Nachbericht zur Fachtagung "Die Verführung des Helfens"
Begrüßung durch Mag.a Silvia Breitwieser
Am Vormittag erläuterten Dr. Christian Pross und Eva Barnewitz in den beiden Hauptvorträgen, welchen Belastungen Helfer:innen in ihrer Arbeit ausgesetzt sind und wie Selbstfürsorge gelingen kann.
Herr Dr. Pross stieg mit dem Phänomen der Übertragung ein: Klient:innen übertragen und projizieren ihre inneren Erfahrungen und Konflikte auf die/den Helfende/n. Helfer:innen würden oft in der Arbeit idealisiert, was diese verführen könne, sich geschmeichelt zu fühlen und Größenfantasien zu entwickeln. Es könne auch passieren, dass Helfer:innen kalt und aggressiv behandelt würden. Aus diesem Grund sei es besonders wichtig, gegenüber Klient:innen eine professionelle Distanz zu wahren und sowohl persönlich als auch arbeitsmäßig in einem professionellen Rahmen zu bleiben.
Oft herrsche in einer Non-Profit Organisation das kollektive „Du“, welches Nähe und Vertraulichkeit suggeriere, alles werde im Team diskutiert und die Organisation sei geprägt durch ein familiär-kameradschaftliches Klima. Die Gefahr in diesem Fall sei, dass Mitarbeiter:innen aufgrund ihres hohen moralische Anspruchs einen Märtyrerkomplex entwickeln und sich nicht mehr abgrenzen könnten. Das Unrecht und Leid in der Welt sind ja grenzenlos. Dabei entwickelten Helfende das Gefühl, die ganze Welt laste auf ihren Schultern. Parallel dazu könnten sich Größenfantasien entwickeln: „Wir sind etwas Besonderes, niemand macht die Arbeit so gut wie wir!“ Auch Überidentifikation könne entstehen, wodurch für die Klient:innen eine zu große Verantwortung übernommen werde.
Ein wichtiges Gegenmittel gegen diese Phänomene biete eine gute Arbeitsstruktur. Diese gebe den Helfenden Sicherheit und Schutz. Eine mangelhafte dysfunktionale Struktur und ein chaotisches Umfeld verursachten laut Dr. Pross Stress und Konflikte in den Helfer:innenteams. Besonders wichtig und präventiv seien daher in Organisationen folgende Punkte:
- Klare funktionale Arbeitsorganisation und Struktur
- Konstruktive Konfliktkultur
- Supervision durch unabhängigen externen Supervisor
- Selbstfürsorge
- „Care for Caregivers“ seitens des Arbeitgebers
- Coaching für Leitungskräfte.
Dr. Pross wies in seinem Vortrag mehrfach darauf hin, dass Supervision eine wesentliche Ressource für Helfende sei, da man sich selbst in Frage stellen könne, offen für die eigenen inneren Konflikte werde und professionell mit einem unabhängigen Supervisor einen neuen verantwortungsvollen Weg mit den Kleint:innen beschreiten könne.
Dr. Pross bietet auch eine eigene Supervisionsausbildung in seinem Institut in Berlin an. Kontakt und Anmeldung: Frank Rosenbach, Zentrum ÜBERLEBEN gGmbH, 10559 Berlin, E-Mail: f.rosenbach@ueberleben,
Tel.: 0049 157 30023485
Zum Schluss benannte Dr. Pross in seinem Vortrag Strategien gegen die Ohnmacht:
- Nicht zu hoch gesteckte, bescheidene ZieleFokussieren auf die kleinen Erfolge, die kleinen Schritte in der Therapie
- Ressourcen der Klienten aktivieren statt Überversorgung
- Interkulturelle Perspektive
- Grenzen setzen
- Öffentlichkeitsarbeit, Fortbildung, Forschen, Publizieren; mit Bündnispartnern aus Politik, Medien, Kultur und Wirtschaft Gegenmacht entwickeln
- Internationale Vernetzung
Vortrag Prof. Dr. Pross
Der Vortrag von Eva Barnewitz hatte den Titel: „Burn On statt Burn-Out“. Auf dem Sessel jedes/jeder Teilnehmers/in stand ein Teelicht. „Wer sind Sie in Ihrem Job? Eine Wunderkerze oder ein Teelicht?“, fragte Frau Barnewitz die Teilnehmer:innen. Die Wunderkerze brennt wunderbar, hat viele Ideen und ist sehr kreativ. Wenn man aber zu lange im Wunderkerzenmodus ist, kann man ausbrennen. Die Frage ist, wie kann man hin- und herwechseln zwischen dem Modus der Wunderkerze und dem des Teelichtes.
ie können Helfende langfristig ihr Feuer behalten? Selbstfürsorge und Achtsamkeit alleine würden nicht ausreichen. Frau Barnewitz benannte die fünf Grundbedürfnisse nach William Glasser: Sicherheit, Liebe und Zugehörigkeit, Selbstwirksamkeit, Freiheit, Spaß. Sie lud die Teilnehmer:innen ein, zu überlegen, welche ihrer Grundbedürfnisse in ihrer Arbeit befriedigt würden.
Burn Out sei nach Eva Barnewitz ein schleichender Prozess. Deshalb sei Supervision so wichtig. Zuerst komme die körperliche Erschöpfung, dann die emotionale Erschöpfung, in der Folge die geistig-mentale Erschöpfung. Man erlebe sich nicht mehr als kreativ, alles erscheine sinnlos. Und schließlich erlebe man dann die soziale Erschöpfung, den Rückzug von Freunden und aus dem sozialen Leben: „Alle wollen was von mir, niemand ist für mich da.“ Ethisch schwierig wird es, wenn ein Mensch nicht mehr empathisch sein kann. Eine Kerze braucht Sauerstoff. Was ist mein Sauerstoff? Was nährt mich in meiner Arbeit? Was nährt mich in meinem Leben?
Eva Barnewitz führte ein paar wichtige nährende Themen an:
- Soziale Unterstützungsfaktoren
Gibt es Kollegen, die man jederzeit fragen kann, wenn ein Fall gerade schwer ist? - Supervision/Intervision
- Unterstützendes Team
Gibt es im Team psychologische Sicherheit und kollegiale Solidarität? Gibt es ein gutes, sicheres Arbeitsklima?
- Strukturelle Schutzfaktoren
- Angemessene faire Arbeitsbedingungen, Klare Rollendefinition, Fortbildungsmöglichkeiten, Anerkennung und Wertschätzung
Schließlich beschrieb Eva Barnewitz in ihrem Vortrag noch, wie wichtig das Maßhalten sei. Wir Menschen bräuchten Anspannung und Entspannung. Dauernde Anspannung und chronischer Stress schwächten die Abwehrkräfte. Bewegung sei gut, aber wenn man durch Sport in einen dauernden Hochstress komme, würde der Körper von Stresshormonen überflutet.
Für Helfende könnten folgende Fragen hilfreich sein:
- Haben Sie genügend Regenerationszeiten?
- Wie konsumieren Sie Nachrichten?
- Wie konsumieren Sie Alkohol und Nikotin?
Eva Barnewitz schloss den Vormittag mit einer wunderschönen Geschichte über ein Mädchen ab, das gestrandete Seesterne ins Meer zurückwarf und gegenüber skeptischen Mitmenschen meinte: „Für diesen habe ich einen Unterschied gemacht.“ Besonders berührend war in der Geschichte, dass das Mädchen durch seine Tat viele Menschen ansteckte, die sich in der Folge ebenfalls engagierten, die Seesterne wieder ins Meer zu werfen.
Am Nachmittag konnten die Teilnehmer:innen ihr Wissen in acht Workshops erweitern bzw. vertiefen.
Eva Barnewitz
Zum Abschluss spielte die Musikgruppe MP4 zwei Songs zum Mitsingen mit den passenden Titeln: „Helpless“ und „In your arms“. Ein beruhigender Abschluss nach einem berührenden und äußerst anregenden Tag!
Nachbericht von Mag. Andrea Holzer-Breid, BEZIEHUNGLEBEN
Unterlagen zum Download: