Alkoholsucht: Auswirkungen und Hilfsangebote
„Trink ma no a Achterl?" – Alkohol hat in Österreich einen hohen Stellenwert. Für viele Menschen ist er bei sozialen Anlässen nicht wegzudenken. „Selbst bei exzessivem Konsum gibt es eine sehr breite Akzeptanz“, kritisieren Silvia Breitwieser, Obfrau des Vereins TelefonSeelsorge Österreich, Leiterin der TelefonSeelsorge OÖ – Notruf 142 und Psychotherapeutin und Barbara Lanzerstorfer-Holzner, Referentin der TelefonSeelsorge OÖ – Notruf 142 und Psychotherapeutin. Problematisches Trinkverhalten werde gerne bagatellisiert oder verleugnet. Zudem werde Alkohol oft scherzhaft als vermeintlich gutes „Lösungsmittel“ bezeichnet, das dazu dienen soll, Trauer zu betäuben, der bedrückenden Realität zu entkommen und den Schmerz nicht spüren zu müssen. Jedoch berge das, was sich vielleicht kurzfristig gut anfühlt, die große Gefahr in eine Abhängigkeit zu schlittern.
Mit möglicherweise fataler Wirkung: „Durch Alkoholismus entsteht viel Schaden" weiß Primar Priv.-Doz. Kurosch Yazdi-Zorn, Vorstand der Klinik für Psychiatrie mit Schwerpunkt Suchtmedizin am Kepleruniversitätsklinikum in Linz: „Was viele nicht wissen: Alkoholismus ist die häufigste Ursache für Altersdiabetes", nennt der Mediziner nur eine negative Wirkung auf den Körper. Auch die Psyche kann Schaden nehmen – in Form von Depressionen oder Angsterkrankungen. Dazu komme der gesellschaftliche Schaden, etwa durch Unfälle unter Alkoholeinfluss.
Die Grenzen zwischen normalem und übermäßigem Konsum bis hin zur Suchterkrankung seien fließend, sagt Yazdi-Zorn. Grundsätzlich gebe es sechs Kriterien, die eine Sucht definieren und unterschiedliche Wege in eine Suchterkrankung. Als Risikogruppen nennt der Mediziner Menschen, die unter Einsamkeit leiden oder großem beruflichen, sozialen oder finanziellen Druck ausgesetzt sind. Bei Jugendlichen sei die Peergroup ein entscheidender Einflussfaktor. Entscheidend ist somit auch, ob sich Menschen in einem Umfeld aufhalten, in dem viel Alkohol getrunken wird.
Für Suchtkranke bietet der Neuromed Campus eine Anlaufstelle. Dort wird über die weitere Behandlung entschieden. Bei einem massiven Alkoholproblem sei diese, so Yazdi-Zorn, meist dreistufig: Entgiftung mit Hilfe von Medikamenten, Entwöhnungsbehandlung und Nachsorge. Letztere werde von Selbsthilfegruppen oder Alkoholberatungsstellen angeboten. Dazu gebe es ambulante Angebote in Krankenhäusern. „Wichtig ist, dass sich Betroffene langfristig immer wieder mit dem Thema Alkohol auseinandersetzen“, betont der Suchtmediziner.
Frauen werden mehr, Männer weniger
In Österreich sind 5 Prozent der Erwachsenen zwischen 15 und 65 Jahren alkolholkrank. Alkoholismus ist jedoch längst nicht mehr ein „männliches Problem", auch wenn es mehr männliche Betroffene gibt. Seit etwa 20 Jahren ist laut Yazdi-Zorn die Zahl der alkoholabhängigen Männer rückläufig, jene der Frauen jedoch im Steigen begriffen. Zu einem immer größeren Problem werde das Alter der abhängigen Frauen. Schon 17-Jährige suchen heutzutage in der Ambulanz am Neuromed Campus Hilfe. Einen möglichen Grund für den Anstieg bei Frauen sieht Yazdi-Zorn in der gesellschaftlichen Veränderung bzw. der Emanzipation. „Früher war es für Frauen einfach nicht schicklich, sich in der Öffentlichkeit zu betrinken, bei Männern wirkte es sogar cool!"
TelefonSeelsoge hilft rund um die Uhr
Betroffene sowie Angehörige können sich mit ihren Problemen rund um die Uhr auch an die TelefonSeelsorge OÖ – Notruf 142 wenden. Unter dem Motto „Sorgen kann man teilen“ erhalten die Anruferinnen und Anrufer bzw. die Userinnen und User der Mail-/Chat- und Messengerberatung ungeteilte Aufmerksamkeit, Entlastung und Wertschätzung.
Einer der größten Vorteile besteht darin, dass sich Menschen mit Alkoholabhängigkeit vertraulich an die Berater:innen wenden können. Bei der Telefonseelsorge können sie ohne Preisgabe der eigenen Identität über persönliche Erfahrungen, Rückschläge, Ängste und Erfolge sprechen. Das schafft Vertrauen und erleichtert vielen den ersten Schritt in Richtung Öffnung und Krankheitseinsicht.
Viele Alkoholkranke leiden neben den körperlichen und psychischen Folgen der Sucht auch unter massivem Schamgefühl. Dieses kann so groß sein, dass Betroffene sich isolieren und keine Hilfe in Anspruch nehmen, obwohl sie diese dringend bräuchten. Die Telefonseelsorge stellt einen geschützten Raum dar, in dem Betroffene verstanden werden und sich mit ihren Gefühlen nicht alleine fühlen. Dieser Austausch ist oft der erste Schritt, um das Schweigen zu brechen.
Hilfe wird auch für Angehörige, Freund:innen, Kolleg:innen angeboten. Denn Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit haben auch für Menschen, die den Betroffenen nahestehen, tiefgreifende Folgen. Allerdings schämen sich auch viele Angehörige so sehr, dass sie niemandem von ihrem Leid erzählen. Insbesondere Frauen bemühen sich teils jahrzehntelang, den Schein zu wahren und den Partner zu unterstützen. Doch viele erwachsene Angehörige und Kinder von Alkoholikern brauchen Hilfe, um sich aus der Co-Abhängigkeit zu lösen und ein eigenständiges Leben zu führen.
AA: Hilfe für Betroffene
Langfristige Hilfe erhalten Betroffene seit 1974 in Oberösterreich bei den Anonymen Alkoholikern. Sie treffen sich regelmäßig, um ihre Erfahrungen und Erkenntnisse auszutauschen. Durch den ständigen Kontakt mit den genesenden AA-Freunden, das Gefühl der Gemeinschaft und der Freundschaft könne der Zwang zum Trinken durchbrochen werden, wie es heißt.
Diese Erfahrung hat auch Werner gemacht, früher Abteilungsleiter, heute Pensionist: „Schon mein erster Besuch hat mir Hoffnung gegeben", erzählt er. Das war vor mehr als drei Jahrzehnten. Seitdem hat Werner dankt der Hilfe der AA keinen Tropfen mehr angerührt, wie er sagt.
Al-Anon: Hilfe für Angehörige
Nicht nur Werner weiß: „Alkoholismus ist eine Familienkrankheit!" Denn unter der Sucht leidet das gesamte Umfeld des/der Betroffenen. Auch Ingrid hat das als Ehefrau eines Alkoholikers am eigenen Leib erfahren: „Ich habe das Problem zu spät erkannt, dachte, ich würde ihn ohne Hilfe trocken bekommen", erzählt sie. Sie habe sich geschämt, lange geschwiegen und alles getan, die Alkoholsucht vor anderen zu verbergen.
Schließlich bekam auch Ingrid Hilfe. Die Pensionistin wandte sich an Al-Anon. Die Al-Anon-Familiengruppen sind eine weltweite Organisation, die ein Selbsthilfeprogramm für Angehörige und Freunde von Alkoholikern anbietet. Bei regelmäßigen Treffen sollen in Gesprächen und durch Erfahrungsaustausch die gemeinsamen Probleme gelöst werden. Ingrid hat im Laufe der Treffen wieder Selbtbewusstsein bekommen – „vorher habe ich nur funktioniert" und engagiert sich nun selbst, etwa als Gruppenleiterin. Heute weiß sie, dass sie damals kaum eine Chance gegen die Sucht hatte, denn: „Ein Alkoholiker muss immer selbst aufhören wollen."