Verteilungsgerechtigkeit verlangt politischen Gestaltungswillen
[Salzburg, 16.4.2016, PA] Ihre Rolle als politische Akteurin im Kampf für Verteilungsgerechtigkeit bekräftigte die Katholische Frauenbewegung Österreichs anlässlich ihrer Vollversammlung in Salzburg von 14. bis 15. April. „Die kfbö versteht sich als politische Kraft, die Meinungsbildung, Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit in der Gesellschaft vorantreibt“, so Veronika Pernsteiner, Vorsitzende der Katholischen Frauenbewegung Österreichs: „Ihr Anliegen ist es, gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse, die Ungerechtigkeiten in der Verteilung von Chancen und Mitteln verursachen, sichtbar zu machen und die Entwicklung und Anwendung von Instrumentarien zu unterstützen, die eine gerechte Verteilung und somit ein gutes Leben für alle ermöglichen.“
Dies bedeute, so Pernsteiner, im Sinne von Papst Franziskus „an die Ränder“ zu gehen: „Wir müssen jenen Teil der Bevölkerung in den Blick nehmen, der am unteren Ende der Einkommens- und Vermögensskala angesiedelt ist und im System der sozialen Sicherung nicht mehr vorkommt - beispielsweise dann, wenn Menschen aufgefordert werden, entstehende „Pensionslücken“ durch private Vorsorge zu füllen oder die Pflege von bedürftigen Angehörigen über privat finanzierte Pflegekräfte zu bewerkstelligen.“ Gleichzeitig, so Pernsteiner, gelte es dem Mythos entgegenzutreten, die Interessen der Mittelschicht seien mit der einer kleinen, finanziell extrem potenten Bevölkerungsgruppe gleichzusetzen: „Diese Annahme ist ein Hemmnis für politische Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit und somit für das politische Engagement im Sinne einer Verteilungsgerechtigkeit“.
Vor allem, wenn es um die Ausgestaltung des Steuersystems gehe, werde diese Blockade sichtbar. Ängste, durch allfällige Vermögenssteuern bedroht zu werden, motivieren Menschen mit kleineren und mittleren Vermögen, sich gegen derartige Steuern zu wenden, die tatsächlich eine kleine, sehr vermögende Gruppe betreffen würden – das reichste Prozent der österreichischen Bevölkerung besitzt derzeit nahezu 700 Milliarden Euro. Die Katholische Frauenbewegung Österreichs plädiert vor diesem Hintergrund für die Wiedereinführung von Vermögenssteuern, für eine verteilungswirksame Erbschafts- und Schenkungssteuer, für eine gerechte Besteuerung von Kapital und Konzerngewinnen, die Einführung von Finanztransaktionssteuern und Maßnahmen zur Schließung von Steueroasen. Ganz grundsätzlich appelliert sie an das Ethos aller Mitglieder der Gesellschaft: „´Be a proud tax payer´ – dieses Motto sollte uns leiten auf dem Weg in eine Gesellschaft, in der die Sorge umeinander politisch klar geregelt ist und verantwortlich wahrgenommen wird,“ so Veronika Pernsteiner.
Geschlechtergerechtes Steuersystem
Teil eines gerechten Steuersystems muss nach Ansicht der Katholischen Frauenbewegung Österreichs der Interessensausgleich zwischen Männern und Frauen sein: „Wir treten ein für eine gendergerechte Steuer- und Budgetpolitik, weil jede Entscheidung darüber, wie Einnahmen lukriert oder Ausgaben getätigt werden, die Interessen von Männern und Frauen unterschiedlich berühren“, so Veronika Pernsteiner. Derzeit würden viele Entscheidungen zulasten von Frauen getroffen. Zwar sei das Bekenntnis zu „Gender budgeting“ 2009 als Staatszielbestimmung definiert worden, jedoch mangle es am Willen zur Durchsetzung bzw. an der Kontrolle der Wirksamkeit dieser Bestimmung: „Mit dem Netzwerk ´Femme Fiscale` fordern wir daher die Einrichtung eines unabhängigen, u.a. zivilgesellschaftlich besetzten Beirats auf Regierungsebene“, so Pernsteiner.
Konjunkturpaket für Care-Sektor
Die ungerechten Verteilungsverhältnisse machten überdies notwendig, ein „Konjunkturpaket“ für den Bereich der Care-Arbeit zu schnüren: „Mit Investitionen in Höhe von einer Milliarde Euro in Pflege und Betreuung wäre es u.a. möglich, mehrere Tausend Jobs in diesen Bereichen zu schaffen und die Löhne an das Durchschnittseinkommen von Angestellten anzugleichen“, so Pernsteiner. Das würde die derzeit herrschenden Verhältnisse aufbrechen, welche auf der Ausnutzung billiger, hoch flexibler weiblicher Arbeitskräfte aus dem Ausland basieren, die Zuschreibung von Care-Arbeit an Frauen zementieren, den Staat von seiner Verantwortung entbinden und einkommensschwache Haushalte bei der Versorgung benachteiligen oder gar davon ausschließen.
Ehrenamt und Subsidiarität
Für dringend notwendig hält die Katholische Frauenbewegung Österreichs die Ausbildung eines politischen Gestaltungswillens in jenen Bereichen der Gesellschaft, die dem Ehrenamt bzw. der Freiwilligenhilfe überantwortet sind. Ohne die wichtige Funktion des Ehrenamts für eine Gesellschaft in Frage stellen zu wollen, plädiert die Katholische Frauenbewegung dafür, den Staat dort in die Pflicht zu nehmen, wo existentielle Bedürfnisse von Teilen der Gesellschaft es erfordern. „Hier ist an das Subsidiaritäts-Prinzip zu erinnern“, so Veronika Pernsteiner: „Wir sehen das in der Frage der Versorgung von Flüchtlingen ebenso wie in vielen anderen Bereichen.“
Der Gerechtigkeit geschuldet
„Weil´s gerecht ist, mischen wir uns ein“, zitierte Margit Appel, Politologin und Mitarbeiterin der Katholischen Sozialakademie Österreichs, bei der Vollversammlung das Thema, dem sich die Katholische Frauenbewegung Österreichs im Arbeitsjahr 2016 verschrieben hat. Appel, die mit einem Input zum Thema „Verteilungsgerechtigkeit“ die Vollversammlung der Frauenbewegung begleitet hat, rief Worte aus „Apostolicam actuositatem“, dem Dekret über das Laienapostolat aus dem Jahr 1965, in Erinnerung: „Zuerst muss man den Forderungen der Gerechtigkeit Genüge tun, und man darf nicht als Liebesgabe anbieten, was schon aus Gerechtigkeit geschuldet ist. Man muss die Ursachen der Übel beseitigen, nicht nur die Wirkungen.“
Eva Oberhauser als zweite stellvertretende Vorsitzende gewählt
Als zweite stellvertretende Vorsitzende wurde bei der Vollversammlung der Katholischen Frauenbewegung die Tirolerin Eva Oberhauser gewählt. Oberhauser, 1950 in Kössen geboren und Einzelhandelskauffrau im Erstberuf, hat Pädagogik, Psychologie und Soziologie studiert, Ausbildungen im Hospizbereich und der Erwachsenenbildung absolviert und arbeitet derzeit als Alterspädagogin in einem Alten- und Pflegeheim in Kitzbühel. Ihre Dissertation, die sie in Kürze abschließen wird, beschäftigt sich im Rahmen von Biographiearbeit mit „Lebensentwürfen hochbetagter Frauen“. Oberhauser bringt Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit und der Leitung der Katholischen Frauenbewegung der Erzdiözese Salzburg mit, die sie als stellvertretende Vorsitzende von 2005 bis 2013 mitgestaltet hat. Die Tirolerin ist Mutter einer Tochter, die sie, früh verwitwet, weitgehend allein erzogen hat.
Anlass zum Feiern bietet gegenwärtig das 70-Jahr-Jubliläum der von der Katholischen Frauenbewegung herausgegebenen Zeitschrift „Welt der Frau“. Veronika Pernsteiner: „Wir sind stolz auf ein Medium, das es über Jahrzehnte geschafft hat, gesellschaftliche Entwicklungen in Österreich aus Frauenperspektive kritisch zu begleiten.“
Quelle: kfbö
2016/04/18 sas