TelefonSeelsorge: Als Familie psychisch gesund bleiben
Elternschaft und Familienleben sind nicht immer leicht. Verschiedene Charaktere, unterschiedliche Stimmungslagen, Wünschen und Bedürfnisse treffen aufeinander, wollen gesehen und ernstgenommen werden. Eltern stehen vor der Herausforderung, Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung und -erziehung, Haushalt, Partnerschaft und eigene Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen – ein manchmal schlichtweg überforderndes bis hoffnungslos erscheinendes Unterfangen. Nicht selten beeinflussen existentielle Nöte, Zukunftsängste, psychische oder physische Krankheiten das Familienleben.
Was brauchen Familien, um psychisch stabil zu bleiben und emotional belastenden Situationen gut zu begegnen? Wichtige Aspekte schilderten Silvia Breitwieser und Barbara Lanzerstorfer-Holzner von der TelefonSeelsorge OÖ – Notruf 142 und Primaria Ellen Auer-Welsbach vom Kepler Universitätsklinikum in Linz bei einer Pressekonferenz in Linz anlässlich des Welttags für psychische Gesundheit (10. Oktober). Die gemeinsame Botschaft: Das Elterndasein kann immer wieder einmal sehr herausfordernd sein. Sich professionelle Hilfe zu holen, ist daher keine Schande, sondern ein Zeichen von Selbstfürsorge.
Zuhören, im Gespräch bleiben, gut für sich sorgen
Silvia Breitwieser, Leiterin der TelefonSeelsorge OÖ, wies eingangs darauf hin, dass neben den grundsätzlichen Herausforderungen von Elternschaft die Krisen der vergangenen Jahre Familien viel abverlangt hätten: „Denken wir an die Pandemie, die Klimakrise, Kriege, Inflation und eine rasend schnell fortschreitende Digitalisierung sowie die Etablierung der vorgeblich sozialen Medien. Wir befinden uns in unruhigen Zeiten, die auch so manche Eltern sorgenvoll in die Zukunft schauen lassen.“
Ihre Kollegin Barbara Lanzerstorfer-Holzner, Referentin der TelefonSeelsorge OÖ, ergänzt: „Viele Familien können den Alltagswahnsinn und die Unwägbarkeiten der Zeit gut meistern. Voraussetzungen dafür sind ausreichende psychische Stabilität bzw. Resilienz, ein gutes soziales Netz sowie die Fähigkeit, in emotional belastenden Situationen aktiv zu werden, um Sorgen und Ängsten möglichst gut begegnen zu können.“ Emotionale Stabilität könne gefördert und erhalten werden, etwa durch die Pflege von Kontakten, ausreichend Schlaf, körperliche Aktivität, Kreativität und ehrenamtliches Engagement, so Lanzerstorfer-Holzner.
Zum Erhalt der psychischen Gesundheit gibt die TelefonSeelsorge OÖ – Notruf 142 weitere Tipps: Wichtig seien Selbstfürsorge und -mitgefühl der Eltern, denn: „Geht es den Eltern gut, geht es auch den Kindern gut und umgekehrt“, sagt Lanzerstorfer Holzner. Eltern sollten sich fragen: Was kann ich für mich selbst konkret tun? Was brauche ich, um handlungsfähig zu bleiben und mitfühlend mit mir umgehen zu können? Ebenso wichtig sei gemeinsame, geplante Familienzeit, etwa bei einer täglichen gemeinsamen Mahlzeit. „Aufgabe der Eltern ist es, Beziehungsmomente zu ermöglichen und nicht dauernd emotional abwesend bzw. vom Smartphone abgelenkt zu sein. Besonders für Kinder ist es zentral, dass ihnen aktiv zugehört wird – also mit voller Aufmerksamkeit, mit Neugierde und ohne Bewertungen“, sagt die Expertin. Gerade in puncto Medienkonsum sei die Vorbildwirkung der Eltern entscheidend, betont Lanzerstorfer-Holzner.
Wichtig sei für Eltern auch, die eigenen Sorgen und Ängste zu regulieren und von Dramatisierung und Überbehütung abzusehen. „Sind Eltern sehr besorgt oder in Panik, wird auch das Kind große Ängste und innere Unruhe spüren. Beruhigung kann beispielsweise die Konzentration auf den eigenen Atem bringen“, weiß Lanzerstorfer-Holzner, selbst Psychotherapeutin. Gleichzeitig rät sie Eltern dazu, die eigenen Emotionen nicht zu überspielen, sondern altersgerecht zu thematisieren. „Kinder profitieren davon, wenn Eltern authentisch sind. Sie erfahren so, dass Krisen zum Leben gehören, Angst, Trauer und Wut erlaubt sind und es guttut, über Gefühle zu sprechen.“
Was tun, wenn es im familiären Alltag zu Spannungen und Streitigkeiten oder sogar zu Brüchen kommt? Dann gilt es, gut mit diesen Herausforderungen umzugehen, sagt Lanzerstorfer-Holzner. „Sind Brüche entstanden, sollten sie repariert werden – durch Nachdenken über das eigene Erleben, Zuhören, Besprechen und Entschuldigungen. Werden Konflikte geleugnet, verdrängt, totgeschwiegen oder weggelächelt, schwelen sie im Untergrund weiter und brechen zu einer unpassenden Gelegenheit mit voller Heftigkeit wieder hervor.“
„Psychische Gesundheit wächst in Beziehungen“
Primaria Ellen Auer-Welsbach ist Vorständin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin am Kepler Universitätsklinikum Linz. Auch sie betont, dass junge Menschen heute in einer Welt aufwachsen, „die von globalen Krisen, wirtschaftlicher Unsicherheit und einer Flut an Informationen über Social Media geprägt ist“. Immer häufiger erlebe sie in ihrem beruflichen Alltag Kinder und Jugendliche, die in Schulen und sozialen Beziehungen überfordert, erschöpft oder innerlich leer wirkten. „Die Belastungen treffen alle sozialen Schichten. Kinder und Jugendliche wachsen heute in einer Welt auf, die 24 Stunden „an“ ist – doch das Nervensystem braucht „aus“-Phasen, um sich regenerieren zu können“, weiß die Expertin.
Psychische Gesundheit wachse in Beziehungen, betont Auer-Welsbach. „Viele Menschen funktionieren in ihrem Umfeld – aber leben immer selten wirklich miteinander. Junge Menschen benötigen keine perfekten Eltern, sondern zugewandte Menschen, die zuhören, verstehen und Halt geben. Feinfühliges Wahrnehmen und Reagieren auf die Gefühle des anderen ist ein Schutzfaktor gegen psychische Erkrankungen.“ Ebenso wichtig seien Rituale und Struktur – nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für Erwachsene jeder Altersgruppe, wie die Primaria unterstrich.
Daher sein Kinder- und Jugendpsychiatrie immer Familienpsychiatrie. Es gehe darum, jede einzelne Person in der Familie zu stärken und zu unterstützen, denn: „Gesundheit wächst im Verbund. Es geht darum, frühzeitig zu erkennen, wenn Eltern emotionale, soziale oder finanzielle Belastungen tragen, und passende Unterstützungssysteme durch Arbeitgeber oder im beruflichen Umfeld bereitzustellen. Wenn Kinder und Jugendliche auffallende Symptome in Kindergärten, Schulen zeigen, sollte rechtzeitig reagiert und geholfen werden“, so Auer-Welsbach.
Neben der Bereitstellung verlässlicher Unterstützungsangebote gilt es nach Ansicht der Expertin, das Bewusstmachen in der Bevölkerung zu fördern: Jede und jeder Einzelne kann und soll tagtäglich zur psychischen Gesundheit der Gesellschaft beitragen. „Aktiv aufeinander zugehen und zuhören, offen über psychische Gesundheit reden, Stigmatisierung abbauen – all das schafft eine Kultur, in der Hilfe erreichbar und akzeptiert ist. Dabei geht es nicht nur um das Aufzeigen dieser Problemlagen, sondern um das Aufzeigen und vor allem um das Umsetzen konkreter Lösungen.“ Das Fazit von Auer-Welsbach: „Die Psyche junger Menschen lässt sich stärken, wenn es ein Bewusstsein dafür gibt. Prävention, offene Kommunikation und verlässliche Hilfsangebote schaffen Räume, in denen Jugendliche wachsen können – auch in Krisenzeiten.“
Familienministerin Plakolm: Seelisch gesunde Familie als sicherer Hafen
Die Bundesministerin für Europa, Integration und Familie Claudia Plakolm übermittelte eine Videobotschaft zur Pressekonferenz. Darin unterstrich sie die Bedeutung der psychischen Gesundheit für Familien. „Eine seelisch gesunde Familie als sicherer Hafen und fixer Ankerpunkt ist das Fundament für ein glückliches Leben.“ Erfreut zeigte sich die Familienministerin über die zunehmende Enttabuisierung psychischer Probleme in den vergangenen Jahren. So habe etwa bei der diesjährigen Ö3-Jugendstudie ein Spitzenwert von 70 Prozent angegeben, sich in diesem Fall ohne Zögern Hilfe suchen zu wollen. Plakolm würdigte in diesem Zusammenhang die TelefonSeelsorge als wichtige Anlaufstelle für junge Menschen mit psychischen Problemen. Darüber hinaus nannte die Familienministerin auch die von der Regierung geförderte verbandliche Jugendarbeit als wesentlichen Beitrag zu seelischer Stabilität: „Vereine geben Halt, sie schafft Sinn und soziale Stabilität und wirkt damit auch präventiv für die psychische Gesundheit.“ Weitere Anliegen der Bundesregierung, die von Plakolm thematisiert wurden: die Etablierung von Bildungseinrichtungen als Orte der mentalen Gesundheit und mehr Schutz von Kindern und Jugendlichen im Internet und auf Social-Media-Plattformen.
Hilfe am ElternTelefon
Nicht immer können Eltern die Probleme allein bewältigen. Wenn die Situation in der Familie zu belastend wird, ein Konflikt nicht mehr lösbar erscheint und das Familienleben aus den Fugen geraten, ist Unterstützung von außen notwendig: Sich selbst eingestehen zu müssen, dass das Familienleben gerade große Probleme macht, ist nicht leicht. Sich Hilfe zu holen, ist keine Schande, sondern ein Zeichen von Verantwortungsbewusstsein.
Hilfe erhalten Eltern am ElternTelefon, das vom Familienreferat des Landes unterstützt wird. Dieses ist in solchen Situationen ein erster Ansprechpartner. Unter der Nummer 142 ist es an allen Tagen des Jahres rund um die Uhr, vertraulich und kostenlos erreichbar. Und das innerhalb der eigenen vier Wände, in der Akutsituation, ohne den eigenen Namen nennen oder einen Beratungstermin vereinbaren zu müssen.
Mail-, Chat- und Messengerberatung können anonym und kostenlos auf http://www.onlineberatung-telefonseelsorge.at in Anspruch genommen werden.