann. Er ist uns dann ganz nahe, er ist der, der da ist.